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Neuer Klimaprotest in GroßbritannienSchleichen statt Kleben

Die Klimagruppe Just-Stop-Oil probiert in London eine neue Protestform aus. Au­to­fah­re­r:in­nen bringen sie damit immer noch auf die Palme.

Britische Höflichkeit gegen Klimakata­strophe: Chief Inspector Ranstead (l.) mit Demonstrant Foto: Daniel Zylbersztajn-Lewandowski

London taz | Vor einem uralten Stadtgarten in London haben sie sich um 8 Uhr morgens an diesem Dienstag versammelt: zehn Ak­ti­vis­t:in­nen der Gruppe Just Stop Oil, die seit Februar 2022 in Großbritannien alle möglichen Aktionen als Protest gegen die weitere Verwendung fossiler Energie durchzieht.

Bisher brachten die Klimaproteste Fahrzeuge auf Autobahnen zum Stillstand, störten die Ölversorgung, klebten sich an die Rennbahn eines Formel-1-Rennens oder an Gemälde in Londons Nationalgalerie.

Eben Lazarus, ein 22-jähriger Musiker, ist aufgrund solcher Einsätze vorbestraft. Seine heutige Aktion soll anders ablaufen, nämlich so, dass die Polizei den Protest ohne Konsequenzen durchgehen lassen könnte.

Einige der Just-Stop-Oil-Aktionen hatten zu Kritik geführt. Entsprechend hart ging die Polizei vor. All das führte zum Überdenken. „Heute werden wir nur langsam auf der Straße marschieren“, verrät Lazarus – weder Sekundenkleber noch eine Besetzung. Ein Marsch sei nach britischem Recht erlaubt. Trotzdem wurden am Montag bei einem ähnlichen Marsch zwei Ak­ti­vis­t:in­nen festgenommen.

Im Schneckentempo gegen die Klimakrise

In der Nähe des Londoner Stadtmuseums zieht die Gruppe also an diesem Dienstag mit Bannern auf die Straße. Gleich am Anfang fährt der Fahrer eines Kleinlasters wütend in die Gruppe und rammt Lazarus von hinten, bis sein Wagen durchkommt. „Nicht so schlimm wie beim letzten Mal, als ich fast überfahren wurde“, erzählt der 22-Jährige.

„No Oil, No Gas, No Coal“, skandiert die Gruppe nun. Und: „Ich gehe lieber in den Knast, als zu sterben.“ Ganze fünf Minuten dauert es, bis die Polizei mit Blaulicht anrückt. Ein Beamter unterhält sich sofort mit Sean Irish, der die Ak­ti­vis­t:in­nen anführt. Der Polizist will wissen, worum und wohin es gehe. Irish antwortet, es gehe um die Klimakrise und es ende, wenn die Ziele, Öl und Gas zu stoppen, erreicht seien.

Etwas später hat Irish den örtlichen Polizeichef Rob Ranstead neben sich. „Ich bin bereit, diese Demo durchgehen zu lassen, solange ihr weitermarschiert“, verkündet er nach verschiedenen Fragen, die Irish nicht richtig beantwortet.

Die zehn Aktivisten werden bald von bis zu 30 Be­am­t:in­nen mit speziellen Kameras verfolgt. Währenddessen lässt die Gruppe mehrmals Linienbusse und einen Krankenwagen passieren. So geht es mitten durch das Londoner Finanzviertel. Kurz vor der St.-Pauls-Kathedrale, nach einer guten Stunde, erklärt Sean den Marsch für beendet.

Polizeichef Ranstead, der immer noch dabei ist, erklärt Irish, dass er gerne wissen würde, wo dieser jetzt weiter hingehe. „Zu seiner Sicherheit“ würden ihm Beamte folgen. Was Ranstead nicht weiß, aber wahrscheinlich ahnt, ist, dass ein weiterer Protest im nördlichen Stadtteil Islington geplant ist.

Innenministerin will mehr verbieten

Festgenommen wurde niemand. Just Stop Oil hat an diesem Tag innerhalb der rechtlichen Grenzen protestiert.

Larch Maxey, der sich später dem Protest anschloss, erklärt der taz, dass das Problem die Ungewissheit sei, wie das Recht angewandt werde. Er schätzt, dass die Polizei die neue Proteststrategie – immer in Bewegung bleiben – erst mal tolerieren würde, bis sie sich darauf eingestellt hätte und härter eingreifen werde. So sei es auch gewesen, als er und andere im Namen von Extinction Rebellion Knotenpunkte Londons besetzten, und bei Aktionen gegen den Bau der Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke HS2. Da hatte sich Maxey in einem Tunnel verbarrikadiert.

