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Netflix-Show „Love is Blind: Germany“Zu viel Fremdscham

Die wahrscheinlich beste Show „Love is Blind“ hat einen deutschen Ableger, der nicht überzeugt. Wieso ist Reality-TV hierzulande eigentlich so cringe?

Verloben, ohne sich zu sehen: Sind die Deutschen zu rational für so ein abgefahrenes Konzept? Foto: Netflix

Eigentlich ist alles genau gleich. Das Setting (Frauen und Männer daten sich in sogenannten Pods, in denen sie sich nicht sehen, sondern nur hören können), das Konzept („Blind“ Dates, gefolgt von Verlobung, erstem gemeinsamen Urlaub, Zusammenziehen, Hochzeit – und das innerhalb von vier Wochen) und die Dramen (einer kann sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden, bei der anderen sind die Eltern entsetzt über eine so schnelle Hochzeit, durch das Daten der gleichen Männer werden frische Freun­d*in­nen­schaf­ten auf die Probe gestellt).

Der deutsche Ableger von „Love ist Blind“ funktioniert genau wie die US-amerikanische Version. Doch obwohl das Original für mich die wahrscheinlich beste Dating-Show ist, überzeugt die deutsche Kopie gar nicht. Woran liegt das?

Grundsätzlich schafft gutes Reality-TV die perfekte Balance zwischen Identifikation und Fremdscham. Ich fühle mit den Kan­di­da­t*in­nen, wenn sie beim Dating betrogen werden oder weine vor Rührung, wenn sie sich am Ende doch das Ja-Wort geben. Doch wenn sie etwas wirklich Peinliches sagen oder tun, kann ich mir einreden, dass das alles nichts mit mir zu tun hat.

Alles, was die Kan­di­dat*in­nen von sich geben, ist peinlich. Alles, was sie tun, nicht nachvollziehbar

Deutschen Reality-TV-Shows gelingt diese Balance nicht. Sie verharren im Fremdscham-Modus. Egal ob „Der Bachelor“, „Love Island“ oder „Too Hot to Handle“: Alles, was die Kan­di­da­t*in­nen von sich geben, ist peinlich. Alles, was sie tun, nicht nachvollziehbar. Eine der wenigen Ausnahmen ist für mich die lesbische Datingshow „Princess Charming“, die es schafft, mich emotional zu berühren. Doch wieso gelingt das deutschen Dating-Formaten so selten? Oder ist gar nicht das deutsche Fernsehen das Problem, sondern vielmehr ich?

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Trailer „Love is Blind: Germany“

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Der größte Unterschied zwischen der US-amerikanischen und der deutschen Netflixshow sind die Kan­di­da­t*in­nen. In den USA kommen die Männer und Frauen aus verschiedenen Milieus, sind mal reicher oder ärmer, mal religiös, mal linksliberal, mal konservativ – doch sie eint, dass sie bereit sind, alles zu geben. Nach drei Dates „Ich liebe dich“ sagen? Kein Problem. Nach nur zwei Wochen die Eltern kennenlernen? Aber klar doch.

Die Kan­di­da­t*in­nen und ich

In Deutschland ist die Gruppe viel homogener, doch niemand will „all in“ gehen. Obwohl sich fünf Paare verloben, gesteht sich hier niemand die Liebe. Und ob sie den oder die Verlobte wirklich den Eltern vorstellen wollen, steht auch nicht für alle fest. Das klingt zwar alles sehr vernünftig und nachvollziehbar, doch so funktioniert kein gutes Fernsehen. Dafür braucht es Menschen, die den Mut zu übertriebener Romantik haben.

Doch das Scheitern des deutschen Fernsehens liegt nicht nur an den Kandidat*innen, sondern auch an mir. Mir fehlt die Distanz. Ich fühle mich den Teil­neh­me­r*in­nen näher – immerhin leben wir im gleichen Land, ich erkenne ihre Dialekte und kenne ihr Wohnorte, vielleicht sind wir uns sogar schon einmal über den Weg gelaufen – und fühle umso stärker den Drang, mich von ihnen zu distanzieren.

