Nato-Chef:innen-Amt: Es wird Zeit für eine Frau
Die Nachfolge von Nato-Chef Jens Stoltenberg wird spannend, Favorit Mark Rutte bekommt Konkurrenz. Es gibt fachlich sehr gute Kandidatinnen.
M ehr als zwei Jahre dauert der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nun an. Die Zeit seit Putins Invasion hat, praktisch als Begleiteffekt, auch eines gezeigt: Starke Frauen in der Sicherheitspolitik sind keine Seltenheit. Auf wissenschaftlicher Ebene gibt es etliche Frauen, die seit Jahren zu Nato, Militär und Verteidigung forschen und nun endlich in den Vordergrund rücken. So bitter es klingt: Das Thema hat nun mal Konjunktur. Wäre es dann nicht auch an der Zeit, im größten Militärbündnis der Welt – der Nato – eine Frau an die Spitze zu hieven?
Derzeit läuft eine angespannte Debatte um die Nachfolge des derzeitigen Generalsekretärs Jens Stoltenberg. Eigentlich wollte dieser längst an der Spitze der norwegischen Zentralbank stehen, doch der Krieg bescherte ihm eine zweifache Verlängerung. Im Herbst nun will er abtreten. Der Posten soll im Konsens der mittlerweile 32 Mitgliedstaaten vergeben werden.
Klar ist, dass die USA und Länder wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland ein wichtiges Wörtchen mitzureden haben. Die haben sich bisher auf den Niederländer Mark Rutte eingeschworen – einen Strategen, einer, der gut in das zementierte Bild des Militärbündnisses passt. Widerstand gegen den Niederländer gibt es bisher vor allem aus Ungarn – der Konsens ist also alles andere als ausgemacht.
Spätestens seit Kriegsbeginn gibt es zudem den starken Wunsch, die östliche Seite des Bündnisses auch an der Spitze zu stärken. Zuletzt erklärte der rumänische Präsident Klaus Iohannis seine Kandidatur. Auch aus den baltischen Staaten kommen Begehrlichkeiten. Aus ihrer unmittelbaren geografischen Nähe zum Kriegsgebiet sind es diese Staaten inklusive Polen und auch die Slowakei, die innerhalb der Nato neues Gewicht einnehmen.
Die zentrale Frage ist: Welche Ausrichtung hat das Militärbündnis künftig? Soll es darum gehen, sich gegen die militärische Bedrohung zu wappnen und auf Abschreckung zu setzen? Oder braucht es den breiten Blick auf hybride Kriegsführung? Der Krieg mitten in Europa hat die Nato in vergangen gedachte Zeiten katapultiert. Auf ein:e Kandidat:in aus Osteuropa zu setzen, würde dem wohl gerecht werden. Eine echte Reform wäre es nicht. Eine weibliche Spitze schon.
Ein starkes Zeichen wäre die estnische Premierministerin Kaja Kallas. Klar in der Ansage an Putin, stark in der Führung eines modernen Staates. Interessant wäre auch die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová, deren Amtszeit bald endet. Eine ernstzunehmende Kandidat:in wäre zudem die kanadische Finanzministerin Chrystia Freeland. Sie könnte ein Kompromiss für diejenigen sein, die eine zu starke Betroffenheit der neuen Chef:in durch den Krieg mit Russland scheuen. Freeland hat ukrainische Wurzeln und vertritt ein Land, das in der Nato in den vergangenen Jahren starke Ambitionen zeigte. Aus Skandinavien kommt eine ebenso kompetente Personalie: Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen wäre wohl nicht abgeneigt.
Kandidatinnen gäbe es also genug. Zudem: Eine Frau an der Nato-Spitze wäre ein deftiger Affront gegen den russischen Präsidenten. Ein Zeichen aus einer demokratischen, freiheitlichen Welt, das Gegenteil diktatorischen Macho-Gebarens.
Im Sommer will die Nato ihr Jubiläum feiern. Mit einem Bekenntnis zu militärischer Stärke, mit starken Führungskräften, die dem russischen Präsidenten Putin die Stirn bieten, mit Geschlossenheit. Die weiblichen Kandidatinnen brächten alles mit, um diese Kriterien zu erfüllen. Und US-Präsident Joe Biden könnte mit einer weiblichen Personalie guten Gewissens echte Fortschritte vermelden. Zeit wäre es – nach 75 Jahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!