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Nachruf auf Rosa von PraunheimWie bitte, Rosa ist tot?

Im Alter von 83 Jahren ist Rosa von Praunheim gestorben. Er war eine Legende – schon zu Lebzeiten.

Der Filmemacher Rosa von Praunheim, fotografiert im April 1988 Foto: Ingo Taubhorn

Wie bitte? Hatte er nicht neulich noch seinen Lebensgefährten Oliver Sechting zeremoniell akkurat und mit den Engsten ihrer Freundesschar in Berlin-Schmargendorf geheiratet, einander Ja gesagt, was sie ohnehin schon seit 2008 taten? Musste man dies nicht als Zeichen wenigstens halbwegs ewigen Lebens deuten, dass da einer wie der als Holger Bernhard Bruno Mischwitzky in Riga, Lettland, geborene Mann den bürgerlichen Tripp der Ehe beschreitet?

Im Gegenteil, alles war nur folgerichtig. Rosa von Praunheim – der Künstlername, der zu Lebzeiten zur Legende werden konnte – liebte das Unerwartete, das Unkonventionelle, das eventuell nur für ihn Naheliegende. In seinem Fall: der standesamtlich besiegelte Bund für immer, in guten wie in schlechten Zeiten, nun mit zwei Ringen, geziert von türkisfarbenen Fröschen.

Nun ist Rosa von Praunheim in Berlin gestorben, er gab schon vorher bekannt, dem Tod gelassen entgegenzusehen, sein Leben sei gelebt. Und wie! Ein Nachruf zu seinem Leben ist unmöglich zu verfassen, müssten alle Details seines Werks, seines Tuns, seines Ruhms en détail genannt werden, einen sehr guten Überblick gewinnt, wer die Wikipedia-Seite studiert, sie ist in gebotener Weise sehr ausführlich.

Aber die vielen Worte verfehlen, ohne böse Absicht, die Wucht, mit der Rosa die deutsche Kultur, und nicht nur diese, seit Ende der sechziger Jahre aufmischte, bereicherte und durch eigenes Engagement heftig erschütterte.

Rosa von Praunheim zählte schon in den aufrührerisch werdenden sechziger Jahren zu den herausragenden Exemplaren der neuen Kinoavantgarde – der er immer verbunden blieb. Ihm konnte kein auf Kinotauglichkeit hin orientierter Mainstream etwas anhaben, er hatte auch nicht diesen Ehrgeiz, possierlich und ehrpusselig zu werden. Dieser schwule Mann kümmerte sich schon vor der Entnazifizierung des Paragrafen 175 im Jahr 1969 zu den indiskreten schwulen Figuren der neuen Filmszene.

Er musste sich kein schwules Coming-out abringen, er begehrte Männer, er verhehlte es nicht, er hatte keinen Sinn für den Preis einer Karriere, die es kostet, geoutet zu werden: Rosa von Praunheim war insofern – privat, vor allem ästhetisch – nie erpressbar: Er fühlte einfach nicht, dass man ihn kleiner kriegen könnte.

1971 schließlich sein erstes öffentliches Monument: Sein (mit dem ebenfalls aufbegehrenden Jungstar der Sexualwissenschaft, Martin Dannecker entwickelter) Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ lief im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Was sowieso Skandal machte. Aber extra noch deshalb, weil der Bayerische Rundfunk die Ausstrahlung verweigerte, da sittlichkeitsverderbend und so weiter und so bullshit aus heutiger Sicht.

Der Film wurde, durch Praunheim selbst heftig befördert, zum ästhetischen Gründungsakt der bundesdeutschen Schwulenbewegung (die das Wort „homosexuell“ ablehnte und sich lieber das hässlich schmähend gemeinte „schwul“ anzog): Die an Universitätsorten gegründeten Homogruppen, etwa die Homosexuelle Aktion Westberlin, waren die Marker eines nach heutigem Sprachgebrauch queeren Aufbruchs.

Schwules, so Praunheim, war nix zum Schämen, sondern zum Stolzsein, ein Anlass zur Dissidenz, zum Krawall, zum lauten Sein als Abschied von den Zeiten, die als Tyrannei der Diskretion verstanden werden können. Rosa, ließe sich sagen, hatte nie Lust auf umständlich gemanagte Diskretion, er wollte sagen, was Sache ist. Er stritt gegen die Aidshilfebewegung in den achtziger Jahren, weil er strikte sexuelle Enthaltsamkeit forderte.

Er kannte die US-amerikanischen Verhältnisse, wo in den schwulen Zentren New York City und San Francisco an dieser Infektionskrankheit Hunderttausende im Laufe der Jahre, alleingelassen von der konservativ-unmenschlichen Reagan-Administration, dahinrafften. Er, der mit einem Buch 1979 von der „Armee der Perversen“ schrieb, die es seit den „Stonewall“-Aufständen in der New Yorker Christopher Street nicht mehr nur dort gab, er brachte dem deutschen Publikum erst bei, dass moderne Emanzipation nicht ohne Aufruhr und Geschrei geht – „Act Up“, so sein Credo in der Ära der Aidsepidemie, bedeutet, sich nicht dem Staat und seiner Gesundheitspolitik zu unterwerfen.

Mit anderen Worten: Rosa von Praunheim, der auf einem „Heißen Stuhl“ in den frühen Neunzigern Alfred Biolek und Hape Kerkeling als schwul zwangsoutete, weil deren Schweigen in eigener Sache, damals noch politisch zu verstehen war, was die besonders in Deutschland erdrückende Homophobie hartnäckig am Leben hielt. Überhaupt zehrte er, neben all seinen Filmen, Theaterinszenierungen, öffentlichen Impulsen und immer von alter, biografisch unvermarktbar zu verstehender Wut, die nötig ist, um politisch nicht allzu gemütlich zu werden.

Bis zum Schluss pflegte er einen grellen bis schrillen Habitus, Hingucker durch und durch, nix mit dem Geschmack der Arrivierten, zu denen er längst gehörte. Rosa von Praunheim ist nicht nur ein Stück Weltkulturerbe mit epochalem Werk, ein Mann der Unruhe und der fehlenden Kompromissbegabung. Er hatte das Glück, weitgehend öffentlich-rechtlich gefördert worden zu sein – sein Publikum durfte dankbar sein. Wie wir, die um ihn trauern, es sowieso seit Jahrzehnten sind.

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2 Kommentare

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  • ... manche — so empfindet man — sind eigentlich immer da. Dann sind sie plötzlich fort und es genauso plötzlich unendlich traurig.

  • Ich liebe seinen Film "Die Bettwurst" mit den beiden HeldInnen Luzi und Dietmar - deren exaltierte Sprechweise ist legendär. Der Film nimmt das vermeintliche "Liebesglück" des kleinen Mannes so richtig auf die Schippe.