Wie, wenn die eigentlich sehr lustige Kandidatin Hanni ihren Verlobten Daniel im ersten gemeinsamen Urlaub auf Kreta ganz ernsthaft fragt: „Darf ich alles anziehen, was ich will?“ Es ist nicht so, als würden in den USA nicht auch ständig patriarchale Muster in den Beziehungen zutage kommen, doch hier sitze ich vor meinem Fernseher und schreie ihm entgegen: „Geht’s noch? Du kannst doch nicht deinen Mann fragen, wie du dich kleiden darfst!“ Ich schäme mich für ihre Frage.

Die Staffel fertig gucken werde ich trotz aller Fremdscham und fehlender Distanz. Denn auch eine schlechte Kopie von „Love is Blind“ ist noch immer unterhaltsamer als vieles, was das deutsche Reality-TV ansonsten zu bieten hat. Und letztlich will ich natürlich wissen, ob Hanni mit Daniel vor den Altar tritt oder sich am Ende doch noch für Ilias entscheidet.

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15 Kommentare

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  • Einfach abschalten.

  • :-). Die Balance passt sich vielleicht an die Peinlichkeit des Zielpublikums an.

  • Als ich das erste Mal die Sendung wahrgenommen habe war, dass die Vorschau auf Netflix, ich meine für die brasilianische Version. Und ich dachte mir nur, was für ein kranker, kaputter Mist!

  • Ist der Autorin bewusst, dass diese Formate alle mindestens zum Teil gescripted und ansonsten zum Zwecke der Dramatisierung geschnitten sind? Da ist so gut wie nichts spontan.

  • Wer sowas für Journalismus hält, von linkem gar nicht zu reden, hat kein Abo verdient. Sorry, taz.

    • @Kanuka:

      Yep - Meine Rede seit 1967.

  • Wir Deutschen sind einfach zu verklemmt, zu ernst.

  • Ich habe da noch eine Theorie anzubieten: Deutsch ist meine Muttersprache aber Englisch spreche ich praktisch genauso gut. Trotzdem gibt es einen entscheidenden Unterschied dazwischen: Beleidigungen und andere auf Emotionen zielende sprachliche Konstrukte erreichen mich auf emotionaler Ebene nur auf Deutsch.



    Das liegt nicht daran, dass ich die Beleidigungen auf Englisch nicht verstehen würde; aber auf Englisch ist das eine intellektuelle Übung, die mich eher amüsiert.



    Umgekehrt: Auf Englisch finde ich nur wenig cringe (denn dazu müsste mich das auf Englisch emotional erreichen); das passiert mir viel eher auf Deutsch.

    Bleibt die Frage: Ist die Autorin des Artikels muttersprachlich Deutsch oder Englisch?



    Wenn Deutsch, dann liegt es evtl einfach an der Sprache...

    • @lundril:

      Dürften Sie einen wichtigen Punkt ansprechen.

  • "Denn auch eine schlechte Kopie von 'Love is Blind' ist noch immer unterhaltsamer als vieles, was das deutsche Reality-TV ansonsten zu bieten hat."

    Ja, aber, ... Das muss sich niemand freiwillig ansehen.

  • Reality-TV ist nicht nur hierzulande "cringe".

  • was ist cringe?

    • @Brot&Rosen:

      Im deutschen Sprachgebrauch (Jugendsprache) ist damit meist fremdschämen gemeint oder einfach nur ein unangenehmes, seltsames Verhalten.

  • 'Die wahrscheinlich beste Show „Love is Blind“ hat einen deutschen Ableger, der nicht überzeugt'

    Ernsthaft? Es kann nicht einfach sein, dass das Format an sich deppert ist?

    • @EffeJoSiebenZwo:

      Es ist global eines der erfolgreichsten Netflix-Formate. Staffel 7 war wochenlang die meistgesehene Serie weltweit. Wir fanden vor allem die internationalen Ableger spannend der kulturellen Unterschiede wegen. Das deutsches TV generell peinlich bemüht daher kommt und wir einfach kein Entertainment können, ist eine wahrscheinlichere Erklärung.