Marco Bülow über Wahlkampf: „Da krieg' ich einen Kotzkrampf“

Marco Bülow war früher SPDler, nun will er erneut in den Bundestag und tritt für „Die Partei“ an. Satire sei ein Mittel, um Politik wieder interessant zu machen.

Marco Bülow und Martin Sonneborn stehen vor dem Bundestag und halten gemeinsam einen großen Mitgliedsausweis Marco Bülows mit der Nummer 50.000.

Bald nur noch vor dem Bundestag? Marco Bülow will sein Direktmandat für „Die Partei“ verteidigen Foto: dpa

Interview Jaromir Schmidt

Er kämpft gegen Lobbyismus und für mehr Transparenz in der parlamentarischen Arbeit. Marco Bülow, in der SPD gescheitert, tritt nun für „Die Partei“ an. Eine Partei, die mehr für satirische Systemkritik als für seriöse Themen bekannt ist. Wie passt das zusammen? Wir treffen uns im Corona-Style. Per Videocall. Nicht wegen der Corona-Inzidenzen, sondern aufgrund von Wahlkampfstress.

Herr Bülow, Sie sind einer von 299 Kan­di­da­t:in­nen der „Die Partei“ für das Kanzler:innen-Amt. Planen Sie mit dem Kanzler:innen-Amt?

Marco Bülow: Das Kanzleramt ist groß genug, ich schlafe auch gern im Zelt unten. Tatsächlich würde ich uns nicht bei einem Prozent sehen, sondern eher bei drei. Und wenn mal ein Meinungsforschungsinstitut nach „Die Partei“ fragen würde und nicht nach Sonstiges, dann geht es auch schnell auf fünf. Ich glaube zum Beispiel, dass „Die Partei“ in Berlin die Fünf-Prozent-Hürde knacken wird und dann sitzt sie in einem Landtag. So haben die Piraten und andere auch angefangen, eine Chance zu haben.

Und im Wahlkreis?

Letztens erst ist ein Ur-Mitglied der SPD zu meinem Stand gekommen und meinte, er wird mich auch dieses Mal wählen. Da ich den Wahlkreis die letzten Jahre immer für die SPD geholt habe, habe ich Chancen, ihn auch dieses Mal zu gewinnen.

Warum genau „Die Partei“, die im politischen Geschehen aktuell ja eher irrelevant ist?

„Die Partei“ ist die einzige Partei, die wirklich etwas verändern will. Außerdem ist die innerparteiliche Mitbestimmung deutlich größer als bei der SPD, wo zum Beispiel jeder Wahlkampf, jede meiner öffentlichen Äußerungen komplett durchgeplant waren. Und „Die Partei“ hat auf Social Media in meinem Wahlkreis mehr Follower als alle anderen Parteien, es sind eben andere Leute, die angesprochen werden.

Sind nicht gerade Stimmen für „Die Partei“ angesichts der Klimakrise verschenkte Stimmen?

Ich finde es fatal, in der Demokratie von verschenkten Stimmen zu sprechen. Dieses Gerede von taktischem Wählen, da kriege ich leider einen Kotzkrampf. Es geht doch darum, was man glaubt, welche Partei am besten ist. Dann hätte es die Grünen nie gegeben. Und jetzt brauchen die Grünen diesen Druck von außen oder von einer Partei, die sonst mit ihnen auf Augenhöhe kommen würde. Wenn man sich nämlich anguckt, wie sie in Baden-Württemberg regieren, da wird mir schlecht! Das ist gar kein Unterschied zur Union. Es ist eher eine verschenkte Stimme, wenn man SPD oder die Grünen wählt, weil man am Ende in der Koalition mit Armin Laschet landet.

Sie selbst waren bis 2018 Abgeordneter der SPD, sind dann aber ausgetreten. War das eine Art des Aufgebens?

Ganz im Gegenteil! Es war eher ein Zeichen, dass ich nicht aufgebe. In der SPD bin ich oft gegen Windmühlen gelaufen, gerade was den Lobby-Bereich angeht. Jetzt rühmt sie sich zwar, dass sie das Lobbyregister mit durchgesetzt hat, aber es war ihnen nie wirklich wichtig. Kein Wunder. Peer Steinbrück, der ja Ministerpräsident und Finanzminister der SPD gewesen ist, war der König der Nebenverdienste im Bundestag. Den hat man bei der Bundestagswahl 2013 zum Kanzlerkandidaten gemacht.

