MDR muss „Die Partei“-Werbespot senden: AfD-Politiker erschießen nicht verboten
Der MDR weigerte sich, einen satirischen Wahlwerbesport von Die Partei zu senden. Zwei Gerichte entschieden nun anders.
K urt Tucholsky schrieb: „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ Das war vor exakt 105 Jahren. Und heute sind wir anscheinend wieder so weit. Der 1919 im Berliner Tageblatt erschienene Text stellt die berühmte Frage: „Was darf Satire?“ Tucholskys energisches Plädoyer gibt die bündige Antwort: „Alles.“
Aber erst mal zum Sofa, das aktuell in Leipzig steht. Hier wehrt sich der MDR, einen Wahlwerbespot von Die Partei zur Landtagswahl in Sachsen am 1. September im Radio zu senden. In diesem Spot hören ein Mann und eine Frau eine fiktive Nachrichtensendung über die Vereidigung einer frisch gewählten AfD-Landesregierung im Bundesland. Der Mann merkt in breitestem Sächsisch an, dass die Faschisten wieder an der Macht sind. Und die Frau fragt, was sich da machen lasse. Der Mann sagt, er hole „die Knarre aus dem Keller“. Und dann machen die beiden trotz seiner „Beene“ Jagd auf vermeintliche AfD-Wähler, garniert mit Sprüchen wie „Oah, die können ihre Pfeffis mal schön in der hohlen Hand heeme schleppen“. Am Ende des Werbespots sagt eine andere Frau: „Bevor es zu spät ist, wählen Sie Die Partei!“
Wirklich lustig ist das nicht. Aber klar Satire. Und keinesfalls, wie der MDR argumentiert, ein Aufruf zur Gewalt. Egal, wie jedeR diese Nummer der sich ja ausdrücklich Satire-Partei nennenden Kombo bewertet, müsste der Fall damit erledigt sein. Ist er aber nicht.
Die Öffentlich-Rechtlichen müssen vor Wahlen Parteiwerbespots ausstrahlen. Inhaltlich verantwortlich sind die jeweiligen Parteien und nicht die Sender. Gegen eine Ausstrahlung lässt sich nur vorgehen, wenn der Spot „evident und erheblich“ gegen das Strafrecht verstößt.
Ganz klar Satire
Was also reitet den MDR, vor dem Verwaltungsgericht Leipzig genau das zu behaupten? Das Gericht bewies höhere Ironiekompetenz als der öffentlich-rechtliche Sender. Der Spot sei durch seine Überzeichnung klar Satire, so das Gericht. Eine strafbare Gewaltdarstellung liege genauso wenig vor wie ein Aufruf zur Gewalt.
Der MDR ließ nicht locker und bemühte das sächsische Oberverwaltungsgericht. Und musste sich auch dort belehren lassen, wie es sich mit Satire verhält. Sind das schon Vorkehrungen und Schiss vor einer möglichen AfD-Regierung? Die AfD will den ÖRR in seiner heutigen Form abschaffen und nutzt vorher alle Möglichkeiten, sich mit ihm und in ihm und gegen ihn zu profilieren.
Die Anstalten wären also gut beraten, sich offensiv dagegen zu positionieren. Und nicht noch der Satire Bärendienste zu erweisen. Denn Satire „muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird“. Das war jetzt nicht von mir, sondern wieder Tucholsky. „Wieder was gelernt. Es fehlt dem MDR eine Satire-Beauftragte, um eine gemeinsam klare Auffassung zu haben“, sagt die Mitbewohnerin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren