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Medizin im Katastrophenfall„Triage-Gesetz“ beschlossen

Nach einer letzten Debatte im Bundestag wird ein Gesetz beschlossen, das Ärzte und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten aufbringt. Es geht um Leben und Tod.

Wer bekommt das letzte freie Intensivbett? Foto: dpa

Berlin taz | 45 Minuten waren auf der Tagesordnung für die abschließende Debatte und Abstimmung zum „Triage-Gesetz“ vorgesehen. Ganz so schnell ging die im Vorfeld vielkritisierte Neuregelung am Donnerstagabend im Bundestag aber dann doch nicht über die Bühne. Diverse Abgeordnete der Regierungsfraktionen hielten sich nicht an die Fraktionsdisziplin und stimmten per Handzeichen gegen den Gesetzentwurf. Das Bundestagspräsidium leitete daraufhin eine namentliche Abstimmung ein.

Mit der Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz soll für den Fall vorgesorgt werden, dass intensivmedizinische Ressourcen nicht für alle Pa­ti­en­t:in­nen ausreichen. In der Pandemie standen einzelne Krankenhäuser bereits kurz vor diesem Katastrophenfall. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Gesetzgeber nach einer Verfassungsbeschwerde aufgefordert, dafür zu sorgen, dass bei einer notwendigen Zuteilung zu knapper Behandlungsplätze Menschen mit Behinderung und andere Gruppen nicht benachteiligt werden.

Das „Triage-Gesetz“

Inhalt Als „Triage-Gesetz“ wird eine nun beschlossene Regelung im Infektionsschutzgesetz bezeichnet, die die Verteilung zu knapper intensivmedizinischer Ressourcen im Pandemiefall regeln soll. Alleiniges Kriterium für die Entscheidung, wer freie Behandlungsplätze erhalten soll, wenn es davon zu wenige gibt, ist demnach die „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“. Eine Benachteiligung wegen einer Behinderung, des Grades der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung soll explizit vermieden werden. Das Gesetz regelt außerdem Einzelheiten zum Verfahren der Zuteilung wie das Vier-Augen-Prinzip, Meldepflichten und eine Evaluierung.

Kritik Ärz­t:in­nen geht das Gesetz zum Teil nicht weit genug. Sie kritisieren, dass die Frage, wer noch freie Behandlungsplätze zugeteilt bekomme, in Hochlastsituationen kaum relevant sei und dass sich die Überlebenswahrscheinlichkeit oft erst bei bereits begonnener Intensivbehandlung abschätzen ließe. Um möglichst viele Menschenleben zu retten, sei daher auch eine Neuverteilung bereits belegter Behandlungsplätze nötig (sog. Ex-post-Triage). Behinderten- und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen sehen dagegen auch in der jetzt beschlossenen Regelung einen Verstoß gegen die Menschenwürde und den Verfassungsgrundsatz, dass ein Leben nicht mehr wert sei als ein anderes. Gerade Menschen mit Behinderung würden durch das Zuteilungskriterium der Überlebenswahrscheinlichkeit benachteiligt.

In der Debatte im Bundestag konnte man zunächst den Eindruck gewinnen, dass zumindest die Regierungsfraktionen sicher sind, für diesen Auftrag eine geeignete Lösung gefunden zu haben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte, das Gesetz stelle sicher, dass Vorerkrankungen und Behinderungen keine Rolle spielten, wenn Intensivbetten tatsächlich knapp werden sollten in einer erneuten Pandemie. Es sei ein gutes Gesetz zu ethisch höchst schwierigen Fragen, so die rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Katrin Helling-Plahr.

„Beste Lösung für ein Dilemma“

Das Gesetz vereine die Forderungen nach der Rettung möglichst vieler Menschenleben im Katastrophenfall und dem Schutz vor Diskriminierung, war sich Martina Stamm-Fibich, Patientenbeauftragte der SPD-Fraktion, sicher. Es sei „die beste Lösung für ein Dilemma, das niemals zur Zufriedenheit aller aufgelöst werden kann“, so Stamm-Fibich.

Till Steffen, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, verwies darauf, dass das im Gesetz gewählte Kriterium für eine Zuteilung zu knapper Behandlungsressourcen, die kurzfristige und aktuelle Überlebenswahrscheinlichkeit, objektivierbarer sei als andere Lösungen.

