Migrationsdebatte in Europa: Wie es Dänemark macht
Deutsche Politiker*innen fordern oft eine ähnlich restriktive Asylpolitik wie in Dänemark. Funktioniert das? Ein Q&A zum dänischen Modell.
Seit Jahren fordern Politiker*innen, Deutschland müsse sich in der Asylpolitik an Dänemark orientieren. Gerade erst hat auch CDU-Chef Friedrich Merz dem Kanzler diesen Tipp mitgegeben. Was ist das eigentlich, das „dänische Modell“?
Die Regierung der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat ein klares Ziel: „null Asylbewerber“. Dabei setzt das Land vor allem auf eine harte Abschiebepraxis – und auf extrem miese Bedingungen für diejenigen, die in Dänemark Schutz suchen. Das Signal: Geflüchtete sind unerwünscht.
Was genau macht Dänemark?
Dänemarks Asylsystem war schon lange sehr restriktiv, wurde aber 2019 mit dem sogenannten Paradigmenwechsel-Gesetz nochmal massiv verschärft. Geflüchtete bekommen generell nur sehr prekäre, befristete Aufenthaltstitel. Sie sollen sich nicht integrieren (können). Die Behörden dürfen ihnen Geld und Schmuck bis zu einem bestimmten Wert abnehmen – was in der Realität aber kaum umgesetzt wird. Für Ausreisepflichtige oder Geduldete gibt es Abschiebegefängnisse, die weit abseits der urbanen Zentren liegen. Das Anti-Folter-Kommittee des Europarats erklärte, die Zustände etwa im Ausreisezentrum Ellebæk seien „nicht für Menschen“ geeignet – selbst in Russland finde man bessere Bedingungen. Der sozialdemokratische Integrationsminister antwortete darauf, es solle dort eben nicht „behaglich“ sein, die Menschen sollten ja ausreisen.
Das will das Land mit noch weiteren Maßnahmen klar machen. Der Familiennachzug ist eingeschränkt. Es gibt Rückkehrprämien von bis zu 5.400 Euro. Außerdem gibt es ein sogenanntes Ghetto-Gesetz: In Brennpunktstadtteilen werden Straftaten härter bestraft, Menschen können sogar zwangsumgesiedelt werden. Eins der Kriterien dafür ist pauschal der Anteil „nichtwestlicher“ Migrant*innen. Dänemark hatte außerdem den Familiennachzug für Geflüchtete erst nach drei Jahren erlaubt – was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2021 für rechtswidrig erklärte. Und Dänemark führt seit 2016 wieder permanente Grenzkontrollen zu Deutschland durch – was eigentlich gegen EU-Recht verstößt.
Wollte Dänemark nicht auch seine Asylverfahren nach Ruanda auslagern?
Ja, 2021 hat Dänemark ein entsprechendes Gesetz verabschiedet und intensiv an der Umsetzung gearbeitet. Passiert ist es dann aber nie. 2023 hat die Regierung ihr „Prestigeprojekt“ dann auch offiziell auf Eis gelegt. Man setze nun auf gemeinsame europäische Lösungen, hieß es.
Stimmt es, dass Dänemark nach Syrien abschiebt?
Das droht Dänemark auf jeden Fall schon lange an. Tatsächlich hat das Land bestimmte Teile Syriens formal als „sicher“ deklariert und Syrer*innen bereits die Aufenthaltstitel entzogen. Abgeschoben wurde aber bis heute niemand – auch weil Dänemark keine Beziehungen zum syrischen Regime unterhält.
Könnte man so etwas wie das dänische Modell in Deutschland überhaupt nachmachen?
Nein. Dauerhafte Grenzkontrollen sind wie gesagt rechtswidrig. Zweitens hat Dänemark nur eine Landgrenze zu kontrollieren, und zwar die nach Deutschland – mit einer Länge von gerade mal 68 Kilometern. Dazu kommt die Seegrenze zu Schweden mit 115 Kilometern. Deutschland hingegen grenzt an neun Nachbarstaaten. Selbst, wenn man nur die im Zentrum der Debatte stehenden Grenzen zu Österreich, Tschechien und Polen kontrollieren wollte, käme man auf 2.103 Kilometer. Und was das Asylrecht angeht: Dänemark hat beim Eintritt in die EU Vorbehalte im Bereich Inneres und Justiz geltend gemacht: Verschiedene EU-Richtlinien in Asylfragen gelten für das Land nicht. „Dänemark nimmt für sich Sonderregeln in Anspruch und bricht außerdem EU-Recht, wie bei den Grenzkontrollen“, sagt Maximilian Pichl, Professor für Soziales Recht an der Hochschule RheinMain. „Das können Politiker jetzt natürlich als Vorbild sehen – dann stellen sie aber ehrlicherweise das Prinzip der EU komplett in Frage.“
Aber Dänemark erreicht mit dieser Politik doch seine Ziele, oder? Die Zahl der Asylsuchenden ist seit 2015 massiv zurückgegangen.
