piwik no script img

Marxistische Abendschule in HamburgBeim Marx-Lesen sieht der Verfassungsschutz rot

Sind Marx-Lesekreise schon der Versuch, das System zu stürzen? Ein Hamburger Verein wehrt sich gegen den Vorwurf des Verfassungsschutzes – mit Erfolg.

Marx' Geburtsstadt Trier ehrt den Philosophen und Revolutionär als Ampelmännchen Foto: Ralph Peters/Imago

Hamburg taz | Wer in diesem Verfahren am Dienstag vor dem Verwaltungsgericht Hamburg der Kläger und wer der Beklagte ist, damit kommt zu Beginn der Verhandlung auch der vorsitzende Richter kurz durcheinander. Verwunderlich ist das aber nicht: Formal klagt zwar die „Marxistische Abendschule Forum für Politik und Kultur e.V.“ (Masch) gegen das Landesamt für Verfassungsschutz.

Doch verteidigen müssen sich die Kläger auch vor dem Verwaltungsgericht gegen den vom Verfassungsschutz erhobenen und publizierten Vorwurf, mit ihren Büchern, Lesekursen und Diskussionsveranstaltungen Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu unternehmen. „Wir empfinden diese Vorwürfe wirklich als Frechheit“, sagt Armin Grambart-Mertens, der Vorsitzender des gerade einmal 26-köpfigen Vereins ist.

Schon seit 1981 gibt es den Verein, der in Hamburg vor allem für seine einführenden Lese-Kurse in „Das Kapital“ von Karl Marx bekannt ist. Die finden immer zweimal im Jahr statt, parallel zu den Hochschulsemestern. „Wir sind keine Marxsche Verheiligungsschule, sondern ein Diskussionsforum, das sich wissenschaftlich-kritisch mit marxistischen Texten auseinandersetzt“, sagt Grambart-Mertens. Kommende Woche gehen, parallel zum startenden Sommersemester, wieder die Lesekurse los, die meist in den Räumen der Uni Hamburg stattfinden.

Doch gerade die zurückliegenden Ursprünge schätzt der Hamburger Verfassungsschutz auch vier Jahrzehnte später noch als so relevant ein, dass die Masch bis 2021 im jährlichen Verfassungsschutzbericht auftauchte. 1981 nämlich war sie als Vorfeldorganisation der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) gegründet worden. „Aber wir haben schon seit mindestens den 1990ern keine Verbindung mehr dazu“, erklärt Grambart-Mertens dem Gericht.

Verein nicht mehr gemeinnützig

Und: Wenn eins von 26 Vereinsmitgliedern Mitglied der DKP ist, könne wohl kaum von einer engen Bindung gesprochen werden, wie es der Verfassungsschutz in seinen Jahresberichten behauptet. Das tat er die vorangegangenen 14 Jahre zwar auch schon, nur: 2021 beschloss das zuständige Finanzamt, wegen der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht dem Verein die Gemeinnützigkeit zu streichen. Um also die Gemeinnützigkeit zurückzuerlangen, beschloss der Verein, gegen den Verfassungsschutz zu klagen.

Der aber bleibt auch Mittwoch bei seiner Einschätzung. „In der Gesamtschau“, so erläutert es ein Amtsmitarbeiter, verfolge der Verein das Ziel, den Kapitalismus zu überwinden. Und das, so schrieb das Amt zuvor, „unter dem Deckmantel der Wissenschaft und der Bildung“.

Besondere Beachtung findet im Urteil des Verfassungsschutzes auch ein Buch. Der Verein ist Herausgeber des 2015 erschienenen Sammelbands „Aufhebung des Kapitals. Ökonomien einer Übergangsgesellschaft“, in der Au­to­r:in­nen über das Scheitern sozialistischer Staaten, über das bedingungslose Grundeinkommen oder über Demokratie in Unternehmen schreiben. Fehlt da nicht eine zur Diskussion anstiftende Gegenposition, die den Kapitalismus entgegen den restlichen Au­to­r:in­nen positiv bewertet, fragt auch der vorsitzende Richter am Dienstag mahnend an.

Dass die Masch seit ihrer Klage nicht mehr im Verfassungsschutzbericht auftaucht, habe hingegen nichts mit einer geänderten Einschätzung des Amtes zu tun. Man habe die Berichte nur „rechtssicherer“ machen wollen und weniger, aber eindeutigere Akteure aufzählen wollen. Damit müsse das Amt nicht mehr so viel Zeit investieren, vor Gericht zu erscheinen: In den vergangenen Jahren hatten mehrere in den Berichten genannte Akteure teils erfolgreich geklagt.

Zur Gesamtschau über die Masch komme der Verfassungsschutz auch, weil die Masch Veranstaltungen nicht nur in Uni-Gebäuden, sondern auch in „linksextremen Szeneveranstaltungsorten“ durchführe. So etwa im „Centro Sociale“ im Hamburger Karoviertel.