Die Oppositionsparteien nahmen dagegen die Kritik auf, die zuvor auch schon Ärzt:innen, Behinderten- und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen geäußert hatten. Der ehemalige Bundesbehindertenbeauftragte Hubert Hüppe (CDU) verwies darauf, dass sowohl Behindertenselbstvertretungen als auch Me­di­zi­ne­r:in­nen nicht ausreichend beteiligt worden seien am Gesetzgebungsverfahren.

Der Sprecher für Inklusion und Teilhabe der Linksfraktion, Sören Pellmann, betonte die Tragweite des Gesetzes: „Im weltweit ersten Triage-Gesetz geht es um nichts anderes als um Leben und Tod.“ Pellmann brachte vor, dass die Behindertenbeauftragten des Bundes und der Länder auf schwerwiegende Diskriminierungsrisiken des Gesetzes hingewiesen hatten. Er verlangte eine Ablehnung des Gesetzentwurfs, eine Aufhebung des Fraktionszwangs und eine breite gesellschaftliche Debatte. Das hatte in den Tagen vor der Abstimmung auch das Deutsche Institut für Menschenrechte gefordert.

Bei der namentlichen Abstimmung stimmten schließlich zwar ausreichend Abgeordnete für das Gesetz. Aber mit 366 Ja-Stimmen, 284 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen war das Ergebnis längst nicht so eindeutig, wie es die Fraktionsstärken der Regierungsparteien hätten vermuten lassen. Mehrere Abgeordnete der Grünen und der FDP stimmten dagegen.

Sowohl Ärz­t:in­nen als auch Be­hin­der­ten­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen rechnen nun mit einem erneuten Gang vors Verfassungsgericht.

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19 Kommentare

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  • Wie so vieles im Bereich von Leben und Tod versucht der deutsche Gesetzgeber etwas rechtlich zu regeln, was in der Praxis nicht wirklich zu regeln ist. Einerseits kann das Gesetz dem Arzt keine schwierigen Entscheidungen abnehmen, andererseits wird versucht, jeden möglichen Einzelfall zu regeln, so dass am Ende vielleicht nur ein Verstoß gegen die Regelungen die einzige sinnvolle Entscheidung ist.

    Manchmal kann man nun mal keine absolut richtige Entscheidung treffen. Da hilft auch kein gesetz.

  • Ich empfehle den Artikel von gestern, der ein wesentliches Problem mit diesem Gesetz anspricht: taz.de/Triage-Gese...undestag/!5890649/

    Wenn man solche utilitaristischen Entscheidungen trifft, also sagt "wir töten einige wenige, um viele zu retten", dann steht man immer vor dem Problem, ob man vorher überhaupt sicher abschätzen kann, dass das Opfer das gewünschte Ergebnis bringt. Das tritt bei diesem Gesetz sehr deutlich zutage, dann die ab jetzt geltende ex-ante-Triage führt gar nicht zu signifikant höheren Zahlen an Überlebenden. Man kann VOR der Behandlung schlicht nicht sicher genug abschätzen, wer die besten Chancen hat. Das geht erst bei der ex-post-Triage, also wenn man bereits beatmete Patient:innen vom Beatmungsgerät nimmt, sprich: sterben lässt. Denn dann trifft es diejenigen, die dem Tod bereits am nächsten sind, damit der Behandlungsplatz für jemanden frei wird, der vielleicht bessere Chancen hat. Wenn man dagegen ex-ante-Triage macht, unterteilt man einfach nach ableistischen Kriterien, wen man für überlebensfähig hält, ohne das sicher zu wissen - und die Empirie zeigt, dass man mit diesen Vorurteilen meist falsch liegt.

    Damit will ich nicht sagen, dass wir stattdessen die ex-post-Triage brauchen. Ich finde, dass sie mit gutem Grund verworfen wurde. Aber wenn wir sagen "es geht zu weit, dass wir bereits beatmete Patient:innen gegen den Wunsch ihrer selbst und der Angehörigen gezielt dem Tod ausliefern", dann könne wir nicht stattdessen mit nutzlosen Kriterien gezielt Menschen mit Behinderung aussortieren - denn nichts anderes findet hier statt, wenn die ex-ante-Triage ja gar nicht signifikant mehr Menschenleben rettet.

    Unter den gegebenen Bedingungen können wir nur nach dem Prinzip "wer zuerst kommt, wird zuerst beatmet" selektieren. Alles andere ist ein Rückfall in die Zeiten, in denen in diesem Land schon mal nach wertem und unwertem Leben unterschieden wurde.

