Migranten aus Russland in Armenien: Russen räumen Jerewan auf

Jahrelang hat sich niemand um vermüllte Gegenden in dem Kaukasusland gekümmert. Jetzt werden russische Öko-Aktivisten in ihrer neuen Heimat aktiv.

Ein haufen Müll im Gras

Müll am Ufer des Sewan-Sees in Armenien Foto: Kenneth martin/ZUMA Press/imago

„Aschotik, renn nicht so schnell, sonst fällst Du hin. Fass deine Freunde an den Händen“, ruft die junge Erzieherin, bevor sie mit einer Gruppe kleiner Kinder einen langen, kalten Tunnel in Armeniens Hauptstadt Jerewan entlangläuft.

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Die junge Frau macht sich ein bisschen Sorgen: zum ersten Mal ist sie hier mit ihren kleinen Schützlingen unterwegs.

„Tante Mara, guck mal, der Onkel dort hat lange Haare“, ruft eins der Kinder, und zeigt auf ein paar junge Leute, die nicht weit von der Gruppe Müll in schwarze Plastiksäcke sammelt.

„Schäm dich und schweig“, fährt ihn die Erzieherin an.

„Warum soll ich mich schämen, die verstehen mich doch gar nicht“, beharrt das aufgeweckte Kind.

Der langhaarige junge Mann hat aber sehr gut verstanden: Hier spricht jemand über seine für armenische Verhältnisse ungewöhnlich langen Haare. Er winkt den Kindern zu und ruft: „Komm rüber und hilf uns!“

Aber Aschotik ist das jetzt peinlich, er läuft zu seiner Erzieherin und umarmt sie. Noch vor einigen Monaten hätte man sich solch eine Szene kaum vorstellen können: Die Fußgängertunnel, die zur Kindereisenbahn führten, waren die vielleicht schrecklichsten Orten in Jerewan.

Der im Herzen der Stadt gelegene Ort wurde in der Sowjetzeit als der wichtigste Kinderpark Jerewans angelegt. Im Laufe der Jahre überließ man den Park und die Tunnel, die zu ihm führen, ihrem Schicksal. Ihre Besitzer wechselten: Drogensüchtige und Obdachlose.

Dieses Jahrzehnte währende Bild hat sich allerdings jetzt ebenso geändert, wie die Hauptsprache der Speisekarten in den Cafés und Restaurants Armeniens: von Armenisch zu Russisch. Bei der Kindereisenbahn – sowie an vierzig weiteren Orten – haben die Russen, nach mehreren Anläufen, jetzt für Ordnung und Sauberkeit gesorgt. Jetzt konnte die Eisenbahn an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden: an die Kinder.

Dima, einer der Freiwilligen, der hier Ordnung schafft, hat praktisch alle Sehenswürdigkeiten Armeniens besucht. Er sagt: jeder Bezirk, jedes Dorf hat seine Besonderheiten, aber sie alle haben eins gemeinsam: Den Müll, der jahrelang dort lag.

Als wir den Sewansee säuberten, haben wir allein 70 Säcke mit Plastikmüll und zwei alte Reifen aus dem See und dem Küstengebiet geholt. Aus dem Fluss Hrasdan zogen wir einen Kühlschrank, einen Sessel und ein Kinderbett“, erkärt Dima und wundert sich selber: „Armenier sind doch so sauber, wer schmeißt den ganzen Müll da in die Gegend?“

Es ist schwierig, die Verursacher der Vermüllung zu finden. Leute, die aufräumen, findet man dagegen sehr leicht. Erstaunlicherweise waren die ersten gesellschaftlichen Initiativen von Russen, die nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine nach Armenien kamen, um sich hier niederzulassen, ökologische.

Zuerst in kleinen Gruppen und dann mit Tausenden von Gleichgesinnten gründeten die russischen Migranten die Initiative greengreen, mit aktuell mehr als 7.000 Aktiven, und begannen, Armenien vom herumliegenden Müll zu reinigen.

In den vergangenen anderthalb Jahren hat greengreen nicht nur Jerewan aufgeräumt, sondern zahlreiche Gebiete in ganz Armenien. Mehr als 60 Tonnen Müll wurden bislang eingesammelt, 25 von ihnen gingen an Recyclingfirmen. Zu den russischen gesellten sich armenische Freiwillige, aber noch immer wird die Hauptarbeit von Russen geleistet.

Die ersten Aktionen der Gruppe waren allerdings nicht unumstritten. „Verpisst euch in euer Land, ihr verdammten Besatzer“, schrieben einige Armenier in den sozialen Medien, aber nach und nach wurde allen klar: Wenn man sein Haus nicht aufräumt, werden es diejenigen tun, die darin leben wollen. Und 57.000 Russen haben beschlossen, dauerhaft in Armenien zu bleiben.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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Die Journalistin lebt und und arbeitet in Jerewan (Armenien). Sie war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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