Linke Demo in Leipzig am Samstag: Gegen die soziale Kälte
Ein neues linkes Bündnis ruft Samstag zu einer Großdemo in Leipzig auf. Kritik an der Bundesregierung soll nicht den Rechten überlassen werden.
Daher fordert das Bündnis die Regierung dazu auf, einen Mietendeckel einzuführen, schnellstens die erneuerbaren Energien auszubauen und Unternehmen mit einer Sondersteuer zu belegen, die stark von der aktuellen Energiekrise profitieren.
Für Samstag, den 15. Oktober, hat das Bündnis zu einer Großdemonstration über den Leipziger Innenstadtring aufgerufen – jenen Ring, auf dem die Montagsdemonstrationen der friedlichen Revolution von 1989 stattfanden. Und über den bereits seit Wochen jeden Montag Putin-Versteher, Rechte und Rechtsextreme unter dem Vorwand marschieren, gegen die Energiepolitik der Bundesregierung zu protestieren, während sie insgeheim die Frustration der Bürger:innen weiter anheizen und rechtsextreme Inhalte verbreiten.
Die vom Bündnis „Jetzt reicht’s“ geplante Demonstration ist nicht der erste linke Protest in Leipzig, der sich gegen die hohen Energiepreise und den Versuch der Rechten richtet, das Thema für sich einzunehmen. Am 5. September hat etwa Sören Pellmann, direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der Linken, eine Kundgebung mit mehr als 2.000 Teilnehmenden in der Innenstadt veranstaltet und so versucht, die Sozialproteste links zu besetzen.
5.000 bis 6.000 Teilnehmende erhofft
Die Demo am 15. Oktober ist aus einem anderen Grund besonders: Sie ist die erste in Leipzig, die von einem breiten Bündnis organisiert wird. „Es genügt nicht, wenn die Linkspartei alleine für eine Demo mobilisiert“, sagt Florian Bach von „Jetzt reicht’s“. Die Partei alleine erreiche nur einen bestimmten Teil an Leuten, nicht aber die breite Bevölkerung. Bach, 41 Jahre alt, ist kein Parteimitglied, sondern in der außerparlamentarischen Linken aktiv. Zusammen mit Jamil Zehe, eine von vielen Initiator:innen des Bündnisses, hat er an einem großen runden Tisch im Linxxnet in Connewitz Platz genommen – einem Linken-Abgeordnetenbüro, das zugleich Treffpunkt der linken Szene Leipzigs ist.
Bach ist noch immer etwas sauer, dass Pellmann die Demo damals „an dem Bündnis vorbei organisiert“ hat. Pellmann habe von dem Leipziger Bündnis und dessen Vorhaben gewusst, hätte zu den Bündnistreffen kommen können. „Wir haben trotzdem für seine Demo am 5. September mobilisiert, weil wir es wichtig fanden, das Thema nicht den Rechten zu überlassen“, sagt Bach. „Wenn wir das nicht gemacht hätten, hätte Pellmanns Veranstaltung ganz schön kläglich ausgesehen.“ Um viele verschiedene Menschen zu mobilisieren, brauche es ein breites Bündnis aus vielen Gruppen und Organisationen, „die ihre Basis in ganz verschiedenen Milieus, Stadtteilen und Berufsgruppen haben“.
Jamil Zehe, Bündnis „Jetzt reicht’s“
Bach und seine Mitstreiterin Zehe hoffen am Samstag auf 5.000 bis 6.000 Teilnehmende. Ihr Ziel ist es, Menschen zu erreichen, die von der Krise betroffen und davon überzeugt sind, dass es „solidarische Lösungen“ für die aktuellen Probleme brauche. „Unser Protest leugnet weder die Klimakrise noch verharmlost er Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nationalismus ist nicht unsere Antwort“, sagt Zehe, 33 Jahre alt und im Studierendenverband Die Linke.SDS aktiv.
Sie ist überzeugt: „Der Anteil derer, die nicht rechts sind, aber trotzdem an den von Rechten organisierten Montagsdemos teilnehmen, weil sie mit der Energiepolitik der Regierung unzufrieden sind, ist sehr klein.“ Die allermeisten wüssten, neben wem sie da laufen. Menschen, die es hinnehmen, zusammen mit Rechten zu demonstrieren, seien am 15. Oktober genauso wenig willkommen wie Rechte selbst.
Seit Sören Pellmann am 5. September in der Leipziger Innenstadt ins Mikro rief, dass der Montag „nicht den Faschisten und Neonazis gehört“, ist die Zahl der rechten Demonstrierenden in der Stadt weiter gestiegen. Anfang September nahmen knapp 1.000 Menschen an der Montagsdemo teil, Ende September waren es 2.500. Am Tag der Deutschen Einheit lag die Zahl der Teilnehmenden laut Polizei „im unteren vierstelligen Bereich“.
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Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass die Demonstrierenden gewaltbereiter und radikaler werden. Bei der Montagsdemo am 26. September haben Rechtsextreme sieben jugendliche Gegendemonstrant:innen angegriffen und verletzt – vier davon so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. Am Montag dieser Woche haben rechte Demonstrierende Ukrainer:innen rassistische Beleidigungen entgegengeschrien, unter anderem „Nazis raus“ und „Ihr Schweine verpisst euch, ihr lebt auf unsere Kosten.“
Bach und Zehe von „Jetzt reicht’s!“ betrachten die Entwicklung der Leipziger Montagsproteste mit großer Sorge. Bach beschreibt die Demos als „Radikalisierungsmotor“. Wie bei den Querdenken-Protesten vergangenen Winter liefen von der Politik enttäuschte Bürger:innen neben Neonazis und verlören jegliche Berührungsängste.
„Als Person mit Migrationsgeschichte entsetzen mich die Proteste sehr, und ich kenne Leute, die überlegen, deswegen aus Leipzig und Sachsen wegzuziehen“, sagt Zehe. Sie könne nicht verstehen, warum die Leipziger Versammlungsbehörde die rechten Demos Woche für Woche genehmige. Das habe für sie nichts mehr mit Demokratie zu tun. „Die Rechten haben auf die Krise keine anderen Antworten als Hass“, sagt Zehe.
Dieser Meinung ist auch der sächsische Verfassungsschutz. Bei den Demos gehe es den „Extremisten jeglicher Couleur“ nicht um eine Lösung für die Sorgen und Nöte der Menschen, die protestieren, „sondern allein darum, diese Menschen für sich und ihre systemfeindliche Einstellung zu gewinnen“. Die Themen Energiekrise, Inflation und soziale Schieflage eigneten sich gut für populistische und extremistische Parolen. „Insoweit gibt es eine vergleichbare Situation wie bei den Anti-Corona-Protesten“, teilte der Verfassungsschutz auf Anfrage mit.
Zehe und Bach sind optimistisch, dass das Bündnis „Jetzt reicht’s!“ den rechten Demonstrationen in Leipzig etwas entgegensetzen kann. In den kommenden Wochen will die Vereinigung regelmäßig Protestaktionen in Leipzig durchführen. Das müssten nicht jedes Mal eine große Demo oder Kundgebung sein, möglich seien auch Nachbarschaftsaktionen oder Infostände, sagt Bach.„Ganz egal welche Protestform: Wichtig ist, dass wir nicht denselben Fehler machen wie bei den Querdenken-Protesten – nämlich die Straße den Rechten überlassen.“
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