Ja. Dabei dürften durchaus die Grenzkontrollen eine Rolle gespielt haben. Allerdings zwang der Bürgerkrieg in Syrien 2015 und in den Folgejahren besonders viele Menschen zur Flucht – seither sind die Zahlen überall in der EU massiv gesunken. Vergleicht man die Statistiken Dänemarks und Deutschlands, ähneln sich die Kurven. Weniger eindeutig ist die Wirkung des sogenannten dänischen „Paradigmenwechsels“ von 2019: Seither hat sich die Anzahl an Asylanträgen zwar zunächst noch einmal verringert – seit 2021 aber steigt sie sogar an. So hat sich die Zahl der Asylanträge 2022 verdreifacht.
Die Asylanträge sind das eine. Was ist mit den Abschiebungen?
Dänemark selbst betont oft, wie erfolgreich es bei Abschiebungen ist. „Aber auch Dänemark kann längst nicht alle Ausreisepflichtigen auch wirklich abschieben“, sagt Migrationsexperte Pichl. Manche Menschen säßen lange Zeit unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Zentren fest, andere tauchten unter. Von 653 Abzuschiebenden in den vergangenen drei Jahren seien zivilgesellschaftlichen Initiativen zufolge 419 vom Radar der Behörden verschwunden. Diese bleiben dann illegal im Land – oder finden ihren Weg in andere EU-Staaten.
Fans des dänischen Modells betonen gerne, dass durch die harte Asylpolitik die Rechtsaußenpartei „Dänische Volkspartei“ keine Rolle mehr spiele. Gerade mit Blick auf hiesige AfD-Erfolge: Ist das Modell doch ein Erfolgsrezept?
Nur auf den ersten Blick. 2015 erzielte die Dänische Volkspartei (DF) mit 21 Prozent ein Rekordergebnis und wurde zweitstärkste Kraft, 2019 stürzte sie massiv ab und krebst inzwischen bei 2 Prozent herum. Seither haben sich allerdings gleich mehrere neue extrem rechte Akteure etabliert, zeigt eine Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Inzwischen sitzen drei radikal rechte Parteien im dänischen Parlament, ihr Stimmenanteil lag bei der Wahl 2022 bei knapp 15 Prozent. Lässt man das Rekordergebnis der DF im Jahr 2015 außen vor, ist die Bilanz deutlich: Die extreme Rechte in Dänemark war noch nie so stark wie heute.
Aber immerhin zeigt Dänemark doch, dass es sich für sozialdemokratische Parteien lohnt, auf restriktive Migrationspolitik zu setzen. Oder?
Tatsächlich blieben die Sozialdemokraten bei der Wahl 2019 stabil, während die Rechten von 21 auf unter 9 Prozent krachten. Für viele ist das der Beweis, dass ein harter Kurs in der Asylpolitik ein Rettungsanker für die international wie auch in Deutschland strauchelnde Sozialdemokratie sei. Studien zeigen aber, dass die Partei vor allem mit linker Wirtschafts- und Sozialpolitik punkten konnte und damit, dass den Rechten in Klima- und Umweltfragen blank waren. Das waren die Hauptgründe für Wähler*innen, von der DF zu den Sozialdemokraten zu wechseln. Die besonders einwanderungsfeindlichen Wähler*innen hingegen blieben den Rechten treu. Und: Nach der Wahl 2022 ist der Migrationskurs der Regierung gleich geblieben, in der Sozial- und Wirtschaftspolitik aber ist sie nach rechts gerückt. Seither verlieren die Sozialdemokraten deutlich an Zustimmung.
Also ist das alles eigentlich wirkungslos?
„Wissenschaftlich ist längst erwiesen, dass abschreckende Maßnahmen wie Arbeitsverbote oder gekürzte Sozialleistungen sich auf die Migrationsbewegungen von Geflüchteten nur sehr begrenzt auswirken“, sagt Pichl. Viel wichtiger seien etwa Netzwerke und Kontakte vor Ort oder ein funktionierender Rechtsstaat. Für Betroffene in Dänemark hingegen haben die Gesetze sehr konkrete Auswirkungen. Der Diskurs in Dänemark Geflüchteten und Migrant*innen gegenüber ist fast durchweg feindselig bis rassistisch. Geflüchtete leiden unter den prekären Bedingungen. Einer aktuellen Studie der Rockwool Foundation zufolge lebt knapp die Hälfte der geflüchteten Familien mit Kindern unter der Armutsgrenze. „Bestehende Integrationserfolge hat die dänische Regierung mit dieser Politik zunichtegemacht“, sagt Pichl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin