Möglicher Rückzug als Kandidat in USA: Was passiert, wenn Biden aufgibt
US-Präsident Joe Biden denkt laut Medienberichten über einen Kandidaturverzicht nach. Was würde in diesem Fall bei den Demokraten passieren?
![Kamala Harris, eine Frau mit braunen Haaren, winkt. Kamala Harris, eine Frau mit braunen Haaren, winkt.](/picture/7130215/624/35838997-1.jpeg)
Teilt sich als Vizekandidatin mit Biden bereits das Präsidentschafts-Ticket: Kamala Harris, hier am 13. Juli in Philadelphia Foto: Joe Lamberti/ap
BERLIN taz | Auch wenn Joe Biden sich öffentlich entschlossen zeigt, noch einmal zu kandidieren: In Washington wächst der Druck auf den amtierenden Präsidenten, die Kandidatur für eine weitere Amtszeit aufzugeben. Führende Demokraten meldeten bereits Zweifel an seinen Siegchancen und an Bidens gesundheitlichem Zustand an. Nun soll Biden den Rückzug ernsthaft bedenken. Das berichtet die New York Times, die sich auf das direkte Umfeld des amtierenden Präsidenten beruft. Das Weiße Haus dementierte umgehend.
Nichtsdestotrotz geben die Berichte Anlass zu überlegen, was passiert, falls der amtierende Präsident in den nächsten Tagen auf die Kandidatur verzichtet.
Dabei wird der Nominierungsparteitag der Demokraten eine wichtige Rolle spielen – stattfinden wird dieser vom 19. bis 22. August in Chicago. Etwa 4.700 Delegierte aus allen Bundesstaaten werden zum Parteitag anreisen, um die im Vorwahlkampf errungenen Stimmen für ihren Kandidaten abzugeben. Bei den Vorwahlen war es Biden gelungen, sich 87 Prozent der Stimmen und fast 3.900 Delegierte zu sichern. Sie sind de facto an den Ausgang der Vorwahl gebunden – falls Biden im Rennen bleibt.
Doch was, wenn nicht?
Erste in der Thronfolge: Kamala Harris
Lässt Biden wirklich von seiner Kandidatur ab, wäre es wahrscheinlich, dass er sich im selben Atemzug für seine Vizepräsidentin Kamala Harris als Nachfolgerin ausspricht. Und obwohl es einige weitere bekannte Demokraten gibt, denen Ambitionen auf eine Kandidatur nachgesagt werden, gibt es gute Gründe für die Partei, sich hinter Harris zu vereinen.
Der erste wäre ein logistischer: Harris teilt sich als Vizekandidatin mit Biden bereits das Präsidentschafts-Ticket. Sie kann somit direkt auf die rund 200 Millionen Dollar Spendengelder aus der Wahlkampfkasse zugreifen. Zudem ist sie als Bundespolitikerin einer breiten US-Wählerschaft bekannt – wenngleich sie nicht besonders beliebt ist.
Andererseits könnten sich ambitionierte Demokrat:innen auch entscheiden, Harris offen herauszufordern. Als Schattenkandidaten werden etwa der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom oder sein Pendant aus Michigan, Gretchen Whitmer, gehandelt. Schwer zu sagen, was sie hinter den Kulissen planen. Gut möglich, dass sie sich pflichtbewusst hinter Harris stellen würden, um offenen Zwist zu vermeiden.
Mögliche Konkurrenz: Biden gibt seine Delegierten frei
Denkbar ist aber auch, dass Harris nicht sofort eine deutliche Mehrheit der Partei hinter sich versammeln kann, und Anwärter:innen wie Whitmer oder Newsom gegen sie antreten. Wenn Biden die bislang an ihn gebundenen Delegierten freigibt, könnten sie die Unterschriften von 300 Parteitags-Delegierten sammeln und wären somit ebenfalls im Rennen.
In diesem Fall käme es zu einer sogenannten „open convention“, also einem Nominierungsparteitag, bei dem vorab nicht feststünde, wen die Delegierten am Ende zum Kandidaten küren werden. Das allerdings zunächst nur unter der Voraussetzung, dass das „Democratic National Comittee“ (DNC), das erweiterte Führungsgremium der Demokratischen Partei, davon absieht, per virtueller Abstimmung einen Kandidaten zu nominieren.
Ein offener Wettstreit könnte schmutzig werden – und spannend. Jede Kandidatin dürfte dann Reden halten, bevor die Delegierten der Bundesstaaten in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen werden, ihre Stimmen abzugeben. Kann niemand die absolute Mehrheit – also mehr als die Hälfte der Stimmen – auf sich vereinen, gäbe es einen neuen Wahldurchgang. Dann würden auch die sogenannten Superdelegierten – 700 Abgesandte des Partei-Establishments – abstimmen, bis ein Kandidat oder eine Kandidatin gewinnt.
Historischer Präzedenzfall
Die Möglichkeit eines „offenen Parteitags“ weckt Erinnerungen an das Jahr 1968. In diesem Jahr verzichtete der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson ebenfalls auf eine erneute Kandidatur (allerdings bereits im März und nicht, als er bereits genügend Delegierte gesammelt hatte).
