Maßnahmen gegen Telegram: Hass lässt sich nicht löschen
Dem Messaging-Dienst Telegram Grenzen aufzuzeigen, ist rechtlich kompliziert. Die Polizei kann Nutzer:innen aber auf die Spur kommen.
E s gibt sie, die digitalen Verstecke im Internet. Für Kriminelle sind sie interessant, für Demokratiefeinde, aber auch für die, die vor autoritären Regimen fliehen. Die Plattform Telegram ist einer dieser Orte. Seit Tausende Corona-Leugner:innen, „Querdenker:innen“ und Rechtsextreme dort Umsturzfantasien austauschen und sich zu gewalttätigen Fackelmärschen im echten Leben verabreden, ist die Politik aufgescheucht und versucht, gegen die Plattform vorzugehen.
Das Problem: Das schwerste Schwert der alten Bundesregierung gegen Hasskriminalität im Netz ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Formal fällt Telegram nicht unter dieses Gesetz, da die Plattform nicht als soziales Netzwerk geführt wird. Wäre dies so, wäre Telegram verpflichtet, strafbare Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Zudem wäre es leichter, den Eigentümer mit Firmensitz in Dubai zu belangen.
Die Debatte über den Messengerdienst ist nicht neu. Ein Video des Attentäters von Halle im Jahr 2019 kursierte auf Telegram, islamistische Terrorgruppen vernetzen sich über die Plattform. Und auch im Wirecard-Skandal wurde diskutiert, wie die Plattform eingeschränkt oder reguliert werden könnte, da Geldtransfers sowie ein Großteil der Kommunikation über Telegram liefen.
Seit Jahren ist die Plattform nicht mehr nur ein Messenger für die Individualkommunikation. Passiert ist trotzdem nichts. Auch das Geschäftsmodell des Telegram-Gründers Pawel Durow ist hinlänglich bekannt: grenzenlose Kommunikation und Vernetzung mit absoluter Wahrung der Privatsphäre. Eine Anpassung des Gesetzes oder eine Regulierung auf EU-Ebene dürfte Monate, wenn nicht Jahre dauern.
Davon unbenommen können Polizeibehörden fragwürdige Chatverläufe in den offenen Gruppen verfolgen und auch ahnden. Etliche Extremisten outen sich mit Klarnamen in den Chatgruppen. Die Behörden müssten sie nur finden. Die Forderungen nach Sperrungen, nach Verboten und dem sofortigen Ende Telegrams sind Ausdruck der Hilflosigkeit politischer Akteur:innen. Der Hass wird bleiben, auf der Straße und in neuen digitalen Verstecken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“