Marxistische Abendschule in Hamburg: Beim Marx-Lesen sieht der Verfassungsschutz rot
Sind Marx-Lesekreise schon der Versuch, das System zu stürzen? Ein Hamburger Verein wehrt sich gegen den Vorwurf des Verfassungsschutzes – mit Erfolg.

Doch verteidigen müssen sich die Kläger auch vor dem Verwaltungsgericht gegen den vom Verfassungsschutz erhobenen und publizierten Vorwurf, mit ihren Büchern, Lesekursen und Diskussionsveranstaltungen Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu unternehmen. „Wir empfinden diese Vorwürfe wirklich als Frechheit“, sagt Armin Grambart-Mertens, der Vorsitzender des gerade einmal 26-köpfigen Vereins ist.
Schon seit 1981 gibt es den Verein, der in Hamburg vor allem für seine einführenden Lese-Kurse in „Das Kapital“ von Karl Marx bekannt ist. Die finden immer zweimal im Jahr statt, parallel zu den Hochschulsemestern. „Wir sind keine Marxsche Verheiligungsschule, sondern ein Diskussionsforum, das sich wissenschaftlich-kritisch mit marxistischen Texten auseinandersetzt“, sagt Grambart-Mertens. Kommende Woche gehen, parallel zum startenden Sommersemester, wieder die Lesekurse los, die meist in den Räumen der Uni Hamburg stattfinden.
Doch gerade die zurückliegenden Ursprünge schätzt der Hamburger Verfassungsschutz auch vier Jahrzehnte später noch als so relevant ein, dass die Masch bis 2021 im jährlichen Verfassungsschutzbericht auftauchte. 1981 nämlich war sie als Vorfeldorganisation der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) gegründet worden. „Aber wir haben schon seit mindestens den 1990ern keine Verbindung mehr dazu“, erklärt Grambart-Mertens dem Gericht.
Verein nicht mehr gemeinnützig
Und: Wenn eins von 26 Vereinsmitgliedern Mitglied der DKP ist, könne wohl kaum von einer engen Bindung gesprochen werden, wie es der Verfassungsschutz in seinen Jahresberichten behauptet. Das tat er die vorangegangenen 14 Jahre zwar auch schon, nur: 2021 beschloss das zuständige Finanzamt, wegen der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht dem Verein die Gemeinnützigkeit zu streichen. Um also die Gemeinnützigkeit zurückzuerlangen, beschloss der Verein, gegen den Verfassungsschutz zu klagen.
Der aber bleibt auch Mittwoch bei seiner Einschätzung. „In der Gesamtschau“, so erläutert es ein Amtsmitarbeiter, verfolge der Verein das Ziel, den Kapitalismus zu überwinden. Und das, so schrieb das Amt zuvor, „unter dem Deckmantel der Wissenschaft und der Bildung“.
Besondere Beachtung findet im Urteil des Verfassungsschutzes auch ein Buch. Der Verein ist Herausgeber des 2015 erschienenen Sammelbands „Aufhebung des Kapitals. Ökonomien einer Übergangsgesellschaft“, in der Autor:innen über das Scheitern sozialistischer Staaten, über das bedingungslose Grundeinkommen oder über Demokratie in Unternehmen schreiben. Fehlt da nicht eine zur Diskussion anstiftende Gegenposition, die den Kapitalismus entgegen den restlichen Autor:innen positiv bewertet, fragt auch der vorsitzende Richter am Dienstag mahnend an.
Dass die Masch seit ihrer Klage nicht mehr im Verfassungsschutzbericht auftaucht, habe hingegen nichts mit einer geänderten Einschätzung des Amtes zu tun. Man habe die Berichte nur „rechtssicherer“ machen wollen und weniger, aber eindeutigere Akteure aufzählen wollen. Damit müsse das Amt nicht mehr so viel Zeit investieren, vor Gericht zu erscheinen: In den vergangenen Jahren hatten mehrere in den Berichten genannte Akteure teils erfolgreich geklagt.
Zur Gesamtschau über die Masch komme der Verfassungsschutz auch, weil die Masch Veranstaltungen nicht nur in Uni-Gebäuden, sondern auch in „linksextremen Szeneveranstaltungsorten“ durchführe. So etwa im „Centro Sociale“ im Hamburger Karoviertel.
Ob das wirklich ein gutes Indiz ist? Zu Beginn der Verhandlung ließ einer der beiden beteiligten ehrenamtlichen Richter mitteilen, dass er auch schon mal eine Veranstaltung im Centro Sociale besucht habe, zum „Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt“. Und: Er habe in West-Berlin Mitte der 1980er auch mal an einem von den Jusos organisierten marxistischen Lesekreis teilgenommen. Auf einen Befangenheitsantrag verzichtete der Verfassungsschutz aber. Vielleicht, weil so ein Lesekreis dann doch nicht böse ist?
Am Mittwochmorgen gab das Verwaltungsgericht seine Entscheidung bekannt – ein Sieg für die Masch: Der Verfassungsschutz darf seinen Jahresbericht 2021, gegen den die Masch geklagt hatte, mit der Erwähnung des Vereins als angeblich linksextremen Akteur nicht mehr veröffentlichen. Entsprechend müsste das zuständige Finanzamt dem Verein nun seine Gemeinnützigkeit wieder zugestehen.
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