Das Resultat war ein offener Wettstreit. Im Wahlkampf wurde mit Robert F. Kennedy einer der Anwärter erschossen, was das Rennen auf Vizepräsident Hubert Humphrey und den Senator und Kriegskritiker Eugene McCarthy beschränkte. Humphrey setzte sich auf dem Parteitag durch – und verlor später die Wahl gegen Richard Nixon.
An diese letzte Volte der Geschichte wollen die Demokraten heute wohl nicht erinnert werden. So oder so: Der Sieg im November ist alles andere als gewiss.
Leser*innenkommentare
Alexx
Falls es Kamala Harris werden sollte, sage ich das Gleiche voraus wie mit Biden: es wird ein böses Erwachen geben - allerdings, genau wie bei Biden, ein völlig unnötig böses Erwachen, wenn man sich denn dann bei den Demokraten sowie bei den den Demokraten zugeneigten Medien rechtzeitig ehrlich gemacht hätte.
Aurego
Tja, vielleicht findet sich ja jemand, der Barack Obama überredet, seine Frau zu überreden, es vielleicht doch zu versuchen. Chancen, gegen Trump zu gewinnen, hätte sie ja.
Kohlrabi
@Aurego Michelle Obama hat doch nun mehrfach gesagt, sie will es nicht tun, und sie wird wohl wissen weshalb. Auch muss es nach Bush und Clinton ja nicht wieder ein Familienunternehmen werden.
Gegen Gavin Newsom spricht wohl, dass er aus Kalifornien ist, was ihm im "Rust Belt" wenig Stimmen bringen dürfte.
Gretchen Whitmer dagegen wäre vielleicht eine echte Herausforderung für Trump & Vance. Aber ob sie ihre Kandidatur jetzt schon möglicherweise "verbrennen" will und nicht noch 4 Jahre warten kann?
Die Buchmacher sehen inzwischen ein Rennen zwischen Trump und Harris mit einer ~70%-Siegchance für Trump. Also sooo klar entschieden wäre die Sache aus deren Sicht nicht.
Wer dagegen bei einem britischen Wettanbieter auf Biden setzt, kriegt im Erfolgsfall jetzt schon mehr als das Zehnfache des Einsatzes. (Quoten ändern sich ständig, gerade in den letzten Tagen.)
www.oddschecker.co...litics/us-politics
Martin Sauer
@Aurego Die Demokraten werden wohl schon lange einen Kandidaten gefunden haben. Nur, so lange Joe Biden kein Rückzieher macht wird der nicht genannt. Überlegen Sie sich mal, man nennt einen Ersatz und Biden macht weiter.
wollewatz
Wahrscheinlich wäre Harris wirklich die beste Entscheidung. Ein Sieg der Demokraten scheint ja nun in weiter Ferne zu sein und daher sollte man in diesem Wahlkampf niemanden verheizen, den man später noch gebrauchen kann. Frau Harris hat sich in ihrer Amtszeit als Vizepräsidentin nicht profilieren können und hätte somit nicht nur bei diesem Mal keine wirkliche Chance gewählt zu werden.
Nafets Rehcsif
Das finde ich irgendwie witzig… Man will den Biden loswerden, weil der wohl schlechte Chancen hat. Nur wer bessere Chancen hat, das weiß man auch nicht so genau.
Am Ende nimmt man dann die Harris, die wohl deutlich unbeliebter als Biden ist, weil die kann ja direkt auf die Wahlkampfspenden zugreifen. Ein Rudel durchschnittlicher 10-jähriger müsste bemerken, dass mit diesem Plan irgendwas nicht stimmt.
Ich bin ja mal gespannt, wen die ganzen Besserwisser, die jetzt Biden den Verzicht nahelegen, am Ende präsentieren werden… George Clooney und Nancy Pelosi werden ja bestimmt einen aussichtsreichen Kandidaten in der Hinterhand haben. ODER?
Janix
Irgendjemand opfert sich und verliert mit Ansage? Nein.
Die Demokraten haben eine Chance, nicht nur bei den Stimmen ingesamt, sondern auch unter dem seltsamen System nach Staaten.
Sie müssen sich dabei nur heimlich sortieren. Offen kann das erst nach einem Rückzug Bidens geschehen, dann muss aber schon alles eingetütet sein, nach den Regel der Medien ("einig"). Und/oder den Tatter-Trump halt ebenso fertigmachen.
Bambus05
Für Harris sprach doch am Beginn der Bidenschen Präsidentschaft alles als Nachfolgerin, der Alte tritt ab, die junge, unverbrauchte, fähige Frau übernimmt. Allein dass Biden noch einmal antreten will, trotz seines hohen Alters, spricht gegen Harris, offenbar traut es ihr niemand zu, weder Biden noch die Partei.
Newsom und Whitmer sind mir noch unbekannt, mir fällt da noch Pete Buttigieg ein, der hat 2020 lange mit Biden mithalten können es immerhin zum Verkehrsminsiter bringen können. Interessant wird nur, wer den orangenen, mit anscheinend göttlichen Weihen ausgestatteten alten Mann schlagen kann.