piwik no script img

Neues InfektionsschutzgesetzParlament als Bremsklotz

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Das neue Infektionsschutzgesetz wurde zu eilig durchgewunken. Es wäre auch angebracht gewesen, dem Parlament mehr Rechte zu geben.

Angela Merkel spricht mit Abgeordneten im Bundestagsplenum Foto: Kay Nietfeld/dpa

F aktisch entscheiden die Ministerpräsidenten der Bundesländer und die Kanzlerin in ihrer regelmäßigen Runde, wie es in der Pandemie weitergeht. Die Akteure dieses Gremiums sind natürlich demokratisch durch Wahlen legitimiert – doch dieses Gremium ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Das Parlament wiederum hat bei den konkreten Entscheidungen nichts zu melden. Dieser Missstand wurde kürzlich klar, als Kanzlerin Merkel im Bundestag vortrug, was beschlossen, aber eben vom Bundestag nicht mehr zu ändern war.

Die Regierung neigt dazu, im Parlament einen Bremsklotz zu sehen, der das Nötige durch langwierige Debatten verzögert. Zudem fußte die Pandemiebekämpfung bislang auf Verordnungen – ein angesichts der Tragweite der Maßnahmen für die Demokratie unerfreulicher Zustand. Deshalb ist gut, dass der Bundestag jetzt ein Gesetz beschließt, das dies ändert. Aber die Art, wie dies passiert, ist verstörend, das Ergebnis unbefriedigend.

Zu Beginn der Pandemie war Gefahr im Verzug und schnelles Handeln des Staates gefragt. Das neue Infektionsschutzgesetz wird aber ein Dreivierteljahr nach Ausbruch der Pandemie verabschiedet. Und doch muss es plötzlich ganz schnell gehen. Das Gesetz wurde nach der Experten­anhörung eilig ausgebessert. Doch wo Einschränkungen von Bürgerrechten verhandelt werden, ist Zeitdruck schädlich.

Mag sein, dass die Coronamaßnahmen rechtlich nun auf festerem Grund stehen und Gerichte Einschränkungen nicht so leicht kippen werden. Für das Parlament ist das kein guter Deal. Die SPD wollte mehr Mitsprache des Bundestags – die Union sperrte sich dagegen: Der Handlungsspielraum der Regierung dürfe nicht eingeschränkt werden. Das aber ist eine Logik des Notstands, die nicht mehr passt, wenn die Einschränkungen noch monatelang erforderlich sind.

Kein Missverständnis: Es geht nicht darum, dass das Parlament eine gute Figur macht, um volkspädagogisch auf Querdenker einzuwirken. Diese Szene entfernt sich immer mehr von jedem vernünftigen Diskurs. Sie wird nicht ausgegrenzt, sie grenzt sich selbst aus. Außerdem kapern zusehends Rechtsextreme die Proteste. Die Groko aber verpasst mit diesem Gesetz eine Gelegenheit. Nachvollziehbare Kriterien für Anticoronamaßnahmen? Fehlanzeige. Ob Restaurants offen sind oder geschlossen werden, das werden weiterhin Kanzlerin und MinisterpräsidentInnen entscheiden. Das Parlament darf später darüber debattieren. Es wäre klug gewesen, dem Bundestag mehr Rechte zu geben. Das ist an der Union gescheitert, die SPD hat klein beigegeben. Man wird sich das merken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Der Schriftsteller Heinrich Böll, einer der Wortführer der Bewegung gegen die Notstandsgesetze, kritisierte:

    „Das Bösartige an dieser Gesetzesvorlage ist außerdem, dass sie bis vor wenigen Tagen fast geheim gehalten, dass die Öffentlichkeit darüber gar nicht informiert wurde. Das Gesetz erscheint den meisten Bürgern dieses Staates als eine Art Verkehrsregelung bei Naturkatastrophen, während es in Wahrheit fast alle Elemente für eine fast vollständige Mobilmachung enthält.“

  • Übrigens: Wenn „die Regierung [...] dazu [neigt, im Parlament einen Bremsklotz zu sehen“, ist das alleine noch kein Problem. Es ist schließlich die wichtigste Aufgabe des Parlaments, mit Hilfe mehr oder weniger „langwieriger Debatten“ zu überprüfen, ob „das Nötige“ wirklich „das Nötige“ ist unter den gegebenen (Mehrheit-)Verhältnissen, und nicht einfach nur ein der Panik, dem Egoismus und/oder der Abgehobenheit einzelner „Entscheidungsträger“ geschuldeter „Schnellschuss“.

