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Nach der Wahl in ThüringenDer Cowboy lenkt ein

Thomas Kemmerich wird wohl als Kurzzeitministerpräsident in die Geschichte eingehen. Neuwahlen sind aber noch nicht ausgemacht.

Tritt in Cowboystiefeln ab: Thomas Kemmerich Foto: Hannibal Hanschke/reuters

Erfurt/Dresden taz | Als sich am Donnerstagmittag DemonstrantInnen vor der Thüringer Staatskanzlei versammeln, ist noch nicht absehbar, dass schon gute zwei Stunden später ihr Wunsch zumindest zum Teil in Erfüllung gehen würde. Mehr als tausend Leute werden es wenig später sein, die zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen vor allem eines fordern: den Rücktritt des neuen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich von der FDP, der am Tag zuvor mit den Stimmen der AfD gewählt worden war – und Neuwahlen.

Als einer der RednerInnen fordert: „Herr Kemmerich, treten sie ab!“, brandet Applaus unter den Demons­trantInnen auf. Dann rufen sie: „Rücktritt, Rücktritt, Rücktritt!“, und klatschen rhythmisch dazu.

Ob Kemmerich, der seit Mittwochabend in der Staatskanzlei residiert, das hört, darf man bezweifeln. FDP-Chef Christian Lindner ist zum Gespräch angereist, es heißt, er wolle Kemmerich zur Umkehr bewegen. Noch am Morgen hatte dieser einen Rückzug und Neuwahlen abgelehnt.

Dieser Rücktritt muss ohne Wenn und Aber erfolgen

Dirk Adams, Grüne

Das Krisengespräch der beiden zieht sich, die anschließend anberaumte Pressekonferenz verzögert sich. Erst heißt es, Lindner und Kemmerich träten gemeinsam auf, dann ist von getrennten Terminen die Rede. Auch die Reihenfolge ändert sich, ebenso der Ort. Die JournalistInnen hetzen von der Staatskanzlei in ein Hotel, dann wieder in die Staatskanzlei.

Breitbeinig und in Cowboystiefeln

Um kurz nach zwei steht Kemmerich dann dort vor den Kameras, wie immer breitbeinig und in Cowboystiefeln. Da ist die Meldung längst über die Nachrichtenagenturen gelaufen: Die FDP will einen Antrag auf Auflösung des Landtags stellen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Gerade 25 Stunden hat Kemmerich durchgehalten.

Mit diesem Schritt, sagt der FDP-Politiker dann, wolle man den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen. „Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten, die sich offensichtlich in diesem Parlament nicht herstellen lassen.“ Und weiter: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD gab es nicht, gibt es nicht und wird es nicht geben.“ Auch seinen eigenen Rücktritt als Ministerpräsident kündigt er an, konkret wird er dabei aber nicht. Wann sein Rücktritt formal vollzogen wird, war am Donnerstag noch unklar.

Zu seiner Kehrtwende gezwungen, so der Kurzzeitministerpräsident auf Nachfrage, habe ihn niemand, aber man habe sowohl die öffentlichen als auch die parteiinternen Reaktionen bewertet. Er habe „in den letzten Tagen immer in Kontakt mit Herrn Lindner gestanden“, so Kemmerich weiter. Und dann spricht er wieder von einem „perfiden Trick“ der AfD.

Dabei hatte er am Abend zuvor bereits zugegeben, dass er und seine Fraktion die Möglichkeit, dass die extrem Rechten für Kemmerich stimmen könnten und er so ins Amt komme, durchaus in ihre Überlegungen einbezogen hätten. Hat er einen Fehler gemacht?, will dann ein Journalist wissen. „Nein“, sagt Kemmerich. Mehr nicht.

Neuwahlen, und dann?

Wie es nun genau weitergeht? Um tatsächlich Neuwahlen herbeizuführen, braucht Kemmerich die Unterstützung anderer Fraktionen im Landtag. Mit der CDU habe er über eine Parlamentsauflösung gesprochen, sagt der Noch-Ministerpräsident, aber wie sie entscheide, wisse er nicht. Eine Sitzung von Vorstand und Fraktion hat der CDU-Landesverband für den Abend angesetzt.

Bislang hatte die Landes-CDU eine zweite Wahl strikt abgelehnt – wohl auch aus taktischen Überlegungen. „Die bürgerliche Mitte würde bei Neuwahlen weiter geschwächt“, begründete Generalsekretär Raymond Walk diese Verweigerung im Sender Phoenix. In Umfragen war die Union Ende Januar auf 19 Prozent abgerutscht, während die Linke und Bodo Ramelow nochmals zulegten.

