Offener Brief an Kanzler Merz: Sanktionen wären besser
Kanzler Merz hat die Reichenweitenbeschränkung von Waffen für die Ukraine aufgehoben. Unser Autor, der in der Ukraine lebt, findet das falsch.

D er Bundeskanzler hat die Reichweite für Waffen an die Ukraine aufgehoben. Unser Korrespondent in der Ukraine sieht das kritisch und hat an Friedrich Merz einen offenen Brief geschrieben:
Lieber Herr Merz,
da haben Sie also die Beschränkungen für die Reichweite von Waffenlieferungen an die Ukraine aufgehoben. Das ist sehr mutig von Ihnen, so eine riskante Entscheidung zu treffen. Allerdings werden nicht Sie es sein, der die Folgen Ihres Mutes bereits in den nächsten Tagen am eigenen Leib zu spüren bekommen wird. Die russische Antwort auf weitreichende Angriffe mit „unseren“ Waffen tief nach Russland hinein wird kaum ein „Ok, wir haben es eingesehen, wir hören auf zu bombardieren“ sein. Im Gegenteil: Russland wird seine Angriffe verstärken, qualitativ und quantitativ. Und wir, die wir in der Ukraine leben, werden das in den nächsten Nächten erleben.
Ich hätte eine bessere Idee: Sie waren doch kürzlich in Kyjiw. Just in dieser Zeit blieb es ruhig bei uns in der ukrainischen Hauptstadt. Ich weiß auch, warum: Die Russen trauen sich nicht, Kyjiw zu beschießen, wenn wichtige Politiker wie Sie hier sind. Deswegen wünsche ich mir, dass Sie öfter in die Ukraine reisen, auch mal ein paar Tage länger bleiben. Die Bevölkerung wird es Ihnen danken. Das ist jedenfalls besser, als Taurus zu schicken.

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Aber möglicherweise wollen Sie gar nicht so oft nach Kyjiw kommen. Nun, es gäbe da noch eine Alternative: Fahren Sie mal nach Lingen in Niedersachsen. Dort wollen der französische Framatome und der russische Atomkonzern Rosatom gemeinsam Atombrennstäbe bauen. Zur Erinnerung: Rosatom baut nicht nur AKW, sondern entwickelt auch Atomwaffen. Und die sind gegen uns gerichtet.
Die Gegner dieser russisch-französisch-deutschen Zusammenarbeit in Lingen würden sich freuen, wenn sie den Bundeskanzler auf ihrer Seite wüssten. Lieber Herr Merz, Raketen schicken, das können Sie. Aber Sanktionen ernsthaft durchziehen, das können oder wollen Sie nicht. Deswegen meine Bitte: Schöpfen Sie zunächst die Möglichkeiten der Sanktionen aus, bevor Sie weitreichende Raketen in die Ukraine schicken. Deutsche Drohnen und Raketen auf russisches Territorium – dabei kann wirklich nichts Gutes herauskommen.
Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Clasen, Charkow/Charkiw
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