    Der Haken an der Demokratie ist leider, dass das gewählte Personal nicht wirklich weiser oder auch nur klüger sein kann als die Mehrheit derjenigen, die es gewählt haben. Wer nicht wie ein Diktator oder Kaiser herrschen will, ist darauf angewiesen, dass seine/ihre Wähler:innen nachvollziehen können, was er/sie/es sagt und:oder tut. Es ist also sehr leichtsinnig, die Entscheidung „nach oben“ zu delegieren. Auch und ganz besonders in Fällen, in denen es um Leben und Tod geht.

    Dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann, ist naturgemäß schwer zu begreifen für Leute, die „Panik schieben“. Leichter nachzuvollziehen ist vermutlich der Fakt, dass es eine sehr persönliche Entscheidung war, ist und bleibt, was im Zweifel der Abwägung zum Opfer fallen soll. Dem einen ist das Überleben eines in vierter Generation geführten Familienbetriebes wichtig, einem anderen, dass Kirchen, Theater, Schulen oder Kitas geöffnet bleiben und wieder anderen, dass private Pflegedienste ihrer Arbeit nachgehen können. Solche Entscheidungen haben viel mit individuellen Lebensumständen und Gefühlen zu tun und wenig mit Vernunft oder dem Verständnis vom Großen-Ganzen.

    Dass die Demokratie nicht unbedingt die beste Regierungsform ist, sondern eher die am wenigsten unvernünftige, dürfte vielen Wähler:innen inzwischen geläufig sein. Warum das so ist, können aber vermutlich nur wenige erklären. Ich finde das schade, denn jede (Wahl-)Entscheidung ist um so riskanter, je weniger kompetent der ist, der sie trifft.

  • Ich sehe förmlich vor mir, wie der Bundestag vor Inkrafttreten von Einschränkungen in mehreren Sondersitzungen darüber debattiert, ob die Schließung von Restaurants während einer Pandemie eine angemessene Maßnahme ist.... Neben der üblichen Aufteilung wird es dann noch die Fraktion der RestaurantgängerInnen und eine Fraktion der Hausmanns/Hausfrauen - Kost geben.... Die FDP wird ihre Liebe zur Gastronomie noch stärker betonen... andere werden versuchen ihr eigenes braunes Süppchen zu kochen...



    Währenddessen wird auf den Intensivstationen die Nahrung per Magensonde oder Tropf verabreicht...



    na denn Mahlzeit.

  • "Die Akteure dieses Gremiums sind natürlich demokratisch durch Wahlen legitimiert – doch dieses Gremium ist in der Verfassung nicht vorgesehen." Wer in dieser Koordinierung der landesspezifischen Regelungen in dieser Runde ein verfassungsrechtliches Problem sieht, müsste konsequenterweise dafür eintreten, dass die Länder ihre Maßnahmen unabgesprochen treffen und dabei ignorieren, dass auch so schon ständig über die Uneinheitlichkeit der Maßnahmen lamentiert wird. Die Forderung die Maßnahmen zentralistisch zu verhängen ist demgegenüber verfassungsrechtlich sehr viel tiefgreifender weil es die Bund-Länder-Beziehungen betrifft.



    "Es wäre klug gewesen, dem Bundestag mehr Rechte zu geben."



    Diese häufig kolportierte Darstellung ist so falsch wie fatal weil sich daran ja genau jene aufhängen die das Märchen vom "Ermächtigungsgesetz" erzählen. Rechte und Mitsprachemöglichkeiten sind aber nichts was die Regierung dem Parlament nur netterweise zubilligt. Die Entscheidung über dieses Gesetzt liegt im Bundestag und auch die Abgeordneten der GroKo sind nicht dazu gezwungen jeden Gesetzesentwurf der Regierung abzunicken. Die treffendere Problembeschreibung wäre also, dass sich die Parlamentarier selbst zu wenig Mitsprachemöglichkeiten einräumen.

  • Zitat: „Es geht nicht darum, dass das Parlament eine gute Figur macht, um volkspädagogisch auf Querdenker einzuwirken. Diese Szene [...] wird nicht ausgegrenzt, sie grenzt sich selbst aus.“

    Das scheint mir dann doch ein all zu frommer Wunsch zu sein. So schnell, wie die Kanzlerin und ihr „Corona-Kabinett“ den „Rest“ des Volkes irritieren können mit ihrer Diskurs-Verweigerung, können „die Querdenker“ sich gar nicht selber ausgrenzen.

    In einer demokratisch-parlamentarischen Wettbewerbsgesellschaft geht es um Mehrheiten. Wer die organisiert bekommt, ist legitimiert. Wer nicht, nicht. Wenn Angela Merkel das nicht kapiert, können Fans das auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch auf die „sozialistische“ Erziehung der Pfarrerstochter schieben. Die Minister(-präsidenten) allerdings waren meines Wissens nie FDJ-Sekretäre. Wir wollen die sich rausreden? Auf ihre Nazi-Opas?

