piwik no script img

Mehr Zugverkehr wagenHolt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!

Un­se­r*e Ko­lum­nis­t*in fordert eine Ausweitung des Deutschlandtickets. Das sei machbar, es brauche nur genügend politischen Willen.

Fernreisen: Wenn die Grenzen zwischen Stadt und Land, zwischen Region und Metropole kleiner werden Foto: Arnulf Hettrich/imago

E rinnert ihr euch noch an das Sommermärchen? Nein, nicht als WM in Deutschland war, sondern viel besser, als es 2022 plötzlich das 9-Euro-Ticket gab. Der Duft verkehrspolitischer Revolution lag in der Luft. Auf einmal schien alles möglich! Auf den Bahnsteigen zumindest. In den Zügen wurde es heißer und stickiger, denn das ganze Land fuhr nach Sylt.

Heute fahre ich immer noch viel Zug, sogar mehr als damals. Jede Woche einmal nach Berlin und zurück, mindestens. Statt Deutschlandticket bringt mich die Bahncard 100 durchs Land. Und während ich im Bordbistro sitze und darüber nachdenke, wie lange ich das noch durchhalten kann mit dem ständigen Pendeln zwischen Rheinhessen und der Stadt mit dem Bär, fühlt sich Deutschland plötzlich kleiner an.

Ich hab das Wort Fernreise fast vollständig aus meinem Kopf gestrichen. Deutschland fühlt sich an wie eine große Metropolregion. Ein Geburtstag in München? Klar komme ich vorbei. Ein Besuch in Hamburg? Ich brauche nur einen Schlafplatz. Die Grenzen zwischen Stadt und Land, zwischen Region und Metropole werden kleiner. Und dieses 9-Euro-Ticketgefühl ist wieder da.

Der Flattarif hat das Land verbundener gemacht. Das Deutschlandticket hat das grundsätzlich weitergeführt. Aber jetzt steht all das wieder auf dem Spiel. Politiker verklären die Mobilitätsflatrate im Nahverkehr zum Luxusgut. Womöglich fällt das Ticket bald einer neuen Sparpolitik zum Opfer. Und gleichzeitig beklagen dieselben Politiker eine Spaltung zwischen Stadt und Land. Kreuzberg ist nicht Deutschland, geiferte Friedrich Merz vor knapp einem Jahr. Mich schmerzt das, weil sich Deutschland für mich mittlerweile so klein anfühlt. Ich stehe morgens in Rheinhessen auf, fahre nach Berlin und verbringe dort meinen Tag. Klar, normal ist das nicht. Aber andererseits: Sollte das nicht Normalität werden?

Disruption funktioniert am Ende manchmal doch

Die BahnCard 100 kostet mich aktuell 300 Euro im Monat – und das nur, weil ich unter 27 bin. Das lohnt sich nur, wenn man es exzessiv nutzt. Aber weil alle diese Möglichkeit haben sollen, fordere ich: Holt den Fernverkehr ins Deutschlandticket! Es würde uns alle mehr verbinden. Nicht ständig zu fahren, sondern ständig überall hinfahren zu können, ist das, was uns zusammenbringt, was Freiheit bedeutet.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Man könnte jetzt mit den Zähnen knirschen und sagen: Das wird niemals gehen! Unrealistisch! Wer das entgegnet, den möchte ich gerne mit auf eine Reise in die Vergangenheit mitnehmen. Von 2019 bis 2024 saß ich im Aufsichtsrat der Mainzer Verkehrsgesellschaft. Ich habe die Debatten über Veränderungen im Nahverkehr und überhaupt die Verhandlungsposition eines Verkehrsverbundes live mitbekommen. Hätte ich damals dort vorgeschlagen, man könnte sich doch mal für einen bundeseinheitlichen Tarif im Nahverkehr für 49 Euro einsetzen, hätte man mich brüllend ausgelacht. Aber die Realität zeigt, Disruption funktioniert am Ende manchmal doch.

Und die Kosten? Der Gesamtumsatz der Deutschen Bahn im Fernverkehr beläuft sich im Jahr auf rund 5 Milliarden Euro. Das ist also die Benchmark, die wir finanzieren müssen. Dagegen werden fossil betriebene Dienstwagen jährlich mit 13 Milliarden Euro subventioniert. Die Integration des Fernverkehrs in einen 49-Euro-Tarif wäre mit genügend politischem Willen also machbar. Und die Zeiten, in denen sich der Bahnbetrieb durch Ticketpreise finanzieren soll, müssen doch sowieso Geschichte werden. Hate me, aber you will love it.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Mit einer ermäßigten Bahncard100 ist das Leben natürlich leicht und kuschlig. Da kann man auftrumpfen und fordern. Man gönnt sich ja sonst nichts.