Dass Linkspartei, Grüne und SPD bei Kemmerichs Neuwahlplan einfach so mitspielen, ist aber ebenfalls nicht gesagt. Darauf weist zum Beispiel die Aussage von Dirk Adams hin. Der taz sagt der Grünen-Fraktionsvorsitzende, Thomas Kemmerich müsse zunächst Klarheit über seine Rücktrittsabsichten schaffen. „Dieser Rücktritt muss ohne Wenn und Aber erfolgen“, fordert Adams für seine bündnisgrüne Fraktion. FDP und auch CDU müssten außerdem erklären, wie es personell bei ihnen weitergehen solle.

„Es muss aber nicht um jeden Preis Neuwahlen geben“, sagt Adams. Damit lässt er die Möglichkeit eines zweiten Anlaufs zur Wahl von Bodo Ramelow im Landtag offen und damit doch zu einer Fortsetzung der ­Koalition von Linker, SPD und Grünen, wenn auch ohne ­eigene Mehrheit. Allerdings hätte man es weiterhin mit dem gleichen und jetzt moralisch verschlissenen Personal im Landtag zu tun.

Doch Ramelow?

Sollte es nach Kemmerichs angekündigtem Rücktritt zu einer neuen Ministerpräsidentenwahl im Landtag kommen, würde Bodo Ramelow erneut als Kandidat für eine rot-rot-grüne Regierung zur Verfügung ­stehen, erklärt der Vizelandeschef der thüringischen Linken, Steffen Dittes. Er sei von ­seiner Partei „ausdrücklich legitimiert“, dies mitzuteilen, sagt er.

Nach Angaben des SPD-Fraktionsvorsitzenden Matthias Hey würde sich Ramelow nach seiner möglichen Wiederwahl dennoch für Neuwahlen einsetzen, um klare Mehrheitsverhältnisse herzustellen. Hey und die SPD fordern in einem Brief ebenfalls den sofortigen Rücktritt Thomas Kemmerichs als Ministerpräsident. „Wir sind verwirrt über seine Aussagen in der Staatskanzlei“, sagte der Fraktionschef der taz.

Hey ist überzeugt, dass der unselige 5. Februar negative Spuren bei den Wählern hinterlassen hat und man um neues Vertrauen werben müsse. Aber auch die SPD zeigt sich trotz aktueller Prognosen von nur noch sechs Prozent für Neuwahlen aufgeschlossen. Denn so oder so bleibt dem aktuellen Landtag ein Makel: Eine Koalition mit eigener Mehrheit ist nicht in Sicht.

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31 Kommentare

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  • Herr Kemmerich sagte ja so vollmundig, er und seine Fraktion wollten den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen.



    Also das Amt hat diesen Makel nicht, sondern er.



    Das wäre so, als wenn ich mit meinem Audi einen Menschen überfahre und dann offentlich erkläre: "Ich gebe mein Auto ab, um die Marke Audi vom Makel der Tötung zu befreien."

  • diese farce ist wirklich unglaublich.







    es ist nun mal so, dass ca. 25% der wähler:innen (nicht der bevölkerung) kein problem damit haben, rechtsradikale zu wählen. wer weiter eine repräsentative demokratie möchte, muss damit leben.

    ok. jetzt wird Bodo Ramelow doch MP aber die AfD hat auch blut geleckt.



    was ist denn, wenn die faschos gesetzesinitiativen der rrg-minderheitsregierung zustimmen?

    • @rsm:

      Damit wird man leben müssen. Alles andere würde bedeuten, sich von den Faschos erpressen oder zumindest vor sich hertreiben zu lassen.

      Und natürlich würde die Alternative für Dumme jedes Mal süffisant angeben, sie sei der Mehrheitsbeschaffer gewesen. Deswegen hat Ramelow recht, dass es Neuwahlen und dann eine stabile Regierung geben muss. Die CDU wird Sitze verloren haben, die FDP wird raus sein... könnte passen.

  • FDP halt.



    Formal legal, aber ohne innere moralische Rechtfertigung.



    youtu.be/Pe9NYZfTBJ4?t=380

  • Das getrickse des landesvaters-von-afd-gnaden geht weiter.