Ob das wirklich ein gutes Indiz ist? Zu Beginn der Verhandlung ließ einer der beiden beteiligten ehrenamtlichen Richter mitteilen, dass er auch schon mal eine Veranstaltung im Centro Sociale besucht habe, zum „Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt“. Und: Er habe in West-Berlin Mitte der 1980er auch mal an einem von den Jusos organisierten marxistischen Lesekreis teilgenommen. Auf einen Befangenheitsantrag verzichtete der Verfassungsschutz aber. Vielleicht, weil so ein Lesekreis dann doch nicht böse ist?

Am Mittwochmorgen gab das Verwaltungsgericht seine Entscheidung bekannt – ein Sieg für die Masch: Der Verfassungsschutz darf seinen Jahresbericht 2021, gegen den die Masch geklagt hatte, mit der Erwähnung des Vereins als angeblich linksextremen Akteur nicht mehr veröffentlichen. Entsprechend müsste das zuständige Finanzamt dem Verein nun seine Gemeinnützigkeit wieder zugestehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Auch Papst Franziskus will den Kapitalismus überwinden, diese Leute sind wirklich verrückt und anscheinend nicht ausgelastet. Mal ehrlich, die Masch lässt sich nun wirklich nicht mit politischer Gewalt und radikalen Umsturzplänen verbinden. Für mich zeigt das eine schlechte Führung des Amtes auf, man steckt Aufwand und Geld in Leute, die Marx-Lesekurse machen. Und dann hätte da Mal wenigstens einer ne Weile hingehen sollen. Jetzt dann die Korrektur durchs Gericht. Erinnert irgendwie das an Merz und seine Idee von linken Demonstranten. Es geht wohl eher ums Unterstellen, als um professionelle Geheimdienstarbeit.



    Und natürlich die DKP, die können sich eher im Altenheim treffen, als den Kapitalismus stürzen. Auch das ist eigentlich kaum noch der Rede wert.

  • "„In der Gesamtschau“, so erläutert es ein Amtsmitarbeiter, verfolge der Verein das Ziel, den Kapitalismus zu überwinden [...]." Und das ist jetzt In des Augen des Verfassungsschutzes verfassungsfeindlich?

  • Nicht zu fassen, mit der Allgemeinbildung ist es wohl nicht so weit her bei unseren Kapitalismusschützern, das Amt muss man ja jetzt wohl umbenennen, die kennen ihre eigene Existenzgrundlage nicht mehr….

  • Es ist schon interessant, dass unser Verfassungsschutz es als verfassungsgefährdent ansieht, den Kapitalismus überwinden zu wollen. Dabei steht im Grundgesetz gar nichts vom Kapitalismus. In GG Art. 20 steht, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat sei, kein kapitalistischer.



    Ich glaube, ich muss einen Grundgesetz-Lesekreis gründen. Wer macht mit?

    • @Aurego:

      Du kannst das ja der Masch als neues Projekt vorschlagen ....

  • Wären es die Leninschen Pläne und Traktate zur Revolution gewesen ... aber Marx ist Teil der Allgemeinbildung.



    Schlimm genug, dass an Hochschulen eher Ricardo und Friedman bzw. eher Parsons und Luhmann gelehrt werden und Marx häufig vergessen wird.

  • Der Kapitalismus ist doch gar nicht teil des Grundgesetzes.



    Daher kann sich auch jeder Verein mit der Überwindung beschäftigen ohne gegen die Verfassung zu sein.



    Die logik des Verfassungsschutzes ist da wohl eher dürftig.

  • Überwindung des Kapitalismus ist ein völlig verfassungskonformes politisches Ziel. Sowohl das (von Kurt Schumacher vehement verteidigte) alte Erfurter Programm der SPD als auch das Ahlener Programm der CDU waren zur Zeit der Verabschiedung des Grundgesetzes noch in Kraft und wurden davon nicht überholt. Dass sich beide Parteien nach Schumachers Abschied und unter Druck Adenauers dann anders orientierten und den Kapitalismus (in angeblich entschärfter Form) positiv bewerteten, ändert daran nichts. Was der Kapitalismus im Ergebnis gebracht hat, sieht man ja heute in Russland und Amerika sehr eindrucksvoll. Dass er tatsächlich überwunden werden muss und keine Langzeitperspektiven bietet, ist heute offensichtlicher als damals kurz nach dem 2. Weltkrieg, als die Marktwirtschaft auch vernünftigen Leuten als gangbare und zukunftsträchtige Alternative zum brutalen und ideologischen Sowjetkommunismus erscheinen konnte. Heute wissen wir, dass ohne Entmachtung der Märkte keine Zukunft mehr aufzubauen ist.

    • @Günter Picart:

      Liggers. Ihre feine geschichtliche Anknüpfung & den Rekurs auf den Alten aus Rhöndorf & die Weichenstellung sei um eine gut abgehangene Sotisse ergänzt.



