Lobbyarbeit für und gegen Prostitution: Das Bordell Europas
Das geplante Prostituiertenschutzgesetz ist umkämpft. BefürworterInnen der Sexarbeit ist es zu streng, GegnerInnen zu lasch.
Huschke Mau, Anfang 30, halblange Perücke, stark geschminktes Gesicht, große schwarze Brille, sitzt am Montagmorgen im Berliner Regierungsviertel und erzählt, wie das war, als sie mit 18 Jahren in die Prostitution eingestiegen ist. Und wie es war, als sie nach zehn Jahren wieder raus wollte. In der Beratungsstelle, die sie aufgesucht und von der sie Beistand und Schutz erwartet hatte, sei ihr gesagt worden: „Dann geh doch einfach nicht mehr ins Bordell.“ Huschke Mau sagt: „So einfach ist das nicht. Prostituierte haben mit Drogen, Süchten, Schulden und Abhängigkeiten zu tun.“ Sie kenne keine Frau, die mit Hilfe einer Beratungsstelle ausgestiegen sei.
Mau weiß genau, was Sexarbeit bedeutet. Das hört man, und das spürt man. Die Ex-Hure hat sich dem gerade gegründeten Bündnis Sisters angeschlossen, das sich „für den Ausstieg aus der Prostitution“ starkmacht.
Sexarbeit und wie Deutschland damit umgehen soll – gesellschaftlich, juristisch, als Arbeitsmarkt – ist derzeit ein heiß umkämpftes Feld. Das geplante Prostituiertenschutzgesetz von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) sieht unter anderem eine Anmeldepflicht für SexarbeiterInnen vor. Darüber hinaus sollen sich Frauen und Männer im Sexgeschäft gesundheitlich beraten lassen. Dagegen wehren sich Prostituierten- und Frauenverbände, aber auch Sozialvereine sowie die Deutsche Aids-Hilfe. Das Gesetz, das 2016 in Kraft treten soll, werde „schaden statt schützen“, wertet die Juristin Maria Wersig vom Deutschen Juristinnenverband.
Das ist Lobbyarbeit: für Prostitutierte. Sisters betreibt auch Lobbyarbeit: gegen Prostitution. Die Debatte über Prostitution sei „eskaliert“, findet Sabine Constabel. Die Sozialarbeiterin betreut in Stuttgart Prostituierte und hat die Gründung von Sisters maßgeblich vorangetrieben.
Beide Seiten argumentieren überspitzt
Lobbyarbeit ist üblich hierzulande. Warum nicht auch bei der Prostitution? Das Problem hierbei allerdings ist, dass jede Seite mit überaus zugespitzten Argumenten arbeitet.
Huschke Mau, Ex-Prostituierte
So sagte Undine, eine Hamburger Hure, die über ihre Website gebucht werden kann, in der taz über Zwangsprostitutierte: „Ich bin seit 20 Jahren Sexarbeiterin und habe Kolleginnen aus aller Herren Länder. Aber ich kenne kein einziges Opfer.“ Huschke Mau hingegen kennt „keine Prostituierte, die keine Gewalt erlebt hat“ und den Job freiwillig mache. Unter Zwang versteht Mau nicht nur, dass eine Frau von einem Freier in die Sexarbeit gedrängt werde. Unter Zwang litten auch Frauen, die kein Geld haben und in der Prostitution einen letzten Ausweg sähen, ihr Leben zu finanzieren. Sowie Frauen, die in ihrer Kindheit und Jugend missbraucht und misshandelt worden seien.
„Wir sind das Bordell Europas geworden“, findet Sozialarbeiterin Constabel. In Stuttgart erlebe sie, wie das Geschäft mit osteuropäischen Sexarbeiterinnen laufe: Ganze Familienverbände seien darin verstrickt, da würden Männer mit jungen Töchtern nach Deutschland reisen und ihr sagen, sie werde in einer Küche arbeiten. Dann lande das junge Mädchen, das vielleicht nicht mal lesen und schreiben kann, im Bordell und habe ihren ersten Sex mit fremden Männern. Das Geld, das sie dabei verdiene, werde an die Familie geschickt, die würde davon Essen und Strom bezahlen.
Zimmermädchen statt Prostituierte?
„80 bis 90 Prozent der Prostituierten in Stuttgart sind Osteuropäerinnen“, sagt Constabel. Zumeist Rumäninnen, früher seien es Tschechinnen und Polinnen gewesen. Sie seien dem „System hilflos ausgesetzt“, sagt Constabel. Die Sozialarbeiterin und der Verein Sisters streben „eine Welt ohne Prostitution“ an.
Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere auch, da sind sich BefürworterInnen und GegnerInnen ausnahmsweise einig. In welchen Bereichen sollten Aussteigerinnen arbeiten? Zum Beispiel als Reinigungspersonal, schlägt Constabel vor: „Oder als Zimmermädchen oder als Küchenhilfen.“ Also in schlecht bezahlten und sozial nicht gut angesehenen Jobs.
Huschke Mau sagt, sie führe jetzt ein bürgerliches Leben. Wie das aussieht und welchen Job sie hat, sagt Mau nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren