„Marsch für das Leben“ in Berlin: Luftballons gegen Selbstbestimmung

Abtreibungsgegner*innen trafen sich in Berlin um „für das Leben“ zu marschieren. Parallel demonstrierten Tausende für reproduktive Rechte.

Eine Frau hält ein grünes Transparent auf dem "Keine Kinder, keine Zukunft" steht.

Eine Abtreibungsgegnerin sorgt sich um künftigen Kindermangel Foto: dpa

BERLIN taz | Kleiner als geplant und dann auch noch gestört: So verlief der „Marsch für das Leben“ der radikalen Abtreibungsgegner*innen am Samstag in Berlin. Deutschlandweit hatte der Bundesverband Lebensrecht am Samstag nach Berlin mobilisiert, um vor dem Brandenburger Tor gegen Schwangerschaftsabbrüche zu demonstrieren.

Nicht die erwarteten 5.000 Abtreibungsgegner*innen, sondern nur eine Zahl „im unteren vierstelligen Bereich“ fand sich laut Polizei auf der Demonstration ein. Immer wieder wurde es dabei laut: Nach Angaben von Pro-Choice-Aktivist*innen gingen mehrere tausend Menschen zeitgleich für die Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch auf die Straße und standen mit unüberhörbaren Sprechchören für reproduktive Rechte ein.

Die Abtreibungsgegner*innen sammelten sich zunächst am Brandenburger Tor. Luftballons stiegen auf, Schilder mit Slogans wie „Selbsttötung verhindern, nicht töten“, „Abtreibung ist keine Lösung“ und „All lives matter“ wurden in die Höhe gehalten.

Unter großem Applaus verlasen Verbandsvertreter*innen dessen Forderungen, darunter die „Wahrung des Lebensrechts von der Zeugung an“ und ein Ende des assistierten Suizids, bevor sich der „Marsch für das Leben“ in Bewegung setzte.

Auch Philipp Amthor unter den „Lebensschützern“

Wie in den vergangenen Jahren gab es für den „Marsch für das Leben“ prominente Unterstützung aus CDU und CSU. Zu seinen Fürsprechern gehören der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor sowie der stellvertretende Vorsitzende der Werteunion Thomas Jahn.

Auf der Kundgebung waren auch mehrere dutzend Vertreter*innen der „Christen in der AfD“. „Wir stehen uneingeschränkt hinter den Forderungen des Bundesverbands Lebensrecht“, erklärte ein AfD-Mitglied aus dem Ortsverband Freiburg, der seinen Namen nicht preisgeben will.

„My body, my choice, raise your voice“, schallte es von der anderen Seite des Brandenburger Tors hinüber. Denn die Abtreibungsgegner*innen waren an diesem Samstag nicht allein in Berlin-Mitte. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, dem unter anderem Gewerkschaften, Beratungsstellen, feministische Initiativen, Grüne und Linke angehören, hatte auf den nahegelegenen Pariser Platz eingeladen. Unter dem Motto „Leben-lieben-selbstbestimmt“ rief das Bündnis zur Kundgebung für reproduktive Rechte auf.

Silke Stöckle, Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung

„Wir streiten nicht nur für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, sondern auch gegen Diskriminierung von trans, inter- und nichtbinären Personen“

Laut Bündnisangaben verweigerte die Polizei zahlreichen Unterstützer*innen den Zugang zur Kundgebung. Dennoch gelang es laut Veranstalter*innen 1.000 Menschen, sich vor dem Brandenburger Tor zu versammeln.

„Es geht uns um Selbstbestimmung über unsere Körper und unser Geschlecht“, rief dessen Sprecherin Silke Stöckle bei der Auftaktkundgebung, und ergänzte: „Wir streiten dabei nicht nur für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, sondern auch gegen Diskriminierung von trans, inter- und nichtbinären Personen. Wir wollen selbst über unsere Körper entscheiden, über unsere Uteri und über unsere Geschlechtsidentität.“

In diesem Jahr hat sich das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung für eine „stationäre“ Kundgebung entschieden, um das Ansteckungsrisiko zu verringern. Auf ihrem Weg durch die Straßen von Berlin-Mitte stießen die Abtreibungsgegner*innen dennoch immer wieder auf Gegenprotest. Den hatte das queerfeministische Bündnis „What the Fuck“ initiiert.

Eine Frau fordert auf einem Transparent kostenlose, sichere und legale Abtreibungen.

Eine Demonstrantin fordert auf dem Pariser Platz kostenlose, sichere und legale Abtreibungen Foto: dpa

Um der besonderen Situation durch die Corona-Pandemie Rechnung zu tragen, hatten sich die Aktivist*innen ein ausgefeiltes Protest-Konzept überlegt. Auf einer dezentralen „Pro Choice Rallye“ konnten sich die Demonstrant*innen zwischen sechs themenspezifischen Kundgebungen quer durch Berlin-Mitte bewegen.

„Hier ist auf jeden Fall einiges los“, erklärte Pressesprecherin Lili Kramer. Gerade sei der Marsch an einer der sechs Kundgebungen vorbeigelaufen. „Wir waren ziemlich nah dran und haben sie ganz ordentlich beschallt – die waren auf jeden Fall genervt!“, resümierte sie. Im Vergleich zum Vorjahr werde der „Marsch für das Leben“ jedoch noch stärker von den Gegenprotesten abgeschirmt. „Es wird massiv versucht, den Gegenprotest zu separieren und uns von den Abtreibungsgegener*innen fernzuhalten“, ergänzte Franka Schreiber. „Man fragt sich, zu welchem Preis deren Marsch durchgeboxt wird“.

Grußworte vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz

Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sendete ein Grußwort und dankte darin dem Bundesverband Lebensrecht für sein ungebrochenes Engagement für den Lebensschutz. Anders sah es an der katholischen Basis aus. Andrea Voß-Frick engagiert sich bei der Initiative Maria 2.0. „Wir stehen für eine Kirche, in der jeder Mensch, auch mit seinen Nöten, Ängsten und Verwerfungen angenommen, willkommen und getragen ist“, erklärte sie.

„Eine Kirche, die Frauen aus der Gemeinschaft ausschließt, die aus welchen Notlagen heraus auch immer eine schwerwiegende Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch treffen und tragen müssen, erscheint mir in hohem Maße unmenschlich und unchristlich.“

Bis zum Redaktionsschluss war die EKD nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Deutlich positionierte sich die evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg/schlesische Oberlausitz: Bereits 2014 hatte sie entschieden, den Bundesverband Lebensrecht nicht zu unterstützen, so die Nachrichtenagentur epd.

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