      Art 15 GG 🙀🥳 - You know¿!



      Bekannlich hatte Abs & Pferdmenges - also Deutsche Bank - als Remake Spekulationschulden in Höhe von mehr als 2.Hunderttausend DM erlassen!



      (Uns Ohl “Jung! Kann der Mann unabhängig sein?!“)



      Im Parlamentarischen Rat war eine Arbeitsgruppe zu einem Art 15 & deren Vorsitz zu bestimmen.



      Ol Conny zu Pferdmenges “Das müssemer machen. Das machemer aber nit. Du machst den Vorsitz!“



      Art 15. Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“



      de.wikipedia.org/w...ftung_(Wirtschaft)



      Die Entwicklung bzw (“Das machemer aber nit)



      Nichtentwicklung ist bekannt: “Freie Fahrt den Tüchtigen & Leistung muß sich lohnen!“



      & Weg mit den Alpen ⛰️🗻🏔️⛰️ -



      Freier Blick zum Mittelmeer!“

      unterm—-



      de.wikipedia.org/w...Robert_Pferdmenges



      &



      de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Josef_Abs



      Ol Connys “Finanzdiplomat“

    • @Günter Picart:

      Ja, ich denke auch, der Kapitalismus hatte seine Chance, um zu zeigen, was er kann und was er nicht kann.

      Und Vieles kann das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht, z.B. die soziale Frage lösen, die Umwelt schützen, für Frieden sorgen oder internationale zivile Projekte zum Nutzen von Mensch/Tier/Natur fördern.

      Kapitalismus schafft dafür eine Unmenge an Reichtum, aber gleichzeitig eine himmelschreiende Ungleichheit - und zwar nach Marx gesetzmäßig, "automatisch", wenn man so will.

      Es gehört zu einer freien Gesellschaft, dies offen und möglichst wissenschaftlich fundiert zu diskutieren. Denn es geht dabei um das "Schicksal" der Menschheit selbst. Wie soll die Gesellschaft der Zukunft, einer humanen Zukunft, aussehen?

  • Unsere Schlapphüte sollten sich etwas intensiver um Leser von „Mein Kampf“ kümmern.

  • Voll lächerlich: Die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem deutschen Denker erschweren, aber die NSU-Morde 10 Jahre übersehen.

  • Reden wir hier von dem selben Verfassungsschutz, auf dessen Urteil in fast jedem Artikel verwiesen wird, wenn es um die politisch andere Richtung geht?

    • @elektrozwerg:

      Ja. Daraus kann man aber nicht schließen, dass die AfD sich nur wissenschaftlich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt und keine weiteren Ziele hat.

  • Ach was! Loriot

    “Man habe die Berichte nur „rechtssicherer“ machen wollen und weniger, aber eindeutigere Akteure aufzählen wollen. Damit müsse das Amt nicht mehr so viel Zeit investieren, vor Gericht zu erscheinen: In den vergangenen Jahren hatten mehrere in den Berichten genannte Akteure teils erfolgreich geklagt.“



    & Däh



    'n ehrenamtlicher Richter liest linkes Zeugs! tststs - 🙀🥳🤗 -

    Vorschlag zur Güte & Sparprogramm turbo!



    Vllt verklart mal jemand den HH-Schlapphüten



    Daß bei Licht besehen - moderne Nationalökonomen - klar undercover - in Wahrheit Marxisten sind - nach ollen Marx seiner Methodik - sich des Gegenstandes annehmen! Woll



    always at your servíce - ihr Dunkelmänner! 🤌

    • @Lowandorder:

      Einfach in einem Gerichtsverfahren sagen, dass man den Kläger aus den Berichten genommen hat weil man seltener vor Gericht erscheinen möchte und ähnliche Vereine eben oft vor Gericht gewonnen haben ist in etwa so als würde ich einem Richter erzählen, dass ich nicht an Polen verkaufe, ich sage das denen aber nicht weil die mich schon paar Mal erfolgreich verklagt haben.

      Praktisch ein Schuldeingeständnis.

      Vorallem schlicht zu sagen, wir nehmen sie aus dem Bericht raus, die daraus resultierende Aberkennung der Gemeinnützigkeit macht man aber nicht rückgängig. Absurd. Wie ein Staatsorgan so fahrlässig mit den Lebensrealitäten unschuldiger Bürger umgehen kann wegen einer von ihnen wahrgenommen aber eben nicht rechtlich korrekten Bedrohung für den Kapitalismus ist doch unverständlich.

      Vorallem nachdem jeder hier bereits korrekt festgestellt hat, dass der Kapitalismus selbst so nicht im Grundgesetz steht.

  • Die wahren Feinde unserer Zeit sind die, die in ihren Stuben hocken und Marx lesen. Gut dass ansonsten alles super ist.