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Nach Aufmärschen und GewaltVerfassungsschutz knüpft sich Jungnazis vor

Bundesweit gründeten sich immer neue junge rechtsextreme Gruppen. Jetzt beobachten sie Verfassungsschutzämter verstärkt und sorgen für Einstufungen.

Viele sehr Junge Neonazis beteiligen sich an einer rechtsextremen Demonstration des Bündnis „Gemeinsam für Deutschland“ in Berlin Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Berlins Verfassungsschutzchef Michael Fischer gab die Einstufung am Montag bekannt: Die „Deutsche Jugend Voran“ sei nun als gesichert rechtsextreme Bestrebung eingestuft, als Teil einer „gewaltorientierten rechtsextremistischen Netzkultur“, verkündete er. Berlins Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) warnte vorm Entstehen einer neuen Jugendkultur, von „sehr jungen, sehr gewaltaffinen Personen“. Sie würden Hass auf Andersdenkende propagieren, verherrlichten die Anwendung von Gewalt. Zu dem Milieu gehöre auch eine Fanszene, die Rechtsterroristen wie Anders Breivik verehre oder diesen nachzuahmen versuche, wie die Atomwaffendivision.

Seit Mitte vergangenen Jahres waren bundesweit immer neue rechtsextreme Gruppen entstanden mit sehr jungen Aktiven, teils noch im Teenageralter. Eine davon ist die „Deutsche Jugend Voran“, andere tragen Namen wie „Jung und Stark“, „Letzte Verteidigungswelle“ oder „Der Störtrupp“. Waren die Gruppen zunächst auf Instagram oder Tiktok aktiv, tauchten sie kurz darauf auch auf der Straße auf, vor allem bei Anti-CSD-Protesten. Dann fielen sie auch mit Anschlägen oder Angriffen auf politische Gegner auf.

In Altdöbern in Brandenburg wurden zwei 15-Jährige der „Letzten Verteidigungswelle“ festgenommen, denen vorgeworfen wird, ein Kulturhaus angezündet zu haben. Ein zweiter Anschlagsversuch der Gruppe auf eine Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg wurde von der Polizei verhindert, der Tatverdächtige festgenommen. Die taz hatte als Erste darüber berichtet. Der Stern hatte sogar eine Reporterin in die Gruppe eingeschleust und die Polizei gewarnt.

„Dynamisch, mobilisierungsfähig, gewaltorientiert“

Nach ersten Razzien und Festnahmen verstärkt nun auch der Verfassungsschutz seine Beobachtung dieser Szene – wie der Schritt in Berlin zeigt. Nach taz-Informationen hat auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die neuen Gruppen im Blick. „Jung und Stark“ und „Deutsche Jugend Voran“ wird dort eine „rechtsextremistische Agitation“ vorgeworfen, die sich „ideologischer Fragmente“ bediene. Fokussiert werde auf Feindbilder wie die Antifa, die queere Community oder Migranten. Beide Gruppen seien „dynamische, mobilisierungsfähige rechtsextremistische Gruppierungen“, heißt es im Bundesamt. Sie würden „junge, internetaffine, aktionsorientierte bis hin zu gewaltorientierten Personen“ anwerben und vernetzen.

Auch Brandenburgs gerade entlassener Verfassungsschutzchef Jörg Müller hatte zuvor vor der sehr jungen Szene gewarnt, die an die Skinhead-Bewegung der neunziger Jahre erinnere. Es handele sich um „gewaltbereite, subkulturelle Nationalsozialisten“. Das Landesamt rechnet „Jung und Stark“, „Deutsche Jugend voran“ und der „Letzten Verteidigungswelle“ jeweils Mitglieder im niedrigen zweistelligen Bereich zu.

Auch der Verfassungsschutz Sachsen hat die drei Gruppen im Blick, attestiert ihnen eine „stark informelle Struktur“, aber dennoch eine „hohe Aktionsorientierung“ und Gewaltaffinität. Zum Teil gelängen ihnen damit „hohe Mobilisierungserfolge“. Mit ihrer Ansprache auch an Minderjährige zielten sie auf eine „besonders vulnerable“ Gruppe. Man beobachte die Gruppen „sehr aufmerksam“, betonte der Geheimdienst.

Bereits im November hatte der sächsische Verfassungsschutz zudem die „Chemnitz Revolte“ als gesichert rechtsextrem eingestuft, in der sich ebenfalls junge Neonazis sammeln. Im Januar hatten diese versucht, eine alternative Bar in Chemnitz zu stürmen – worauf es Ende April zu Razzien kam. Ebenso eingestuft sind die Gruppen „Urbs Turrium“ aus Bautzen, die „Nationale Jugend Görlitz“, die „Stolze Nationalisten Sachsen“ aus Dresden oder die „Aryan Peoples Resistance“ aus Leipzig. Gleiches gilt für die Ableger der „Jungen Nationalisten“, der Jugendgruppe der „Heimat“, einst NPD – inklusive ihrer zuletzt sehr aktiven Dresdener Ortsgruppe „Elblandrevolte“.

