Mittelstreckenraketen im Bundestag: Fast alle gegen Olaf
Der Bundestag diskutiert erstmals über die Entscheidung, Russland mit neuen US-Raketen abzuschrecken. Über ein Versäumnis herrscht beinahe Konsens.
„Sie würden zwar meine wunderbare Geburtsstadt Stralsund erreichen“, sagt der ehemalige Fraktionschef der Linken. „Aber bis in meinem Wahlkreis nach Rostock würden sie schon nicht mehr kommen.“ Puh, Glück gehabt.
Mit seiner Rede eröffnet der 66-Jährige am Abend die Debatte – die erste, die zum Thema überhaupt im Bundestag stattfindet. Vor mittlerweile drei Monaten gab die Bundesregierung bekannt, dass die US-Armee in den nächsten Jahre verschiedene Mittelstreckenraketen in Deutschland stationieren wird. Das Kanzleramt verkündete die Nachricht in ein paar dürren, schriftlichen Sätzen.
Widerspruch kam damals nicht nur aus der Linkspartei, sondern auch von BSW und AfD, die mit dem Thema ihre Landtagswahlkämpfe im Osten bestritten. Protest gab es aber sogar in der Kanzlerpartei: Manche kritisierten die Entscheidung an sich, andere die fehlende Begründung. Aus der SPD-Fraktion kam ebenso wie von Grünen die Forderung, das Thema nachträglich im Bundestag zu diskutieren. Als die parlamentarische Sommerpause endete, war davon aber schon keine Rede mehr.
Die Koalition selbst hat die Stationierung bis heute nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Die Debatte am Donnerstag geht auf Anträge von Linken und BSW zurück. Sie findet nach 21 Uhr statt. Im Plenum ist nicht mehr viel los.
Ein kleiner gemeinsamer Nenner
Wer doch noch zuhört, erlebt in einem Punkt ein seltenes Einverständnis zwischen den verschiedensten Gruppen und Fraktionen: Darauf, dass der Kanzler schlecht kommuniziert hat, können sich fast alle einigen. Dass die Stationierungsentscheidung ohne öffentliche Debatte fiel, sei eine „Ungeheuerlichkeit“, sagt etwa der Linken-Abgeordnete Bartsch. „Eine so weitreichende sicherheitspolitische Entscheidung muss seriös diskutiert werden.“
„Die Bundesregierung glaubt, es nicht nötig zu haben, die Entscheidung zu erklären“, sagt auch Florian Hahn (CSU). Weiter reicht sein Konsens mit der Linkspartei freilich nicht. „Diese Raketen bedrohen den gesamten Ostseeraum, lieber Herr Bartsch“, sagt er hinsichtlich der vermeintlichen Verschonung der Hansestadt Rostock. Moskau verstehe nur eine Politik der Stärke und Abschreckung, daher sei die Stationierung richtig.
Es könne nicht sein, dass „wir über außenpolitische Entscheidungen von solcher Tragweite vor vollendete Tatsachen gestellt werden“, sagt Jan Nolte von der AfD. Abgesehen davon hat er wiederum wenig mit Hahn gemeinsam. Sogar für AfD-Verhältnisse gilt er als besonders russlandfreundlich. Ausgerechnet er ist es dann, der in seinem Beitrag eine Leerstelle der Gegenseite aufzeigt: Wie genau sich die Abschreckungswirkung der US-Raketen gestaltet, führt am Redepult niemand aus. „Die abschreckende Wirkung der Nato basiert nicht auf ein paar Tomahawk-Raketen, sondern auf den nuklearen Fähigkeiten“, sagt Nolte.
Für die Grünen darf Merle Spellerberg den Kanzler kritisieren. Seine Erklärung habe im Juli „viele überrascht und mit offenen Fragen zurückgelassen“. Es brauche eine informierte Debatte, „wenn wir dem russischen trojanischen Pferd in Form von AfD und Co keinen Einlassen gewähren wollen“. In der Sache steht sie jedoch hinter der Regierungspositionen: Die Raketen sollten „durch Abschreckung unsere Sicherheit gewährleisten“. Inhaltliche Kritik an den Plänen gab es aus der Grünen-Fraktion schon in den letzten Wochen nicht.
„Wir alle haben von der Stationierung aus der Zeitung erfahren“, bemängelt als letzte Rednerin Sevim Dagdelen (BSW), von ihrem Vorredner aus der FDP als „Radio Moskau“ angekündigt. Entsprechend einem Antrag ihrer Gruppe fordert sie eine Volksabstimmung zum Thema. „Umfragen zeigen eine Mehrheit gegen die Stationierung“, sagt Dagdelen, und bezeichnet es als „Frage der Demokratie“, nicht „einfach über den Mehrheitswillen hinwegzugehen“.
Als einer von wenigen Rednern verzichtet Falko Droßmann (SPD) auf Kritik am eigenen Kanzler und dessen Kommunikation. Er teilt stattdessen voll gegen das Wageknecht-Bündnis aus: Der Antrag der Linken sei zumindest glaubwürdig. Im Antrag des BSW aber fehle jeder Verweis auf russische Raketen oder den Angriff auf die Ukraine. „Eine grobe Umkehr der Wahrheit“, sagt Droßmann, „schlicht Lüge“. Wagenknecht, während der Debatte nicht anwesend, vergifte den Diskurs. Sie stilisiere Täter zu Opfern.
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