    Es geht selbstverständlich (auch) darum, eine „gute Figur) zu machen. Leider stehen autoritäre Anwandlungen einer „guten Figur“ noch immer nicht im Weg. Das Politikverständnis (zu) vieler Wähler:innen bewegt sich auf Brüder-Grimm-Niveau. Die meisten Deutschen hoffen auf den oder die gute:n König:in. Das „Oberhaupt“ soll ihnen bitte jede wichtige Entscheidung abnehmen, gern auch in Zusammenarbeit mit „der Wissenschaft“ oder einem Hofstaat aus Landes-Fürst:innen.

    Dieses Land hatte seit spätestens Februar Zeit, dem Absolutismus Einzelner die Kompetenz der Vielen entgegenzusetzen. Es hat sie nicht genutzt. Auch, weil „die Medien“ mehrheitlich zu Sensationsgeil und zu machtbesessen waren, um sich der Vorteile von Abwägungs-Prozessen zu entsinnen. Wer aber rechtes Gedankengut salonfähig macht, indem es nach „starken Führer:innen“ schreit, der braucht sich nicht zu wundern, wenn die masse-fixierten Ideologiekrüppel lieber das extrem Original unterstützt als die billige Kopie.

    Wo Einschränkungen von Bürgerrechten verhandelt werden, ist Zeitdruck schädlich. Nur leider nicht für jeden von uns.

  • Wenn der Bund für ein Thema nicht zuständig ist, sondern die Länder, dann auch nicht der Bundestag sondern die Länderparlamente. Und was ist der Wert einer bundesweiten Einheitlichkeit bei den Regeln? Einen Münchner interessieren die Regeln in Hamburg viel weniger als die in Kufstein oder Salzburg.

  • Ganz ehrlich ich kann es nicht mehr hören? Wann haben Parlamente je was sinnvolles gemacht außer in den seltenen Fällen wo man mal Abstimmungen frei gibt?

    Entscheidungen im Parlament werden von denen getroffen die die Mehrheit haben und das was entschieden wird, wird nicht im Parlament entschieden. Dort wird das Ergebnis der Entscheidung im Monolog vorgetragen. Die Opposition darf dann noch Ihre Monologe dagegen halten und fertig.

    Gerade heute morgen wieder im DLF was wann wie entschieden werden soll:

    Es ist bereits entschieden! Aber statt zu handeln in der Pandemie wird es jetzt erst mal 3 Tage lang in 3 Parlamenten und Ausschüssen vorgelesen, und da ein Wochenende dazwischen ist, wird damit am Dienstag gerechnet das das beschlossene in Kraft tritt. FÜNF Tage zu spät! Den Luxus muss man sich erst mal leisten können währen heute morgen zu lesen ist: gestern höchste Zahl von Toten an einem Tag, Schweiz hat keine Intensivbetten mehr frei. Ganz erhlich? "dem Parlament mehr Rechte zu geben"... Gehts Noch?

    • @danny schneider:

      Das ist einfach falsch.



      Keine Maßnahme wartet auf die Ausfertigung des Gesetzes. (das würde auch noch etwas länger dauern)



      Die Maßnahmen sind doch längst in Kraft.



      Das Gesetz wird lediglich im Nachhinein die Rechtsgrundlage verbessern.



      Dafür ist Zeit genug.



      Es war sogar schon viele Monate Zeit, die leider ungenutzt verstrichen ist...

  • Es ist viel einfacher. Die Corona-Maßnahmen sind Sache der Exekutive, dem Gesetz nach und ihrem Wesen nach. Ein Notstand ist ein Notstand, auch wenn er ein paar Monate länger dauert. Die gesetzliche Grundlage ist auch längst vorhanden, die Parlamente haben schon vor Jahren darüber entschieden. Nachbessern ist natürlich erlaubt, ob aber wirklich Bedarf exustiert ist fraglich. Die Gerichte werden sich jedenfalls von einem einfachen Gesetz auch nicht abhalten lassen, die stützen sich in ihren Urteilen ja überwiegend auf Grundrechte und die kann man auch mit einem neuen Infektionsschutzgesetz nicht wirklich einschränken. In Wirklichkeit sind diese Grundrechte zwar gar nicht in Gefahr, der Unsinn vor und von den Gerichten wird aber auf jeden Fall weitergehen. Anzufügen wäre noch, dass ein gemeinsames Gremium von Kanzlerin und Ministerpräsidenten vielleicht nicht in der Verfassung steht, aber trotzdem natürlich einfach vernünftig ist und keine weitere Legitimation braucht als die demokratische Wahl der einzelnen Regierungen.