Mietendeckel-Entscheidung in Berlin: Eine Ahnung von düsteren Zeiten

Die Entscheidung des Verfassunggerichts erinnert an 2006: Damals verweigerte Karlsruhe Berlin Finanzhilfen – und stürzte das Land in eine tiefe Krise.

Viele Menschen dicht gedrängt auf einer Demonstration

Wieder mal ruht die Hoffnung auf dem Bund – ob es diesmal nicht vergebens ist? Foto: dpa

Die Un­ter­stüt­ze­r*in­nen des Mietendeckels hatten viel spekuliert, wie die mit Sehnsucht und Bangen erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über dieses bisher beispiellose Gesetz ausfallen würde. Karlsruhe könnte, so ein häufiger Gedanke, die Festschreibung der Mieten für fünf Jahre akzeptieren, aber die Obergrenzen und die daraus folgende mögliche Absenkung zu hoher Mieten kippen. Ein Kompromiss also, den alle als Sieg hätten verbuchen können: Regierung, Opposition, Mieter*innen, Vermieter*innen. Es kam ganz anders.

Am Donnerstag erklärte das Gericht, nur der Bund habe die Kompetenz, ein solches Gesetz zu erlassen. Damit ist es nichtig. Der Mietendeckel ist nach nur 14 Monaten zerbrochen. Die ersten Nachforderungen an die Mie­te­r*in­nen dürften in Kürze in deren Briefkästen landen.

Karlsruhe sagte nichts zum Inhalt des Gesetzes: Ob, wie nun vielfach gefordert, der Bund einen Mietendeckel umsetzen könnte, bleibt offen. Die Entscheidung fiel indes einstimmig: Eine derbe Klatsche für jene Juristen der rot-rot-grünen Koalition, die dem Land die Gesetzgebungskompetenz zugesprochen hatten.

In seiner brüsken Art erinnert die Entscheidung an eine andere aus Karlsruhe. 2006 lehnte das Gericht Berlins Klage auf Finanzhilfen ab; das mit vielen Milliarden Euro verschuldete und einkommensschwache Land sei in keiner Haushaltnotlage, für die der Bund in die Bresche springen müsse. Berlin könne noch reichlich sparen, so die Begründung, etwa in der Verwaltung, bei Unis oder Kultur. Und das Land besitze viele landeseigene Wohnungen, die es verkaufen könne.

Da schließt sich der Kreis

Bei der Entscheidung von Donnerstag schließt sich der Kreis. Der Mietendeckel, vorerst letztes Mittel nach einer ganzen Reihe wohnungspolitischer Maßnahmen, ist auch deshalb notwendig geworden, weil das Land zu viele eigene Wohnungen verkauft hat – zu Preisen, über die die heutigen Großeigentümer noch immer herzlich lachen. Die Einkommen wiederum sind in Berlin auch deswegen so niedrig, weil sich die Stadt lange Jahre kaputtsparen musste.

2006 forderte das Gericht Berlin auf, doch seine Wohnungen zu verkaufen

Nach der Entscheidung 2006 stand die Stadt unter Schock, übrigens nicht nur Rot-Rot, sondern auch die Opposition. Die Gefühlslage seit Donnerstag ist ähnlich. Auch CDU und FDP dürfte das arrogante Feixen noch vergehen: Denn es sind auch ihre Wähler*innen, die jetzt weniger Geld zur freien Verfügung haben.

Im Oktober 2006 reagierte der damalige SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin mit den Worten: „Uns hilft keiner mehr, wir müssen uns selber helfen.“

Wie eine solche Selbsthilfe nach der Mietendeckelpleite aussehen soll, ist unklar. Die Verdrängungsprozesse verlaufen schneller, als die Politik wieder Wohnungen kaufen kann, um dämpfend auf die Mieten einzuwirken. Zudem dürfte das Geld knapper werden wegen der Aufwendungen für die Folgen der Coronapandemie. Für eine Rettung ist Berlin auf die Hilfe des Bundes und einer andersfarbigen Bundesregierung angewiesen, die es Berlin explizit erlauben würde, einen neuen Mietendeckel aufzulegen. Ob und wann das passiert? Wer weiß. Die nächsten Jahre könnten düster werden.

Die Rettung aus der Krise nach der Karlsruher Entscheidung 2006 waren übrigens Tou­ris­t*in­nen und Investor*innen, die infolge der globalen Finanzkrise in Massen in die Stadt gespült wurden. Denn, so die Begründung, hier „lebt es sich ja noch so billig“. In der Folge stiegen vor allem die Immobilienpreise. Das Ergebnis sehen wir heute.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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