Also hat man das System ja eigentlich ziemlich gut gefunden. Am Ende musste ich mir die Frage stellen: Kann ich weiterhin in den Spiegel schauen oder nicht?

Danach waren Sie parteilos. Die Zeit haben Sie mal als Beste im Bundestag beschrieben. Müssen wir das System reformieren?

Es ist mehr als eine Reform, das ist eine kleine Rebellion. Denn 90 Prozent der Gesetze werden von Regierungen gemacht und nicht von Fraktionen. Die Regierung sagt was, und dann gilt das als Gesetz, dabei müsste der Bundestag entscheiden. Das Erneuerbare Energien-Gesetz war ein Parlamentsgesetz. Es war eines der wenigen, die noch gestaltet worden sind.

Und Oppositionspolitiker zu sein, heißt, dass man eigentlich für die Mülltonne arbeitet, weil alles abgelehnt wird, egal wie gut die Anträge sind. Weil immer die Partei- und Regierungsfraktionstaktik über alles andere gestellt wird. Gesetzlich ist jeder Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet. Dieser inoffizielle Fraktionszwang muss abgeschafft werden.

Wie käme es denn zu anderen Mehrheiten im Parlament?

Zum Beispiel durch eine Minderheitenregierung. Man müsste auf einmal für Mehrheiten streiten, man müsste diskutieren. Oder wenn Menschen mal mutiger wählen würden, anstatt immer und immer wieder das Kreuz bei etablierten Parteien zu setzen.

Was bringt es als Abgeordneter, außerhalb der etablierten Parteien zu agieren?

Als Abgeordneter in einer etablierten Partei geht die Hälfte der Zeit dafür drauf, Parteitaktiken durchzugehen. Werde ich wieder aufgestellt? Schaffe ich es auf diesen Posten? Habe ich diese Kontakte? Das war wahnsinnig, als ich aus der SPD raus war. Ich konnte endlich Vorlagen und Gesetze lesen. Es wissen zwar alle Abgeordneten, dass es einen Klimawandel gibt, aber die Hintergründe kennen sie immer noch nicht, weil sie nicht mal ein kleines Papier lesen können.

Marco Bülow am Redner:innenpult des Bundestages

Mit Sachargumenten im Bundestag nicht weit gekommen Foto: dpa

Ich habe es geschafft, dass Themen auf die Tagesordnung gesetzt wurden und das ist mehr als die meisten im Bundestag jemals machen.

Und jetzt soll die Revolution mit einer 1-Prozent-Satirepartei gelingen?

Ich bin sicher, wir liegen deutlich über 1 Prozent. Es ist ein Abenteuer. Meines Erachtens wird Satire aber unterschätzt. Sie ist nur ein Mittel von vielen, um bestimmte Strukturen aufzubrechen und Politik wieder interessant zu machen. Es braucht auch neue Parteien, Initiativen und Bewegungen, die eigenständig bleiben, sich aber zusammenschließen und einen parlamentarischen Arm bilden. Immer mehr Menschen wenden sich ab und sagen: Es ist doch egal, wen ich wähle, am Ende machen sie alle das Gleiche. Und da haben sie leider zum Teil Recht.

Inwiefern?

Ich kann mich nur an zwei, drei Petitionen in 17 Jahren SPD erinnern, die wir wirklich mal diskutiert haben, obwohl es fast jeden Tag eine gibt. Petitionen müssen aufgewertet werden, es muss Bür­ge­r:in­nen­ver­samm­lun­gen geben. Die Resonanz zwischen Politik und Menschen wird schlechter und das führt dazu, dass Rattenfänger am rechten Rand mit einfachen Antworten leichtes Spiel haben.

Ich habe vor acht Jahren auf Österreich gezeigt und gesagt: Wenn man eine große Koalition macht und keine Alternativen mehr anbietet, dann stärkt es die Rechten. Und dann haben wir, wie die FPÖ, eine rechte Partei im Bundestag. Da wurde ich ausgelacht. Jetzt gibt es eine rechte Partei im Bundestag, die schon vier Jahre drin ist, bei der jeder davon ausgeht, dass sie auch im nächsten Parlament sitzen wird. Für mich ist das nicht selbstverständlich, ich habe Angst davor.