Unter Premierminister Boris Johnson hatte das Parlament auf Betreiben der damaligen Innenministerin Priti Patel neue Gesetze verabschiedet, welche polizeilichen Einsatzkräften mehr Rechte verleihen, um Proteste einzuschränken. Bei „schwerwiegenden Unruhen“, Sachbeschädigungen oder „Störung des Lebens der Gemeinschaft“ ist es der Polizei nun explizit gestattet, das Demonstrationsrecht zu beschränken.

Der neuen Innenministerin Suella Braverman reicht das nicht. In einer neuen Gesetzesvorlage will sie weiter gehen. Laut der britischen Zivilrechtsgruppe Liberty sollen das „Aneinanderfestmachen“, Eintunneln, die Störung der „essenziellen nationalen Infrastruktur“ und noch viel mehr verboten werden.

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7 Kommentare

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  • Überall in Europa wird das "Problem" mit Polizeirepression "gelöst".

    Bravo! Xi Jinping wäre stolz auf Euch, Ihr Innenminister*innen!

  • Daniel Zylbersztajn-Lewandowski , Autor des Artikels, Auslandskorrespondent Großbritannien

    Ein paar Zusätzliche Punkte, die nicht mehr rein passten, aber vielleicht noch was zu meinem Bericht sagen. Lazarus gab an, dass eigentlich alle Bewegungen die zu Veränderung führten mit dem zivilen Ungehorsam zusammenhingen. Er nannte die Suffragettes, US-Zivilrechtsbewegung, Gay Rights Bewegungen, Außerdem gab er an, dass seiner Meinung nach der Marsch toleriert wurde, weil dieser relativ zu den vorherigen Aktionen als milde verstanden werden würde. Er glaubte, dass wenn sie so eine unangemeldete Demo vor all den anderen Aktionen versucht hätten, die Reaktion der Polizei anders gewesen wäre, also dass die Polizei das wahrscheinlich nicht toleriert hätte.

    Der Marsch war ausreichend, um allerlei Reaktionen hervorzurufen. Eine krasse, das in die Leute fahren, habe ich ja beschrieben. Andere Autofahrer und Motorradfahrer riefen böses, ich hatte aber das Gefühl, dass die Tatsache, dass sich beständig was bewegte zu etwas weniger frust führte, nicht zuletzt, weil Fahrer die Möglichkeit hatten an der nächsten Kreuzung abzubiegen. Mindestens ein Passant fragte die Polizei, weshalb sie dies tolerieren würden, andere versuchten mit den Aktivist:innen zu diskutieren. Die Gruppe gab sich beständig und freindlich bereit zur Diskussion. Manche nahmen Flugblätter entgegen (andere etwa eine Gruppe Bauarbeiter unter Gruppenzwang verweigerten es) während andere Passant:innen ihr Einverständnis mit der Sache kenntlich machten.

  • Eine Super-Idee: Zweispurig 40 km'h nebeneiander auf der Autobahn. Und für die Landstrasse viele viele Traktoren.....

    • @Dietmar Rauter:

      Und immer noch ist damit gegen die Klimaänderung ab-so-lut nix gemacht...

      • @Encantado:

        Dann wenigstens für die Entschleunigung des Alltags … individuelles und kollektives Ausbrechen aus dem Hamsterrad kann auch enorme Bewusstseinsprozesse freisetzen. Ich fürchte, fürs Klima ist es nur schon zu spät.



        Dass sich dennoch etwas zum Positiven bewegen kann - auch hinsichtlich des Konfrontationsabbaus zwischen Autofahrer*innen und Klimaaktivist*innen - zeigt diese intelligente Aktionsform und sie wird vom Autor in seinem Nachtrag zu dem Artikel ja eindrucksvoll bestätigt.



        Bitte weiter so mit zahlreichen gewaltfreien und kreativen Aktionen, liebe Klimaaktivist*innen … meinen Segen habt ihr.

    • @Dietmar Rauter:

      40 ist zu langsam um nicht als Verkehrshindernis eingestuft und abgestraft zu werden.

      Mit 80 aber kann einem keine*r was.



      Das ist ja die zulässige Höchstgeschwimdigkeit für LKWs auf mehrspurigen Strassen.



      AUf welchen die nur eine Spur in eine Richtung haben dürfen die grossen LKWs ohnehin nur 60 fahren.....

      Was nur KEINE*R macht und stillschweigend geduldet wird.



      Fast niemand fährt auf der AB unter 90. Und die, die auf LAndstrassen wirklich 60 fahren sind Eintagsfliegen.

      UND: 50 ist die Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften.



      MAn darf auch hier langsamer fahren.



      Tempo 30 ist von der EU aus Lärmschutzgründen in den meisten Fällen gefordert.



      Wird auch nur nicht umgesetzt bei uns.



      Man kanns aber einfach machen.

  • Startet da gerade ein Ideenwettbewerb zwischen den Aktivisten und der Politik?



    Ein Lauf zwischen Igel und Hase. Mal sehen wer mehr Potential hat.