    • 6G
      659428 (Profil gelöscht)
      @Tentacle_Therapist Lalonde:

      "Alles andere ist ein Rückfall in die Zeiten, in denen in diesem Land schon mal nach wertem und unwertem Leben unterschieden wurde."

      Ne ist es nicht. Wenn ein Arzt in einer Notsituation eine Entscheidung treffen muss, wen man am ehesten helfen kann und gezielte Sterilisation/ Mord an Menschen aufgrund der NS-Ideologie ist nicht dasselbe.



      Wie schön wäre es, wenn die Leute aufhören würden immer die extremsten und abwegigsten Vergleiche zu ziehen.

      • 6G
        652134 (Profil gelöscht)
        @659428 (Profil gelöscht):

        @Bücherei



        Es geht nicht nur um das konkrete Verhalten von Ärzten, es geht auch oder vielmehr um das Prinzip, das hinter der konkreten Bewertung des Lebens steht, wenn an diese Bewertung die Zuteilung von Lebenschancen geknüpft wird. Ich verstehe einerseits, wenn Ärzte instinktiv lieber Menschen mit höheren Chancen helfen wollen. Ich finde es jedoch haarsträubend, wenn sich ein Arzt WEGEN geringerer Chancen von einem Menschen zu Gunsten eines anderen Menschen abwendet. Diese Probleme habe ich überhaupt nicht, wenn Patienten nach dem Prinzip Zufall ausgewählt werden. In dem letzten Fall hätte ich einfach keine Chance weiter zu leben (Schicksal). In dem ersten Fall wäre mit der Verweigerung der Behandlung eine tiefe Entwertung verbunden. Sie wissen vielleicht nicht, dass Art. 1 GG (die Menschenwürde), der eine Abwägung von Menschenleben verbietet (unverbrüchlicher Eigenwert des Einzelnen und Gleichwertigkeit aller Menschen), in unsere Verfassung aufgenommen wurde, um utilitaristischen Menschenbildern (Bewertung der Menschen nach ihrer Funktion wie in der NS-Zeit) vorzubeugen. Bislang hat der Staat, soweit ich das beurteilen kann, dieses Prinzip auf das Strengste verteidigt. Nunmehr ist es aufgeweicht. Man fragt sich warum das so ist. Ist damit ein Haltungswandel weg von der Menschenwürde hin zu einem utilitaristischen Menschenbild verbunden? (bedrohlich). Da man weiß, dass Haltungen/Ideen die Eigenschaft haben sich in Gesetzen und Handlungen niederzuschlagen befürchtet man darüber hinaus eine (schleichende) Ausdehnung dieses veränderten Menschenbildes (Dammbruch). Nur die Menschenwürde schützt uns vor den schlimmsten Verbrechen gegen Menschen im Namen des "Guten/Besseren/der Zweckmäßigkeit", das -da muss man ehrlich sein- jenseits der Menschenwürde der absoluten, vollkommensten Beliebigkeit ausgesetzt ist. Wenn man über den Wert des Menschen verhandeln darf ist es schon zu spät. Dann ist alles möglich auch wenn Kurzsichtige das nicht sehen wollen.

        • 6G
          659428 (Profil gelöscht)
          @652134 (Profil gelöscht):

          Es wird ja nicht über den Wert eines Menschen verhandelt, sondern abgeschätzt wer bei mangelnden Mitteln die besseren Chancen zu überleben hat. Und das muss gemacht werden, obwohl man in so einer Situation wohl immer nur zwischen zwei Übeln entscheiden kann. Und ich würde es auch moralisch verwerflich finden, medizinische Tatsachen (wie auch immer die in einem speziellen Fall aussehen mögen) zu "ignorieren" und ggf. zwei Patienten sterben zu lassen.

          Ist wohl eine dieser moralischen Zwickmühlen. So oder so wird es sich niemand leicht machen, der eine so furchtbare Entscheidung treffen muss und es verbietet sich, Vergleiche zum Dritten Reich herbeizufaseln.

          • 6G
            652134 (Profil gelöscht)
            @659428 (Profil gelöscht):

            @Bücherei



            Ich glaube kein Mensch unterstellt, dass Ärzte, wenn sie nur einen von zwei Menschen behandeln können, den Menschen, der in dieser Triage-Situation nicht behandelt werden kann, als lebensunwert ansehen oder auch nur nicht lieber auch noch retten würden.