Was ist außer der Satire das konkrete Anliegen der „Die Partei“?

Ich habe mitgeholfen, dass Lobbyismus und Transparenz unter anderem unsere wichtigsten Themen sind und betreibe sie weiterhin sehr ernsthaft. Wir haben auch viele Ex­per­t:in­nen aufgestellt, die fast in allen Landesverbänden die obersten Listenplätze besetzen. Der Witz dahinter ist, dass eine Satire-Partei ernsthafte Wis­sen­schaft­le­r:in­nen aufstellen muss, weil im Bundestag Wissenschaft keine Rolle spielt. Satire ist nicht immer nur, günstiges Bier zu fordern.

Sie sind Experte, was Lobbyismus in der Politik angeht und haben auch ein Buch namens „Lobbyland“ geschrieben. Was macht die Lobby so einflussreich?

Also erst einmal das Geld, Profitlobbys sind unglaublich gut aufgestellt. Die Personaldecke ist größer als die der Fraktionen. Außerdem sind Sie sehr eloquent, in meinem neuen Buch „Lobbyland“ hab ich das mal als Wohlfühl-Lobbyismus beschrieben. Die fallen nicht mit der Tür ins Haus, die schmieren einem Honig um den Bart.

Der Bundestagsabgeordnete gilt im Bundestag eher als Einzelkämpfer. Von 2002 bis 2018 gewann er seinen Wahlkreis in seinem Geburtsort Dortmund für die SPD, trat aber 2018 aus der Partei aus. Nach zwei fraktions- und parteilosen Jahren landete er bei „Die Partei“, für die er nun kandidiert.

Sie haben Büros in der Hauptstadt, meist fußläufig zum Bundestag und sie haben teilweise Hausausweise, sodass sie direkt reinkommen. Fast keine NGO hat einen Hausausweis. Und da waren wir noch nicht mal bei den Grauzonen bis hin zu Bestechung und verbotener Einflussnahme.

Was ist mit der Lobby nicht so mächtiger Interessensgruppen?

Auf der anderen Seite haben wir so ein paar kleine Stimmen, die kaum Gehör finden. Das ist eine Diskrepanz sondergleichen – selbst wenn ich nicht bestechlich bin, wenn ich mir das 20 Stunden anhöre in der Woche und eine Stunde habe für die Anderen, geschweige denn für die Bevölkerung. Der Einzelne, der keiner Lobby angehört, hat gar keine Möglichkeit mehr. Und dann muss man sich nicht wundern, wenn die Entscheidungen so ausfallen, wie sie ausfallen.

Aber wir haben doch jetzt ein Lobbyregister?

Es ist ein bisschen so, wie als wenn du Grund­schü­le­r:in­nen bei der Einschulung den Tornister gibst, aber es ist nix drin. Keine Stifte, keine Mappen, keine Blätter und erst recht kein Laptop. Die Lobbyisten machen die Treffen einfach außerhalb des Bundestags. Wenn du das nicht auf dem Briefpapier des Bundestages machst, sondern alles mündlich funktioniert, dann kann einer dir nie was nachweisen. Das heißt, die, die als korrupt enttarnt worden sind, sind eigentlich nicht nur korrupt, sie sind auch noch ziemlich dumm. Das ist nur die Spitze des Eisbergs, die wir in diesem Jahr erlebt haben.

Haben Sie gerade Abgeordnete der Union wie Phillipp Amthor für dumm erklärt?

Ja. Er wurde nur leider nicht für sein Fehlverhalten bestraft.

Sie waren sowohl mit der Union als auch mit den Grünen in einer Koalition. Was können wir klima- und sozialpolitisch von einer schwarz-grünen Koalition erwarten?

Von einer Schwarz-Grünen?

Sie lachen?

Nicht viel. Ich habe eigentlich alle Erfahrungen gemacht. Wir hätten mal die Mehrheit für Rot-Rot-Grün gehabt, das war aber nicht gewollt worden und das wird es auch niemals geben.

Warum nicht?