    Da die Regional-Verkehre teilweise steuerfinanziert werden, muss man wohl akzeptieren, wenn "es heißer und stickiger" wird und man an sonnigen Wochenende Probleme bekommt, anders als stehend und mit viel sozialen Kotakten von A nach B zu kommen. Für Gutverdienende (sonst im Auto unterwegs), die das "einfach mal probieren" wollen, ein schönes Event.



    Der Fernverkehr ist aber ein Eigenprodukt der Bahn und sollte aus den Wohltaten des Staates herausgehalten werden. Da habe ich, bei mehrstündigen Fahrten schon gern nicht nur einen festen Sitzplatz, sondern auch halbwegs übersichtliche Zugbelegungen.



    Sollte jemand diese Idee aufgreifen ohne das Zugangebot massiv auszuweiten, werden wieder mehr Menschen auf das (Fern-)Reisen im Auto zurückkehren.

  • Liebe Elyla!



    Ich muss gestehen, ich bin etwas konsterniert. Ihr Artikel geht vollkommen in die falsche Richtung.



    Das Wort Fernreise darf keinesfalls aus unseren Köpfen verschwinden, denn es gibt kein Menschenrecht auf permanentes Wochenendparadies mit Nordseestrand. Wir dürfen nie vergessen, auch Fernreisen mit der Bahn haben einen immensen CO2 Abdruck. Mobilität muss im Kampf gegen den Klimawandel allgemein eingeschränkt und nicht ausgeweitet werden. Wobei dies nicht heißen soll, dass die Subventionierung des öffentlichen Verkehrs falsch wäre: Aber es muss klar sein, hier geht es einzig und allein um eine Alternative zum größten Problem des Personenverkehrs, dem PKW.

    Ich móchte Sie fragen, würden sie auch sagen: "Es ist so schön, dass ganze Jahr draußen zu sitzen. Lasst uns unsere Gärten beheizen, Hauptsache mit Ökostrom auf Flatrate."?

  • Letztlich bedeutet ihr Forderung doch, dass alle mit ihren Steuern das vergünstige Ticket für Nah- und Fernverkehr mitbezahlen.



    Klingt gut und richtig, aber was ist mit all denen, die gar keinen brauchbaren ÖPNV haben? Die zahlen dann und erhalten nichts. Und genau diesen Pendlern wollen sie jetzt auch noch ihre Firmenwagen teurer machen. Ist das gerecht?

  • Klar.

    Dann aber bitte den Zuschuss für _alle_ Fahrten, Dienstreisen, Pendlerpauschalen, etc. Insgesamt(!!) auf die Hälfte des Deutschlandtickets deckeln.

    Dann können wir das machen.

  • Ich würde mal vermuten, dass es für die fünf (oder auch dreizehn) Milliarden durchaus sinnvollere Verwendungen gäbe, als in ein sowieso schon überlastetes System NOCH mehr Last hineinzulocken.



    War da nicht was mit Sanierung der Bahninfrastruktur oder so...

  • Danke! :-)

    Ja, es wird Zeit, das D-Ticket breiter aufzustellen.

    Mein Vorschlag:

    Ein "IC-D-Ticket" einführen. Also das D-Ticket inklusive Intercity Nutzung für 79 Euro im Monat. 39 Euro als IC-D-Sozial/Studi-Ticket.

    Auch als Papierticket einfachst für 80 Euro für 4 Wochen seniorenfreundlich/barrierefrei, ohne Abofalle (!) ziehbar.

    Müssen nur wollen... . :-))

  • Ganz einfach: Geld drucken. Oder Steuerhöhungen für Reichen. Noch besser die Mrd aus dem cum ex Skandal locker machen. Scholz könnte eine prominente Rolle spielen, wenn da nicht die einsetzende Demens wäre

    • @Schö51:

      Die Steuererhöhungen für Reiche sollen laut Robert Habeck für Schulsanierungen, Lernmittel usw. eingesetzt werden. Überall kann man das Geld nicht einsetzen.

      Früher waren immer Eurofighter eine Währung. Zb. "Für ein Eurofighter kann man xxx Kitas bauen".

  • Es wäre schon mal ein Anfang, wenn man für D-Ticket-Abonnent*innen eine Fahrkarte für den Fernverkehr anbieten würde, die eine sehr begrenzte Reichweite hat, und dafür 5 Euro oder so kostet, und die dann und nur dann gilt, wenn man aufgrund Verspätung einer Bimmelbahn nur mit Umstieg auf den Fernverkehr einen Anschluss erreichen kann.

    • @Ajuga:

      Das gibt es jetzt schon, das wenn eine "Bimmelbahn" zu spät kommt das mn Zb. in in einen IC einsteigen darf. Aber nur wenn genügend Platz im IC ist. Also Einzelfallentscheidungen.

      Mit Umstieg auf den Fernverkehr hat das aber nichts zu tun. Wie soll man das überprüfen?