            Das Problem, wie ich aber meine schon recht deutlich ausgedrückt zu haben, liegt auf einer anderen/höheren/geistigen Ebene. Ihnen ist vielleicht die fundamentale Bedeutung der Lebenswertindifferenz nicht bewusst und die Gefahr, die von einer Aufweichung dieses Prinzips ausgehen kann. Ich bin im übrigen der Meinung, dass die gesamten Verbrechen in der NS-Zeit sowie in anderen Diktaturen auf ein utilitaristisches, die Lebenswertindifferenz missachtendes Menschenbild zurück zu führen sind. Ein solches Menschenbild ist für mich der geistige Kern-Sündenfall aus dem heraus sich die grauenvollsten Verbrechen entwickelt haben auch wenn die Hinneigung zu diesem Menschenbild, wie bei einer Triage, bei der nach Lebenschancen differenziert wird, zunächst als gar nicht unbedingt anstößig erscheinen mag und sich dabei wirklich kein Mensch etwas Böses denkt. ("den Teufel spürt das Völkchen nie und wenn er es am Kragen hätte").

            Ich sehe es grundsätzlich so wie Prof- Lindner



            link.springer.com/...350-020-5643-7.pdf



            also dass Menschen nicht in die Triage einbezogen werden müssen, bei denen der Sterbeprozess bereits begonnen hat und die keine realistische Chance haben, die Behandlung zu überleben. Im übrigen muss m.E. aber wegen der Bedeutung der Lebenswertindifferenz das zeitliche Eintreffen ausschlaggebend sein. Ergänzend (ich glaube Prof. Linder sagt dazu nichts in dem Beitrag aber ich habe ihn nicht gründlich gelesen) würde ich auch noch nach Dringlichkeit priorisieren, weil dies in der Medizinethik ein anerkanntes, etabliertes und in moralischer Hinsicht zutiefst nachvollziehbares Kriterium ist.

            • 6G
              659428 (Profil gelöscht)
              @652134 (Profil gelöscht):

              Der Text bezieht sich ja viel auf Juristerei, mag sein dass einiges an mir vorbeigegangen ist. Allerdings stellt er doch unter S.728/VI/2.3 das Kriterium der "Erfolgsaussicht" über das Kriterium des zeitlichen Eintreffens, was nur bei Patienten mit gleichwertiger Erfolgsaussicht zum Tragen kommen soll. Insofern sehe ich keinen Widerspruch zu meiner Position.



              Ich sehe auch nicht, dass das Prinzip der Lebenswertindifferenz durch medizinische Auswahlkriterien verletzt wird.



              Ein konkretes, unpopuläres und hypothetisches Beispiel:



              Eine Lungenkrankheit (meinetwegen Corona) geht um und in einer Klinik gibt es nur noch einen freien Behandlungsplatz. Zwei Patienten warten schon: einer ohne Vorerkrankungen (A) und einer mit einer schweren erblichen Vorerkrankung der Lunge (B), sagen wir Mukoviszidose.



              In dem Fall wäre es natürlich verwerflich, wenn der Arzt die Vorerkrankung als Grund nimmt, Patienten A zu behandeln, B nicht.



              Anders sieht es allerdings aus, wenn der Arzt feststellt, dass Patient B eine schlechtere Sauerstoffsättigung hat, eine schlechtere Lungenfunktion o.Ä.



              Das Resultat wäre zwar dasselbe, aber im zweiten Fall hätte man nicht "unwertes" Leben aussortiert, sondern die Behandlung aufgenommen, welche die größten Erfolgsaussichten hat.



              Wenn der Arzt die (in diesem Beispiel gegebenen) schlechteren medizinischen Werte des Patienten B als Auswahlkriterium ausschließen würde, weil sie aus einer Vorerkrankung resultieren, Patient B behandelt und dann ggf. beide Patienten sterben wäre das m.E. ein großer Fehler und auch moralisch Verwerflich.

              • 6G
                652134 (Profil gelöscht)
                @659428 (Profil gelöscht):

                "Allerdings stellt er doch unter S. 278/VI(2.3. das Kriterium der "Erfolgsaussicht" über das Kriterium des zeitlichen Eintreffens"



                -Nur in dem von mir erwähnten Sinn, dass keine realistische Chance besteht, die Intensivbehandlung zu überleben. Dieses Kriterium ist m.E. eine Vorstufe des von ihm zuvor genannten Kriteriums, dass Menschen, bei denen der Sterbeprozess bereits begonnen hat, bei der Triage außen vor bleiben sollen. Wenn ein Mensch eine Intensivbehandlung braucht, um überleben zu können aber keine realistische Chance hat, diese zu überleben ist es m.E. sehr nachvollziehbar ihn -in seinem eigenen Interesse- nicht mehr mit einer solchen Behandlung zu "traktieren".