    Er behauptet zurücktreten zu wollen, nur er tut es nicht. Stattdessen bemüht er allerlei verfahrenstechnischen unsinn um zu verzögern und zu vernebeln. Vielleicht sollte er mal seine eigene verfassung lesen. Die ist sehr deutlich: "Artikel 75(1) Die Landesregierung und jedes ihrer Mitglieder können jederzeit ihren Rücktritt erklären."

  • Also haben CDU, FDP und AfD eine geheimen Komplott geschmiedet und Linke, Grüne und SPD haben nichts geahnt..... Aha



    Was ist schlimmer: Dummheit oder Unfägigkeit ?

  • Die derzeitige FDP-Minderheitsregierung war doch vorherzusehen. Hatte der Postillon schon nach der Landtagswahl gewusst (Variante 2): www.der-postillon....gen-regierung.html ;-)

  • Dirk Niebel hat der deutschen Welle heute ein Interview gegeben, in dem er genau das prophezeit hat, was ich mir heute Nachmittag auch schon gedacht habe.

    Sollte es einen neuen Anlauf geben, wird die AfD für Ramelow stimmen und dann hat der aber mal ein echt fettes Problem!

    Ich tippe darauf, dass das gleich im ersten Wahlgang geschieht, wo er die absolute Mehrheit braucht. Die wird ihm die AfD verschaffen. Dann hat er nur noch die Wahl, sich entweder mit Hilfe der AFD wählen zu lassen oder auf das Amt zu verzichten.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Linkspartei, CDU und Grüne könnten einen Ministerpräsidenten der SPD wählen und dieser regiert dann ohne Koalition mit wechselnden Mehrheiten.

  • Für die CDU & FDP ist es am Ende ein Erfolg Herrn Ramelow aus dem Amt gehoben zu haben. Das wird sich am Ende bei den nächsten Wahlen auszahlen. Jetzt kann Herr K. den Amtsbonus einheimsen. Auch die zwischenzeitlichen Minister werden punkten ... und wenn die CDU nicht will, gibt es nicht mal Neuwahlen ... wird noch spannend.

    • @TazTiz:

      FürHerr Ramelow ist es ein Erfolg dass die FDP ihm mittels Neuwahlen die Möglichkeit gibt absolute Mehrheiten zu organisieren

  • Und jetzt?



    Wird so lange Gewählt bis Ramelow MP ist?



    Das das mit Demokratie nichts mehr zu run hat ist schon allen klar? Wenn jetzt Neuwahlen kommen und die AfD wieder 5% mehr haben, dann kann ich nur sagen Applaus Applaus, alles richtig gemacht. Ich verstehe den Kampf, sowohl gegen extrem rechte als auch gegen extrem linke Parteien. Aber wenn wir demokratischen Wahlen revidieren, weil uns das Ergebnis nicht passt, dann machen wir die Ränder stärker, und das kann keiner wollen.

    • 6G
      68514 (Profil gelöscht)
      @Casi12:

      Welche linksextreme Partei war denn hier beteiligt? Klären Sie mich mal auf.

  • Ich nehme an, Kemmerich wurde gestern direkt nach der Auszählung gefragt, ob er die Wahl annimmt. Das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, "nein" zu sagen.

  • Mann, mit ein wenig Cleverness könnte der ephemeroptere Ministerpräsident ja behaupten, er hätte aufzeigen wollen, dass es keine Chance auf Machtbeteiligung oder Ermächtigung der Björnberndianer gibt, er nur zum Schein annahm, um die Errniedrigung der antiliberalen Reaktionäre besonders drastisch rüberkommen zu lassen.



    (Ätschi ihr Looser!- Bätschi ihr Alternativfaktenopfer!)



    Realistisch- mit 5% Landeschef werden können- dass ist der Jackpot, da fällt das Nein zur Höchstrendite in der Politik schwer, auch wenn es ein brauner Jauchepott ist).



    Insgesamt aber bin ich positiv überrascht - zeigten schlussendlich doch Liberale und Konservative so etwas wie Rückgrad und verzichteten auf ein Durchregieren, was ja möglich gewesen wäre, da man davon ausgehen darf, dass die Afd durch Abnicken von Regierungsbeschlüssen ´Bourgeoisiekompatibilität´hätte vorschützen können, um FPÖgleich an die Macht zu kommen (Quasi eine Ostmark auf der Spur der Anderen). Das scheint für heute erstmal gebannt - puh, !

