Nach Aufmärschen und Gewalt: Verfassungsschutz knüpft sich Jungnazis vor
Bundesweit gründeten sich immer neue junge rechtsextreme Gruppen. Jetzt beobachten sie Verfassungsschutzämter verstärkt und sorgen für Einstufungen.

Seit Mitte vergangenen Jahres waren bundesweit immer neue rechtsextreme Gruppen entstanden mit sehr jungen Aktiven, teils noch im Teenageralter. Eine davon ist die „Deutsche Jugend Voran“, andere tragen Namen wie „Jung und Stark“, „Letzte Verteidigungswelle“ oder „Der Störtrupp“. Waren die Gruppen zunächst auf Instagram oder Tiktok aktiv, tauchten sie kurz darauf auch auf der Straße auf, vor allem bei Anti-CSD-Protesten. Dann fielen sie auch mit Anschlägen oder Angriffen auf politische Gegner auf.
In Altdöbern in Brandenburg wurden zwei 15-Jährige der „Letzten Verteidigungswelle“ festgenommen, denen vorgeworfen wird, ein Kulturhaus angezündet zu haben. Ein zweiter Anschlagsversuch der Gruppe auf eine Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg wurde von der Polizei verhindert, der Tatverdächtige festgenommen. Die taz hatte als Erste darüber berichtet. Der Stern hatte sogar eine Reporterin in die Gruppe eingeschleust und die Polizei gewarnt.
„Dynamisch, mobilisierungsfähig, gewaltorientiert“
Nach ersten Razzien und Festnahmen verstärkt nun auch der Verfassungsschutz seine Beobachtung dieser Szene – wie der Schritt in Berlin zeigt. Nach taz-Informationen hat auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die neuen Gruppen im Blick. „Jung und Stark“ und „Deutsche Jugend Voran“ wird dort eine „rechtsextremistische Agitation“ vorgeworfen, die sich „ideologischer Fragmente“ bediene. Fokussiert werde auf Feindbilder wie die Antifa, die queere Community oder Migranten. Beide Gruppen seien „dynamische, mobilisierungsfähige rechtsextremistische Gruppierungen“, heißt es im Bundesamt. Sie würden „junge, internetaffine, aktionsorientierte bis hin zu gewaltorientierten Personen“ anwerben und vernetzen.
Auch Brandenburgs gerade entlassener Verfassungsschutzchef Jörg Müller hatte zuvor vor der sehr jungen Szene gewarnt, die an die Skinhead-Bewegung der neunziger Jahre erinnere. Es handele sich um „gewaltbereite, subkulturelle Nationalsozialisten“. Das Landesamt rechnet „Jung und Stark“, „Deutsche Jugend voran“ und der „Letzten Verteidigungswelle“ jeweils Mitglieder im niedrigen zweistelligen Bereich zu.
Auch der Verfassungsschutz Sachsen hat die drei Gruppen im Blick, attestiert ihnen eine „stark informelle Struktur“, aber dennoch eine „hohe Aktionsorientierung“ und Gewaltaffinität. Zum Teil gelängen ihnen damit „hohe Mobilisierungserfolge“. Mit ihrer Ansprache auch an Minderjährige zielten sie auf eine „besonders vulnerable“ Gruppe. Man beobachte die Gruppen „sehr aufmerksam“, betonte der Geheimdienst.
Bereits im November hatte der sächsische Verfassungsschutz zudem die „Chemnitz Revolte“ als gesichert rechtsextrem eingestuft, in der sich ebenfalls junge Neonazis sammeln. Im Januar hatten diese versucht, eine alternative Bar in Chemnitz zu stürmen – worauf es Ende April zu Razzien kam. Ebenso eingestuft sind die Gruppen „Urbs Turrium“ aus Bautzen, die „Nationale Jugend Görlitz“, die „Stolze Nationalisten Sachsen“ aus Dresden oder die „Aryan Peoples Resistance“ aus Leipzig. Gleiches gilt für die Ableger der „Jungen Nationalisten“, der Jugendgruppe der „Heimat“, einst NPD – inklusive ihrer zuletzt sehr aktiven Dresdener Ortsgruppe „Elblandrevolte“.
Die Gruppen verjüngen die Szene – und erhöhen die Gewalt
Das Phänomen ist indes kein rein ostdeutsches. Auch in den anderen Bundesländern fielen die Jungnazis zuletzt mit Aktionen auf. So hat auch der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen die Gruppen „Jung und Stark“, „Deutsche Jugend Voran“ und „Der Störtrupp“ im Blick. Auch dort sieht man ein „aggressives Auftreten“ auf der Straße und einen „gewaltbefürwortenden Diskurs“ auf Social Media. Die Gruppen hätten die rechtsextreme Szene – entgegen dem Trend der Vorjahre – damit nicht verjüngt, es sei auch eine Zunahme des Gewaltpotentials zu befürchten.
In Bayern sieht man vor allem „Jung und Stark“ aktiv. Hier nennt der Verfassungsschutz „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine verfassungsfeindliche Bestrebung. Auch im Freistaat seien CSDs gestört worden, Mitglieder von „Jung und Stark“ hätten auch eine Regenbogenflagge angezündet und sich dabei gefilmt. Das Landesamt spricht von „verstärkt radikalisierten jugendlichen Einzelpersonen“.
Auch die kommende Innenministerkonferenz Mitte Juni in Bremen dürfte sich mit dem Thema beschäftigen. Bereits in den vergangenen Monaten waren die jungen Neonazi-Gruppen rund 30 Mal Thema im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) gewesen, in dem alle Sicherheitsbehörden zusammensitzen. Die Szene allerdings bleibt aktiv: Sie mobilisiert bereits zu Samstag zu einem nächsten Aufmarsch, diesmal in Herford in Nordrhein-Westfalen.
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