Nach Brandanschlag auf Strommasten: Berlins längster Blackout
Auch am Donnerstag werden wohl noch Tausende Menschen in Berlins Südosten ohne Strom sein. Der Netzbetreiber will nun Kabel behelfsmäßig verbinden.

Ganz anders der Gewerbepark auf der anderen Seite des Groß-Berliner Damms. Bei Bergmann und Franz, Großhandel für Sanitär, Heizung und Trockenbau, werde gearbeitet, sagt eine junge Mitarbeiterin am Seiteneingang: „Wir hatten die ganze Zeit Strom.“ Auch etwas weiter bei Jenoptik brennt Licht.
Die Straßen sind menschenleer, außer Wohnbebauung und Gewerbe gibt es hier, wo Johannisthal und Adlershof ineinander übergehen, wenig. Vor der Steinecke-Bäckerei sitzen vier Bauarbeiter mit Signalwesten und trinken Red Bull. Kein Strom, sagen sie und lachen. „Die hat hinten im Hof ein Feuer gemacht, um Kaffee zu kochen“, scherzt einer und meint die Verkäuferin.
Die steht mit einer Kollegin im dunklen Laden. Zum Lachen ist ihr nicht zumute. Backwaren könne man kaufen, ruft sie durch die geöffnete Tür. Aber nur gegen Bargeld. Kaffee gebe es nicht, nur Erfrischungsgetränke aus der warmen Kühltruhe.
Handyladestation gut genutzt
Nach welchem Prinzip wer Strom hat und wer nicht, weiß keiner. „Das hängt halt davon ab, an welchem Kabel man hängt“, sagt ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes, der in der Hans-Schmidt-Straße in Adlershof unter einem Zeltdach mit der Aufschrift „Katastrophenschutz“ sitzt. In der Sporthalle hinter ihm können Anwohner*innen duschen, schlafen und ihr Handy aufladen.
Von der Übernachtung habe bisher niemand gebraucht gemacht, berichtet er. Aber die Aufladestation werde rege genutzt. Tatsächlich stapeln sich Handys neben einem tragbaren Elektrokasten mit Steckdosen und Verlängerungsschnüren, verworren in einem großen Kabelsalat.
Voraussichtlich noch bis Donnerstagabend werden die Reparaturen dauern, bis dahin bleiben Anwohner*innen in Johannisthal, Bohnsdorf, Niederschöneweide, Grünau, Adlershof, Altglienicke und umliegenden Ortsteilen weiter ohne Strom. Das bestätigte der Anbieter Stromnetz Berlin an Tag zwei des großen Blackouts im Berliner Südosten. Auch am Mittwoch waren noch rund 20.000 Haushalte von der Stromversorgung abgeschnitten. Damit dauert der Ausfall noch länger als die rund 30-stündige Panne 2019 in Köpenick, die bisher als größter Stromausfall Berlins in der Nachkriegszeit gilt.
Nach bisherigem Kenntnisstand hatten Unbekannte in der Nacht zu Dienstag zwei Strommasten in Johannisthal mutwillig in Brand gesetzt. Daraufhin waren rund 50.000 Haushalte in der Umgebung ohne Strom, von denen rund die Hälfte am Dienstagabend wieder versorgt werden konnte. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass bald wieder alle am Netz sind“, sagte Henrik Beuster, Sprecher von Stromnetz Berlin, der taz.
Redundanz mit ausgeschaltet
Ein Großteil des Stromnetzes in Berlin funktioniere nach dem sogenannten (n-1)-Prinzip, erklärte er: „Das bedeutet: Wenn ein Teil ausfällt, muss der Rest in der Lage sein, das zu kompensieren.“ In Johannisthal hätten die Täter*innen aber zwei Strommasten zerstört. „Da hat jemand sehr böse gehandelt“, sagte er. Denn: „Redundanzen gibt es im System, aber in diesem Fall ist die Redundanz direkt mit ausgeschaltet“, erklärte Beuster.
Das sei auch das Problem bei dem letzten großen Stromausfall 2019 in Köpenick gewesen. Damals hatte ein horizontaler Bohrer bei Bauarbeiten an einer Brücke direkt zwei Kabel beschädigt – und damit gleichzeitig das eigentliche Kabel und die „Sicherung“ lahmgelegt. Aus diesem Fehler hätten sie viel gelernt, sagte Beuster: „So etwas gibt es heute nicht mehr.“
Allgemein sei seit 2019 „jede Menge“ passiert. Sie hätten das Netz geprüft, Schwachstellen behoben und es intensiv ausgebaut. „Jeder Ausbau macht das Netz resilienter. Alles, was wir investieren, verstärkt und schützt die Infrastruktur als Ganzes, weil das System stabiler wird“, erklärte Beuster. Im Vergleich etwa zu Brandenburg habe Berlin bereits den Vorteil, dass 99 Prozent der 35.000 Kilometer Leitungen unterirdisch oder durch Häuser verlaufen. „Wir arbeiten auch daran, alle Leitungen unter die Erde zu bringen, wo sie auch vor Wind und Wetter besser geschützt sind“, sagte er.
