Mobilisierung von SPD-Wählerinnen: Probleme mit den Frauen

Die SPD freut sich über ihr Umfragehoch. Doch eine interne Studie über das reale Wahlverhalten zeigt: Die Partei erreicht die Wählerinnen nicht.

ein Mann mit breit erhobenen Armen

Der SPD-Messias: Martin Schulz Foto: dpa

BERLIN taz | Der Jubel in der SPD ist groß: Ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz katapultiert die Partei in lange nicht mehr gekannte Umfragehöhen. In der jüngsten Umfrage von Emnid rangiert sie inzwischen bei 29 Prozent – eine Steigerung um acht Prozentpunkte gegenüber der letzten Vor-Schulz-Umfrage.

So gut stand die SPD zuletzt nach Peer Steinbrücks Nominierung zum Kanzlerkandidaten im Herbst 2012 da. Sein Beispiel zeigt allerdings, wie temporär demoskopische Höhenflüge sein können. Entsprechend ungewiss ist, ob und wie lange der „Martin-Schulz-Effekt“ anhalten wird. Denn die Probleme der GenossInnen sind allein durch einen Personalwechsel an der Spitze noch nicht gelöst, wie eine von der SPD selbst in Auftrag gegebene Längsschnitt­analyse ergibt.

Die bislang unveröffentlichte Studie, die der taz vorliegt, trägt den Titel „Die SPD und ihre Wählerinnen. Wie gewinnt und warum verliert die SPD sie?“ Sie zeichnet ein alarmierendes Bild von den Chancen der Partei bei Frauen. In der Untersuchung heißt es: „Die SPD verliert in alle Richtungen Wählerinnen an die anderen Parteien.“ Ihr fehle „vor allem ein Thema, das ihre Wählerinnen eindeutig mit der SPD assoziieren.“

In Auftrag gegeben hat die Studie der SPD-Parteivorstand vor anderthalb Jahren beim Wissenschaftszentrum ­Berlin (WZB). Sie war für den Führungszirkel der Partei und deren MitarbeiterInnen bestimmt. Die Daten basieren auf umfangreichen WählerInnenbefragungen seit 1998, die die „German Longitudinal Elektion Study“ um die Frankfurter Soziologieprofessorin Sigrid Roßteutscher durchführt.

32 Prozent wählten eine andere Partei

Die ForscherInnen stellten fest, dass die SPD ihr so genanntes enges Potenzial bei Frauen geringer ausschöpft als bei den Männern. Zum engen WählerInnenpotenzial zählen die ForscherInnen Wahlberechtigte, die es als wahrscheinlich bezeichnen, dass sie das Kreuz bei der jeweiligen Partei machen.

Dieses Potenzial lag bei der vergangenen Bundestagswahl bei 28 Prozent aller Wahlberechtigten. 67 Prozent der Männer aus dieser Gruppe haben tatsächlich SPD gewählt – dagegen nur 58 Prozent der Frauen. 32 Prozent von ihnen wählten eine andere Partei, zehn Prozent waren Nichtwählerinnen. Die Zahlen klingen wenig spektakulär, haben es aber in sich: Wenn sogar von den Sympathisantinnen nur gut die Hälfte „ihre“ Partei wählt, hat diese Partei ein Mobilisierungsproblem.

Unter den SPD-Sympathisantinnen ist der Anteil der Nichtwählerinnen bei den letzten Bundestagswahlen kontinuierlich gestiegen. Die AutorInnen der Studie führen das nicht zuletzt auf Gerhard Schröders Agenda 2010 zurück. Vorsichtig heißt es, diese habe „wahrscheinlich dazu geführt, dass Frauen, die seit Langem zum SPD-Potenzial gehörten, von der SPD enttäuscht sind und sich deshalb ganz von den Wahlen zurückgezogen haben“.

Der „Hartz-IV-Effekt“

Dazu passt, dass Frauen, „die ihre eigene Lebenssituation als ungerecht empfinden“, eher nicht SPD wählen. Die Studie spricht von einem „Hartz-IV-Effekt“, der „noch immer zu wirken“ scheint. Diese Klientel wähle entweder gar nicht mehr oder die Linkspartei (die AfD ist in der Langzeituntersuchung noch nicht berücksichtigt).

Der Befund ist kurz vor dem anlaufenden Bundestagswahlkampf bemerkenswert. Denn er zeigt, dass das Hauptproblem der SPD ist, dass die ehemaligen TraditionswählerInnen von der Partei enttäuscht sind und ihr den Rücken gekehrt haben.

Zwar spricht Kanzlerkandidat Schulz seit seiner Nominierung unablässig von „Gerechtigkeit“. Auf die Frage, wie er zur Agenda 2010 und zu Hartz IV steht, bleibt er aber schwammig. Stattdessen bemüht Schulz den alten Bill-Clinton-Spruch von den „hart arbeitenden Menschen, die sich an die Regeln halten“. Das klingt sehr nach Gerhard Schröders „Neuer Mitte“ von 1998, zu der die SPD damals Angestellte, FacharbeiterInnen und MittelständlerInnen zählte. Offen ist, ob die SPD unter Schulz auch jene WählerInnen gewinnen will, die nicht „hart“ arbeiten können oder wollen und „die Regeln“ für ungerecht halten – etwa alleinerziehende Frauen, die am Rand des Existenzminimums leben.

„Sozialpolitisch überzeugen“

Die Studie empfiehlt der Partei „eine Profilschärfung im Bereich Chancengleichheit“ und einen „breiter ausgelegten sozialdemokratischen Begriff der Chancengleichheit“. Explizit frauenpolitische Themen scheinen Frauen aber nicht dazu zu bewegen, SPD zu wählen. Mit dem Thema Frauenquote gewinne die SPD keine Wählerinnen, heißt es.

Ein SPD-Sprecher kommentierte die Studie gegenüber der taz so: „Uns war immer klar, dass Frauen die SPD nicht nur wegen frauenpolitischer Themen wählen. Beides ist nötig: Man muss Wählerinnen direkt frauenpolitisch etwas bieten, sie aber auch sozialpolitisch überzeugen.“

Ein überraschendes Ergebnis förderte die Studie nebenbei über Grünen-WählerInnen zutage. Nur 56 Prozent der Männer aus dem engen WählerInnenpotenzial und sogar nur 48 Prozent der Frauen wählten am Ende tatsächlich die Grünen. Jene Partei also, die das wohl frauenfreundlichste Parteiprogramm hat, erreichte ihre Sympathisantinnen zuletzt schwerer als Männer.

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