                Hinsichtlich Ihres Beispielsfalls drehen wir uns im Kreis:

                Es geht nicht um "unwertes Leben"



                sondern -vorgelagert- um Beachtung des Prinzips der Lebenswertindifferenz auch als Bollwerk gegen menschenfeindliche Abwertung- Art. 1 GG (Menschenwürde) schlägt zum Glück nicht erst an, wenn Menschen aufgrund von körperlichen Merkmalen gezielt getötet werden.

                Der naturwissenschaftlich-materialistische Blick auf Menschen in der Medizin ist gut und richtig, sofern er dem Patienten nutzt und dieser sich nicht in einer Konkurrenzsituation zu anderen Patienten befindet.



                Anderenfalls -in einer Konkurrenzsituation- darf der Mensch aber nicht aufgrund von naturwissenschaftlich-medizinischen Kriterien bemessen und dann gegen einen anderen Menschen abgewogen werden. Denn dies nimmt ihm (und dem anderen) den unverbrüchlichen, durch die Menschenwürde garantieren Eigenwert, der niemals naturwissenschaftlich-materialistisch bemessen werden darf- sonst ist er weg, weil er dann relativiert werden kann.

                Ganz abgesehen davon kann ein Arzt nicht zu 100 % sicher vorhersehen, welcher der Patienten bessere Überlebenschancen hat.

                Ich verstehe aber, dass Ärzte, die naturwissenschaftlich denken müssen, sozusagen durch diese Bewertung gezwungen wären, sich kontraintuitiv zu verhalten und daher mit ihr "fremdeln".

  • Wenn ich das richtig verstehe (aus dem Gesetzestext):



    "Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungs-



    kapazitäten sind von der Zuteilungsentscheidung ausgenommen."



    ist damit die Ex-Post-Triage nicht (mehr?) möglich. Oder nur von der Art der Zuteilungsentscheidung auf Basis des Gesetzes? JuristInnen vor!

    Der Artikel informiert zwar gut über die Entscheidungsfindung zwischen den Fraktionen, mir fehlt aber eine klare Analyse, was das denn am Ende konkret im Einzelnen bedeutet. Immerhin gut, dass der beschlossene Gesetzestext verlinkt ist!

    Die Diskussion um eine mögliche Benachteilung von alten Menschen oder Behinderten halte ich aber für etwas irreführend. Schlussendlich legt das Gesetz ja klar fest, dass Kriterien, die sich nicht auf die aktuelle Überlebenswahrscheinlichkeit auswirken, keine Rolle spielen dürfen. Das ist gut, das das festgelegt ist, aber ich gehe auch davon aus, dass es ohnehin keine Rolle spielen darf in einer individuellen Rechtsgüterabwägung.

    Wobei damit auch klar ist, dass die alleinerziehende Mutter von 2 kleinen Kindern, die schlechtere Überlebenschancen hat als ein 80-jähriger Mensch mit besseren Überlebenschancen, keine Behandlung bekommen wird.



    Das entspricht wohl auch den Forderungen des Verfassungsgerichts und der Gleichwertigkeit jeden Lebens, trotz allem steckt dahinter immer ein Dilemma.

    Die Kritik an der mangelnden Beteiligung von Verbänden finde ich schwierig. Entscheidend ist doch das Ergebnis. Und das verbietet klar jegliche Diskriminierung!

  • "Fraktionsdisziplin" soso.

    Und wenn diese ohnehin grundgesetzwidrige Praxis nicht zieht, wird eine namentliche Abstimmung anberaumt.

    Namentliche Abstimmung ? Hmm ... wer genau erfährt eigendlich welche Abgeordneten wie abgestimmt haben ? Das steht doch sicher im Sitzungsprotokoll.

    Bekommen Abweichler dann keinen Nachtisch oder wird gar die "strenge Meidung" verhängt ?

    Und warum gibt es keine namentliche Abstimmung bei Themen wie "Tempolimit" oder "Bürgergeld". Da würde mich ja auch interessieren wer da wie und wo und so ...