In der Shopping Mall Adlershofer Tor an der Rudower Chaussee ist Kaufland das einzige Geschäft, das am Mittwoch wieder geöffnet hat. Aber auch sie hatten Dienstag nicht öffnen können. Alle anderen Läden sind dunkel. „Wir haben ein Notstromaggregat“, sagt eine Verkäuferin. Ein Schild am Eingang zeigt an, das zurzeit keine kühlpflichtige Ware verkauft werden könne. Drinnen ist es anders als sonst in Supermärkten ziemlich warm und es sieht aus wie nach den Corona-Hamsterkäufen. Die Regalfächer in den Kühlschränken sind leer, die Kühltruhen sind ausgeräumt, die Türen stehen offen. Sonderangebote gebe es nicht, heißt es. Alles sei weggeschmissen worden.
Campingkocher und Stirnlampe
Am Adlergestell hat ein Bioladen dagegen wieder normal geöffnet. „Nein, wir können nichts Frisches kaufen“, versucht ein Vater seine kleine Tochter zu bremsen, die schon ihre Hand in der Käsetheke hat. Wie lebt es sich so zu Hause ohne Strom? „Wir haben auf dem Campingkocher gekocht und die Stirnlampe war zum Glück auch noch aufgeladen“, antwortet der Mann. Auf eine Art sei das ganz lustig, „aber irgendwann reicht es dann auch“.
Stromnetz Berlin rief die bereits wieder versorgten Anwohner*innen dazu auf, möglichst wenig Strom zu verbrauchen. Kund*innen sollten am besten keine Staubsauger, Waschmaschinen, Geschirrspüler, Backöfen oder sonstige energieintensiven Geräte betreiben. „So können wir ihre eigene Stromversorgung stabil halten und – wenn technisch möglich – weitere Kunden ans Netz anschließen“, erklärte der Anbieter.
Metergroße Muffen staubfrei montiert
Die beschädigten Leitungen seien „aktuell leider nicht nutzbar“. Deshalb würden sie nun Kabel mit einem technischen Kniff verbinden. „Dafür wurden die ganze Nacht hindurch mehrere armdicke Kabel aus der Erde geholt“, schrieb der Stromanbieter. Diese würden am Mittwochnachmittag mit mehr als zwei Meter großen Muffen verbunden. „Sie müssen staubfrei montiert werden. Das ist sehr komplex und dauert etliche Stunden“, hieß es von Stromnetz Berlin.
Im Vorraum der Sporthalle in Adlershof sitzen vereinzelt Männer und Frauen an provisorisch aufgestellten Tischen, lesen oder arbeiten an ihren Laptops. Auch ein junger Mann mit schwarzer Basecap und schwarzen Klamotten ist in ein Buch vertieft. Seit er Dienstag wach geworden ist, hat er keinen Strom mehr.
Er arbeite für ein IT-Unternehmen im nahegelegenen Technologiepark Adlershof, erzählt er. Das Bekennerschreiben auf der Plattform Indymedia habe er gelesen. Gesetzt den Fall, es war wirklich ein Anschlag, sei es zwar physisch gelungen, die Geräte in Firmen lahmzulegen, aber die meisten hätten ja ein Notstromaggregat. Die Arbeit sei dadurch nicht beeinträchtigt, die gehe dann eben woanders weiter, sagt er. Die Gewerbestruktur der IT-Firmen sei über die Welt verteilt und in Clouds gespeichert. „Da kommt man nicht weit, wenn man in Berlin einen Strommast ausschaltet.“
Die Schwächsten treffe es am härtesten, betont der junge Mann. Auch er habe sein ganzes Essen aus dem Kühlschrank wegschmeißen müssen. Aber man müsse sich nur mal die Situation von Rollstuhlfahrern vorstellen. Die kämen aus ihrer Wohnung nicht mehr raus, weil der Fahrstuhl nicht funktioniert. „Das ist wie beim Coronalockdown, nur dass sie diesmal noch nicht mal mehr Netflix schauen können“, sagt er.
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