    • @Euromeyer:

      Sehnst. Die FDP macht den Weg frei, damit die Linkspartei mit verstärkter Macht wieder die Ostmark übernehmen kann. Was ist der Ramelow doch für ein schlauer Pudel. Das war bestimmt alles eingefädelt und so geplant. Die AfD als dummes Bäuerchen im Schachspiel der Linkspartei :-)

      • @Rudolf Fissner:

        Links ist nicht so Ihr Ding, Herr Fissner, gell!?



        FDP-Kemme muss Sie da also mit dem missglückten Höcke-Klimmzug sehr, sehr enttäuscht haben.



        Ich fühle mit Ihnen...

        • @Linksman:

          PS. Warum verteidigen Sie eigentlich immer die Pseudolinke?

        • @Linksman:

          Kein Problem damit. Wir haben hier in Bremen eine gut zusammen arbeitende RRG-Koalition, die Sachen bewegt.

          Ich habe nur ein Problem mit saudummen verschwörungstheoretischem Dummgequatsche und struntzdoofen unterstellenden Fragen

          • @Rudolf Fissner:

            Ja, es muss bitter sein, sich ertappt zu fühlen...

    • RS
      Ria Sauter
      @Euromeyer:

      Sie sprechen davon CDU und FDP hätten Rückgrad gezeigt.



      Wenn die Reaktionen auf diesen "Testballon"nicht so stark gewesen wäre, wäre das Rückgrad nicht zum Vorschein gekommen.

      • @Ria Sauter:

        Da haben Sie recht, trotzdem bin ich dankbar, dass dieser ostmärkische Kelch an uns vorbeizog, zumindest dieses Mal.



        Vielleicht erreichte die AfD statt Desensibilisierung demokratische Hypersensibilsierung.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Das ist eine Aussage:



    Allerdings hätte man es weiterhin mit dem gleichen und jetzt moralisch verschlissenen Personal im Landtag zu tun.



    Das ist die Frage:



    Wie geht man mit verkommenem Personal um?

    • @82286 (Profil gelöscht):

      Nun ja, immerhin sind das die rechtmäßig gewählten Vertreter von über 50% der Wahlberechtigten in Thüringen.

      • 6G
        68514 (Profil gelöscht)
        @Tabus überall:

        Stimmt so nicht: es sind die rechtmäßig gewählten Vertreter von über 50% der zur Wahl Gegangenen. Das sind definitiv weniger als 50% der Wahlberechtigten. Oder lag die Wahlbeteiligung etwa bei 100%?

        • @68514 (Profil gelöscht):

          Ich würde mal sagen das „ Stimmt so nicht“ fängt schon bei dem links oder rechtspopulistischem (?) Gedöns zum „ moralisch verschlissenen Personal im Landtag“ an. Der Fisch stinkt schon vom Threadkopf.

          • 6G
            68514 (Profil gelöscht)
            @Rudolf Fissner:

            Um es mal klar auszudrücken: Das gaze war doch ein Versuchsballon von CDU und FDP, um mal zu gucken was passiert, wenn sie sich mit der AfD einlassen. Das ganz halbherzige Getue bei CDU und FDP überrascht mich nun überhaupt nicht. Hätte die CDU einfach mal akzeptiert, daß sie die Wahl nicht gewonnen haben und hätte eine FDP auch mal nur etwas Realismus an den Tag gelegt, dann wäre vieles einfacher - für alle Seiten.

            • @68514 (Profil gelöscht):

              Ich denke es hat alle Parteien überrumpelt, dass die AfD ihren eigenen Kandidaten nicht wählt.

              EinVersuchsballon? Denke ich nicht. Die Wahl hatte keine AfD-unabhängigen Mehrheiten. Das war ALLEN Parteien klar. CDU und Linkspartei haben es verhaspelt zuvor ein Agreement auszuhandeln, welches zumindest eine RRG Minderheitsregierung ermöglicht hätte.

        • 8G
          83379 (Profil gelöscht)
          @68514 (Profil gelöscht):

          Wer nicht wählen geht zählt nicht. wer Wahlberechtigt ist und nicht wählen geht akzeptiert das Ergebnis der Anderen, es gibt genügend Auswahl von den Violetten, über die Linkspartei, FDP; CDU, zur AFD, NPD, etc. wer nicht wählen geht soll sich nicht beschweren.

          • 6G
            68514 (Profil gelöscht)
            @83379 (Profil gelöscht):

            Ja, sehe ich auch so.

  • Jetzt muß man ihn nur noch abwählen. nur.