  • Was ist den jetzt so zweifelhaft an dem Gesetz?

  • "Überlebenswahrscheinlichkeit, objektivierbarer sei als andere Lösungen."

    Ich sehe es so, wer ungeimpft mit Covid ins Krankenhaus kommt, muss sich ganz hinten anstellen.

    • @Herry Kane:

      Es geht ja nicht nur um Covid-PatientInnen, es geht auch um den Fall von Katastrophen, bei denen die Kapazitäten knapp werden können.

    • @Herry Kane:

      Eben nicht. Es zählt am Ende nur die Überlebenswahrscheinlichkeit. Wenn der ohne Impfung besser dasteht als der 4fach Geimpfte, dann ist klar wer den Zuschlag bekommen sollte und wer nicht.

      So und nicht anders kann es nur funktionieren. Wie sollte es denn zB. sonst im Kriegsfall umgesetzt werden, wenn dem behandelnden Arzt keine Gesundheits-Historie des Soldaten vorliegt und er innerhalb von Minuten, wenn nicht sogar Sekunden, eine Entscheidung fällen muss ?

      Dieses ganze Thema wird wieder viel zu sehr aufgeplustert und unnötig Zerredet. Wer die höheren Überlebenschancen hat bekommt den Zuschlag, unabhängig von der Krankheitshistorie oder X anderen Faktoren, wie zB. einer Behinderung. Fertig.

  • Das Gesetz ist haarsträubender Unsinn, in jeder denkbaren Form.



    Triage nach Überlebenswahrscheinlichkeit mag für den sensiblen Gutmenschen grausam klingen ist aber das einzig rationale und Verfahren in medizinischen Krisensituationen. Mir wurde die Triage damals vor 30 Jahren in der Ersten Hilfe (Führerschein, Rettungswimmer, Bundeswehr) wärmstens ans Herz gelegt.

    Komplexere Kriterien sorgen aus Angst von verklagt zu werden für den Helfer und Arzt zu absurden Situationen bei denen die Nichthilfe belohnt wird auch wenn sie Menschleben gefährdet.

    Nach klassischer Triage:



    1) Eine blutende schreiende Oma im Rollstuhl



    2) Ein Kind liegt ruhig auf dem Boden



    --> Dem Kind helfen, die Oma ignorieren (bis das Kind als stabil identifiziert ist).

    Nach dem neuen Gesetz gehe ich das Risiko ein das mich die Oma im Rollstuhl verklagt.

  • Super. Man hätte natürlich auch eine Renovierung des maroden Gesundheitssystems beschließen können, die die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu so einer Triage kommt, mindert.



    Zu wenig Pflege, dort wo sie gebraucht wird. Zu viel OPs, Therapien und Untersuchungen (da machen wir nochmal ein CT, auch wenn es beim letzten Arzt schon eins gab), die wegen Profitgier verordnet werden.



    Was könnte es nicht alleine alles helfen, wenn wir unser System aus der digitalen Steinzeit holen? Ein Arzt müsste nicht langwierig Daten erheben, die der letzte behandelnde Arzt und natürlich auch die Krankenkasse schon hat.Wieviele Röntgenuntersuchungen, CTs, MRTs etc. würden alleine dadurch eingespart?



    Ganz zu schweigen vom Wissenssynergieeffekt wenn mehrere Ärzte unabhängig voneinander dieselben Daten sehen.

    • 8G
      83191 (Profil gelöscht)
      @Jalella:

      Triage wird nicht nur im Krankenhaus angewandt, sondern auch bei einem sogenannten MANV (Massenanfall von Verletzten). z.B. Massenunfälle auf der Autobahn.

      Kein denkbares Gesundheitssystem kann eine Triage in dieser Situation verhindern.

      Leider ist der Artikel sehr sparsam was die Details des neuen Gesetzes angeht.

  • Liebe Taz,



    warum werden Ärzt:innen und Aktivist:innen gegendert, Behinderte aber nicht? Handelt es sich bei Behinderten in Ihren Augen etwa um geschlechtslose Lebensformen?

    • @Zephyr:

      Mal ganz davon abgesehen, dass Sie hier der Einzige sind, der das Wort "Behinderte" benutzt, was bitte wollen Sie daran gendern? Es hat doch gar kein Geschlecht.



      Im Artikel heiß es richtig "Menschen mit Behinderungen" und auch daran gibt es nichts zu gendern......