Netzexpertin über digitale Gewalt: „Hatern nicht das Feld überlassen“
Hass im Internet bleibt nicht rein digital, sondern schränkt das Leben Betroffener stark ein, sagt Katharina Nocun. Sie sieht dringenden Handlungsbedarf, um Menschen besser zu schützen.
taz: Frau Nocun, eine Ärztin in Österreich ist massiven Bedrohungen im Netz und im realen Leben ausgesetzt. Jetzt ist sie tot. Müssen wir uns an solche Fälle gewöhnen?
Katharina Nocun: Nein, sondern wir müssen vielmehr aus solchen schrecklichen Ereignissen Konsequenzen ziehen. Und das heißt ganz eindeutig: Wir brauchen einen effektiven und starken Schutz für Opfer von Bedrohungen aus dem rechten und verschwörungsideologischen Milieu. Ein Teil der Gesellschaft hat diese Bedrohungen immer noch als harmlos abgetan. So nach dem Motto: Ja, die schreiben ja nur. Das kann ja ein 14-jähriger Teenager sein, der das schreibt. Aber für die Betroffenen sieht die Situation vollkommen anders aus. Man muss sich einfach klarmachen: Es gibt ein reales Gewaltpotenzial in der Szene.
Wird die Gefahr, die im Netz begann, nicht ernst genommen?
Meine Wahrnehmung ist, dass sich bei den Behörden in den letzten Jahren zumindest etwas verändert hat und man Kontakt zu den Opfern sucht. Das ist sicher auch eine Folge des NSU 2.0. In meinem Alltag erschlägt mich einfach die Menge. Ich poste zum Beispiel einen Thread zum Thema Maskenpflicht oder ein Bild von meinem Oberarm, dass ich mir die vierte Impfung geholt habe – und ich werde von einer Welle an Hass überrollt. Da ist alles dabei. Ich werde als Schlampe oder Fotze beschimpft. Andere sagen mir, dass der Tag der Abrechnung kommen wird oder ich dafür bezahlen werde. Vieles ist schwammig, aber es ist trotzdem eine Drohung enthalten. Es geht nicht nur um so ein bisschen Hass, sondern das Leben der Betroffenen ist stark einschränkt.
Wie reagieren Sie selbst auf die Bedrohungen und Beschimpfungen auf Twitter?
Ich könnte alles anzeigen, aber das schaffe ich einfach nicht. Aber solche Drohungen und Beschimpfungen verändern das Leben. Man macht sich plötzlich Gedanken über Sicherheitsvorkehrungen, man ist vorsichtig, wann man postet. Fotos vom Wohnort oder vom Standort, wo man sich gerade aufhält, kommen sowieso nicht in Frage. Man macht ein neues Schloss an die Tür, man hat Alpträume. Die krassesten Sachen blocke ich dann auch. Manchmal mache ich vorher Screenshots, oft aber auch nicht, weil mich das nur belastet. Und ich finde es gut, wenn andere Leute, die die Hassposts sehen, diese melden.
In den vergangenen Tagen haben etliche Twitter-User:innen wie der Anwalt Chan-jo Jun oder auch die Ärztin Natalie Grams-Nobmann ihre Konten auf sozialen Netzwerken stillgelegt oder gelöscht. Ist das auch ein Effekt, mit dem wir leben müssen?
Ich kann das nachvollziehen. Irgendwann fragt man sich, ob das Posten auf Social-Media-Kanälen nur noch Belastung ist, oder ob es das wert ist. Wenn irgendwann der Hass zu viel wird, dann steht das in keinem Verhältnis zu all dem schönen Austausch, den Kontakten auf den Plattformen. Als Expertin kann man ja auch Einfluss auf die Berichterstattung nehmen, auch zum Thema verschwörungsideologisches Milieu. Eigentlich wäre es ja wichtig, dass wir dem etwas entgegensetzen. Ich kann es aber auch verstehen, wenn Leute sagen: Ich habe keine Kraft mehr. Ich will den Hatern aber nicht das Feld überlassen.
ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin und publiziert zu Verschwörungsmythen oder der Analyse von Fake News. Von Mai bis November 2013 war sie politische Geschäftsführerin der Piratenpartei in Deutschland.
Auf Telegram wird der Tod der österreichischen Ärztin nahezu gefeiert. Müssten Telegram, Twitter und Co. nicht stärker einschreiten?
Oft ist die Rede davon, dass es an Geld mangelt, um mehr Personal einzustellen. Bei den Gewinnen der Unternehmen kann ich mir das aber nicht vorstellen. Meine Erfahrung ist, erst wenn viele Leute einen Post melden, dann wird er gelöscht. Das finde ich sehr frustrierend. Aber wir haben auch bei den Behörden sehr viele Baustellen. Jede Polizeistelle, egal ob in der Stadt oder auf dem Land, muss die Bedrohung aus dem Netz ernst nehmen. Es geht bei Weitem nicht nur um rechte Hetze oder Verschwörungsmythen, sondern auch um Antifeminismus, um Mobbing. Auch das kann Menschen in den Tod treiben.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.
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