Weil alle Spitzen, sowohl die der Grünen, der SPD, als auch teilweise die der Linken das auf keinen Fall wollten. Der Unterschied ist mittlerweile riesengroß, beide, sowohl Grüne als auch SPD, würden eher mit der Union koalieren. Olaf Scholz zum Beispiel ist super mit Merkel. Gäbe es nicht dieses Lagerdenken, es würde gar nicht mehr auffallen, dass das noch zwei Parteien sind. Die Grünen wollen jetzt auch in diese Regierungsform. Die werden ein paar ökologische Zugeständnisse kriegen, so wie die SPD ein paar Soziale bekommen hat.

Man kann ja sogar Kompromisse eingehen und koalieren, aber mir fehlen die „Grünen Leitplanken“, bei denen sie sagen: Das machen wir nicht mit.

Haben Sie ein Beispiel?

Ganz schlimm finde ich die Böll-Stiftung, die ja 'ne Grüne Stiftung ist. Die unterstützt mittlerweile das Zwei-Prozent-Ziel der Nato, nochmal 10-15 Milliarden mehr für den Verteidigungshaushalt auszugeben. Dazu muss man wissen: Wir sind jetzt bei fast 50 Milliarden. Der Militärhaushalt in Deutschland ist fast so groß wie der russische. Der Umwelt- und Klimahaushalt ist bei knapp drei Milliarden und das ist eine der größten Herausforderungen, die wir haben. Von den drei Milliarden zahlen wir noch anderthalb, damit wir diesen Scheißatommüll unter die Erde kriegen.

Was bräuchte es, damit die Grünen auch in einer Schwarz-Grünen Koalition progressive Politik betreiben?

Eigentlich braucht man dann eine „APO“. Wenn die Grünen die Sachen nicht durchsetzen, muss der Druck von woanders kommen. Deswegen muss man sich wirklich darauf gefasst machen, die nächste Periode so richtig von außen anzugreifen. Ich werde versuchen, das zu unterstützen, in welcher Form auch immer. Gerade im Klima- und Umweltbereich haben wir halt einfach keine Zeit mehr, das machst du nicht wieder gut.

Scholz hat dieses Thema übrigens überhaupt nicht ernst genommen, er hat es eher sogar verhindert. Schwarz-Grün wird eventuell ein Waterloo werden für den ganzen progressiven Bereich.

Gerade bei den Grünen kandidieren Ak­ti­vis­t:in­nen aus der Klimabewegung plötzlich für sehr erfolgversprechende Listenplätze. Teilweise deutlich jünger als Sie damals. Mutig oder naiv?

Vielleicht beides. Ich wünsche denen erstmal alles Gute. Die Erfahrung muss man dann selbst machen. Ich kenne das immer von Juso-Vorsitzenden, die sind unglaublich revolutionär, weil du bei den Jusos damit erfolgreich bist und sofort wenn die im Bundestag sind: Bang, machen die alles mit. Ich will das aber keinem vorwerfen. Es gibt auch einige, denen das Thema weiter wichtig bleibt, die das über eine Parteistruktur und 'ne Karriere stellen und wenn das viele sind, dann haben sie eine Chance. Aber vier, fünf Leute im Parlament? Das reicht nicht aus.

Ich darf am 26. September das erste Mal wählen und will, dass Deutschland sobald wie möglich auf einen klimagerechten Pfad kommt. Haben Sie eine Empfehlung?

Das ist jetzt schwierig, weil ich da ja befangen bin, aber natürlich sage ich „Die Partei“. Solltest du die Grünen wählen, wirst du wahrscheinlich schnell enttäuscht. Eine andere Möglichkeit sind Kleinstparteien, wie zum Beispiel die Klimaliste. Natürlich gibt es auch die Linke, die ökologisch teilweise ein Programm hat. Ich würde also gar nicht sagen, dass du etwas Falsches machen kannst.

Was wählen Sie denn am 26. September?

Ich hab noch nie ein Problem gehabt, mich selbst zu wählen. Wenn ich nicht selbst von mir überzeugt wäre, dann würde ich nicht kandidieren. Ich habe Wahlen gehabt, wo ich, obwohl ich in der SPD war, echt gehadert habe. Aber wenn ich mich für eine Sache einsetze und für jemanden kandidiere, dann gibt’s natürlich auch die Stimme dafür.

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