Die Gruppen verjüngen die Szene – und erhöhen die Gewalt

Das Phänomen ist indes kein rein ostdeutsches. Auch in den anderen Bundesländern fielen die Jungnazis zuletzt mit Aktionen auf. So hat auch der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen die Gruppen „Jung und Stark“, „Deutsche Jugend Voran“ und „Der Störtrupp“ im Blick. Auch dort sieht man ein „aggressives Auftreten“ auf der Straße und einen „gewaltbefürwortenden Diskurs“ auf Social Media. Die Gruppen hätten die rechtsextreme Szene – entgegen dem Trend der Vorjahre – damit nicht verjüngt, es sei auch eine Zunahme des Gewaltpotentials zu befürchten.

In Bayern sieht man vor allem „Jung und Stark“ aktiv. Hier nennt der Verfassungsschutz „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine verfassungsfeindliche Bestrebung. Auch im Freistaat seien CSDs gestört worden, Mitglieder von „Jung und Stark“ hätten auch eine Regenbogenflagge angezündet und sich dabei gefilmt. Das Landesamt spricht von „verstärkt radikalisierten jugendlichen Einzelpersonen“.

Auch die kommende Innenministerkonferenz Mitte Juni in Bremen dürfte sich mit dem Thema beschäftigen. Bereits in den vergangenen Monaten waren die jungen Neonazi-Gruppen rund 30 Mal Thema im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) gewesen, in dem alle Sicherheitsbehörden zusammensitzen. Die Szene allerdings bleibt aktiv: Sie mobilisiert bereits zu Samstag zu einem nächsten Aufmarsch, diesmal in Herford in Nordrhein-Westfalen.

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6 Kommentare

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  • Da sind sie, die Kinder einer dank Rot/Grüner Agenda 2010 (größter Niedriglohnsektor Europas, Hurra!) und konservativ/(wirtschafts)liberaler rassistischer Hetze (würde die Klammer sprengen) verrohten Gesellschaft.

  • Stimmt.



    Und unsere Politik hat schlicht verschlafen sich in den letzten 30 Jahren nach der Wende um die Jugend zu kümmern.



    Die Nazis haben viele Lücken besetzt, die durch Kürzungen und "Spar"massnahmen im sozialen und kulturellen Bereich durchgeführt wurden.



    Jetzt haben wir den Salat, viel Spaß beim ausbügeln. Kürzt nur weiter so!



    Unsere Kinder und Jugendlichen benötigen Bildung und einen Sinn im Leben, keine Ruhigstellung durch Handy und Co.!

  • Wenn man sich zu diesem Thema mal die Kommentarspalten z. B. bei der 'Welt' so ansieht (und natürlich anderswo) liest man immer wieder die Frage, warum 'man' sich nicht stattdessen um die linksextremen oder kriminellen Vereinigungen kümmern würde.



    Dobrindt als Schützer linksextremer Vereinigungen? Und das meinen die ernst!



    Da, genau da liegt das AfD-Potenzial. Da sind diese Gruppierungen tatsächlich nur Spielkram...

  • Die Saat der gehätschelten und akzeptierend betreuten Faschos der Baseballschlägerjahre geht in der popkulturell hübsch in den sozialen Netzwerken inszenierten auf. Das kommt auch wieder alles ganz überraschend.

  • Hui, der Verfassungsschutz kommt jetzt schon auf die Idee, rechtsextreme Grupperungen zu beobachten. Das ist ja mal ein Tempo. Seit wann gibt es starke Neonazi-Organisationen in Deutschland? Und die werden sich aber fürchten wenn sie jetzt beobachtet werden. Krass.



    Gilt das laut Strafgesetzbuch jetzt als Höchststrafe in Deutschland? 10 beobachtet werden? Wenn das nicht abschreckt ...



    Mal ehrlich: die Nazis lachen sich doch tot über unsere Gesellschat. Sie können doch schon lange machen, was sie wollen und werden von Politik und Medien noch unterstützt. Oder wie kommt es, dann die "Leitmedien" wochenlang voll sind, wenn eine Straftat mal von einem Asylbewerber begangen wird, sich aber exzessiv darüber ausschweigen wie viel rechte Gewalt es ständig gibt.



    Z.B.



    taz.de/Rassistisch...Solingen/!6087790/



    www.nd-aktuell.de/...lich-spuerbar.html

    Na ja, braucht man der TAZ ja nicht zu erklären. Ihr seid ja die, die es immer mal wieder anprangern. Aber sehe ich das in der tagsschau, oder heute journal? Eher nicht.

  • Es ist erschreckend. Mich würden bei so jungen Leuten die Hintergründe interessieren.

    Das Jugendliche "unfug" treiben ist so alt wie die Menschheit. Aber die Dimensionen erschrecken mich inzwischen schon. Jugendliche ohne richtigen Bezug zum Islam verüben Anschläge und schließen sich dem IS an. Studenten die nicht mal wissen welcher "River" und welche "Sea" gemeint ist brüllen unreflektiert solche Parolen. Rechtsradikale die eigentlich Zugang zu grenzenlosen Informationen haben und den Mehrwert einer multikulturellen Gesellschaft jeden Tag sehen können schließen sich solchen gewaltbereiten Banden an.



    Da sollte der Verfassungsschutz einmal ansetzen.