Nato wird 75 Jahre alt: Ringen um Einigkeit und Torte
Friedliche Zeiten sind wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nicht in Sicht. Das Militärbündnis ist gefordert wie selten zuvor.
Ginge es nach den 32 Nato-Staaten, sollte der 75. Geburtstag des Militärbündnisses eine Art Fest des Friedens werden. Doch im Jahr 3 des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine steht das Bündnis mehr denn je unter Druck. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba trübte die gute Stimmung gleich zu Beginn der Feierlichkeiten am Donnerstag in Brüssel mit eindeutigen Forderungen.
Mehr Flugabwehrsysteme müssten an die Ukraine geliefert werden – und zwar konkret Patriots. In den vergangenen Wochen hatte die russische Armee verstärkt wieder Energieversorger, Wohngebäude, Schulen und Turnhallen beschossen. Auch in der Nacht zu Donnerstag attackierten Drohnen Charkiw in der Ostukraine, mindestens vier Menschen starben, etliche weitere wurden verletzt.
Laut Kuleba ist das Patriot-Flugabwehrsystem deshalb so wichtig, weil es das einzige System ist, das ballistische Raketen abfangen kann. Der ukrainische Außenminister richtete seine Forderung auch an den Nato-Ukraine-Rat, der sich am Donnerstag in Brüssel traf.
Derzeit stocken Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine, da die Verbündeten mit ihren Zusagen nicht hinterher kommen. Zwar gibt es einzelne Initiativen – etwa unter Federführung Tschechiens – die Vorräte der Verbündeten zusammenzuziehen, um Lieferungen zu beschleunigen. Der Faktor Zeit beeinflusst derzeit massiv das Kriegsgeschehen.
Keine Partythemen: Geld, Waffen, Nachfolge
Die große Unbekannte sind die USA. Seit Wochen hängt ein Hilfspaket für die Ukraine im US-Kongress fest und wird von republikanischer Seite blockiert. Eine Einigung scheint nicht in Sicht. Die Hängepartie ist einer der Gründe, warum sich die europäischen Staaten unabhängiger von den USA machen wollen. „Ich glaube nicht an Amerika allein“, bekräftigte Nato-Chef Jens Stoltenberg bei der Feierstunde. „Ich glaube an Amerika und Europa zusammen.“
Während sich Stoltenberg und die Außenminister:innen der Nato-Staaten noch eine Schokoladentorte mit der Aufschrift „NATO“ und „OTAN“ – für die beiden offiziellen Bündnissprachen Französisch und Englisch – anlässlich des Geburtstages teilen, müssen dringende Fragen spätestens bis zur großen Jubiläumsparty im Juli in Washington geklärt sein. Allen voran die weitere Koordinierung der Waffenlieferungen an die Ukraine und eine langfristige Unterstützung.
Stoltenberg hatte vor Beginn des Treffens ein 100-Milliarden-schweres Paket vorgeschlagen – Geld, dass sich aus den Haushalten der Verbündeten speisen soll. Der Vorschlag kommt nicht bei allen Mitgliedern gut an.
Deutschland und Spanien reagierten bisher verhalten und fordern einen konkreten Plan für die Verwendung des Geldes. Mit dem russischen Angriffskrieg tauchen auch alte Forderungen aus den USA wieder auf: Die europäischen Nato-Verbündeten sollen mehr Geld für ihre Verteidigung ausgeben. Derzeit halten nur rund 20 Staaten die geforderte Quote von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein, darunter Deutschland.
Und eine weitere Großbaustelle muss die Nato bewerkstelligen: die Nachfolge Stoltenbergs. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte bewirbt sich um den Posten und wird von den USA, Großbritannien oder Deutschland unterstützt. Kürzlich hatte auch der rumänische Präsident Klaus Iohannis seinen Namen ins Spiel gebracht. Er ist ein durchaus ernstzunehmender Kandidat für den Chefposten. Vor allem, da Rutte von Ungarn und der Türkei nicht gestützt wird. Ein offizielles Prozedere für die Nachfolge gibt es nicht, es wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Gewicht haben die USA sowie führende EU-Staaten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste