Naturschutzgebiete schlecht gemanagt: Deutschland drohen hohe Bußgelder
Schlamperei und Mängel beim Naturschutz: Die EU-Kommission verklagt die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof.
Es geht um die Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie zum Erhalt natürlicher Lebensräume sowie zum Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen. Im Kern weist sie in den EU-Staaten Schutzgebiete aus. Sogenannte Erhaltungsziele sollen den Bestand von Arten schützen oder wiederherstellen. Bereits 2015 hatte die EU-Kommission ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, bisher hat Berlin die Bedenken nicht ausgeräumt. Dabei sei die „Frist für die Vollendung der notwendigen Maßnahmen für alle Gebiete in Deutschland“ in einigen Fällen schon vor mehr als zehn Jahren abgelaufen.
Die EU-Kommission bemängelt unter anderem, dass „die für die einzelnen Gebiete in Deutschland festgelegten Erhaltungsziele nicht hinreichend quantifiziert und messbar“ seien. Sie geht davon aus, dass es in allen Bundesländern und auf Bundesebene Praxis war, „für alle 4.606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine hinreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festzulegen“. Dies habe „erhebliche Auswirkungen auf die Qualität und Wirksamkeit“ der Maßnahmen.
„Die Klage war lange überfällig“, sagt die Grünen-EU-Abgeordnete Jutta Paulus. Die Bundesregierung lasse es auf eine höchstrichterliche Entscheidung ankommen, statt sich an Gesetze zu halten. „Für ein Land, das sich gerne als umweltpolitischer Vorreiter inszeniert, ist das peinlich“, so Paulus.
„Die unterfinanzierten staatlichen Naturschutzstellen in den Ländern brauchen endlich eine ausreichende Finanzierung“, fordert Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), „hoffentlich rüttelt die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof die Politik wach“. Es wäre sinnvoller Naturschutz ausreichend zu fördern, statt Strafen zu zahlen, so Bandt. Tausende Ehrenamtliche widmeten sich in ihrer Freizeit dem Schutz und der Pflege von Naturschutzgebieten, ohne sie sähe die Naturschutzbilanz Deutschlands noch düsterer aus, betonte er.
Zum Beispiel der Schweinswal
Der Umweltverband Nabu kritisiert vor allem, dass sich Bund und Länder nicht an Vorgaben halten, zu denen sie sich vor fast 30 Jahren selbst verpflichtet hätten. „Es ist ein Unding, dass dies Jahrzehnte nach Inkrafttreten der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie noch erstritten werden muss“, sagt Raphael Weyland, EU-Umweltrechtsexperte des Nabu. Die Konsequenzen der mangelhaften Natura-2000-Umsetzung seien etwa in Nord- und Ostsee nicht zu übersehen. Zuletzt hätten Wissenschaftler einen Rückgang des streng geschützten Schweinswals in seiner Kinderstube im Sylter Außenriff um jährlich fast 4 Prozent in den vergangenen zwei Jahrzehnten dokumentiert. Weder in Schutzgebieten noch in wichtigen Wanderkorridoren werde Deutschlands einziger heimischer Wal wirksam vor den Auswirkungen von Fischerei, Schifffahrt oder Offshorewind geschützt.
Die nächste Bundesregierung müsse die Naturschutzfinanzierung so ausgestalten, dass der Bund die Länder bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie besser unterstützt als bisher, sagt Johann Rathke, Koordinator für Agrarpolitik und Landnutzungspolitik des WWF Deutschland. „Mit naturschutzpolitischer Kleinstaaterei kommen wir nicht weiter“, so Rathke. (mit dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein