Lindner, Merz und Diskriminierung: Der Sexismus in uns
Christian Lindner und Friedrich Merz klopfen Altherrensprüche auf Kosten von Frauen und Homosexuellen. Sie hoffen auf ein Publikum, das solche Äußerungen gutheißt.
E s war eine Woche sprachlicher Entgleisungen. Erst demütigte Christian Lindner die von ihm geschasste Generalsekretärin Linda Teuteberg auf dem FDP-Parteitag mit einem sexistischen „Witz“: 300 Mal habe er seinen Tag mit Teuteberg begonnen, erzählte er, legte eine Kunstpause ein, um Lacher im Publikum abzufangen, um dann nachzulegen: „Ich spreche über unser tägliches, morgendliches Telefonat zur politischen Lage. Nicht was ihr jetzt denkt.“
Einen vergleichbaren Fehltritt leistete sich CDU-Mann Friedrich Merz, als er auf die Frage, ob er sich einen schwulen Kanzler vorstellen könne, Homosexualität in Verbindung mit Kindesmissbrauch brachte. Alles im Jahr 2020. Waren wir nicht eigentlich schon weiter?
Das Interessante ist, dass beide Aussagen überraschend rückwärtsgewandt, aber gleichzeitig so alltäglich und „tausendmal gehört“ daherkamen – es war eben Alltagssexismus und Alltagshomophobie par excellance. Dass sich Lindner und Merz im Nachhinein beide missverstanden fühlten, ist nur Ausdruck ihrer permanenten Selbstüberhöhung.
Dennoch ist es zu einfach, Merz und Lindner als Ewiggestrige abzutun und zu behaupten, dass der Rest der Gesellschaft schon weiter sei. Die Herabwürdigung von anderen ist ein erprobtes Mittel des eigenen Machterhalts. Zudem ist es so: Friedrich Merz kandidiert um den Vorsitz der CDU – und seine Umfragewerte sind nicht allzu schlecht. Und Lindner ist immer noch FDP-Chef, auch wenn seine Partei momentan keinen Höhenflug hat.
Diese Männer sind nicht nur aus der Gegenwart, sie sind vielleicht auch Männer der Zukunft. Es ist längst nicht ausgemacht, dass diese Eskapaden zwingend zu schlechteren Zustimmungswerten führen. In Betrachtung des Trump-Prinzips könnte auch das Gegenteil passieren.
Lindner und Merz sind beide rhetorisch geschult und nicht neu im Politikbetrieb. Beide gehen offenbar davon aus, dass es ein Publikum gibt, das solche Sprüche gutheißt. Es ist deshalb nicht überzogen, sich mit diesen scheinbar nur so dahingesagten Worten auseinanderzusetzen. Von Politiker:innen darf und sollte die Öffentlichkeit verlangen, niemanden mit Worten zu diskriminieren.
„Wer sich Merz als Kanzler und Lindner als seinen Stellvertreter wünscht, der will einen Rollback in die 1950er Jahre“, kritisierte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Doch es ist gefährlich, die beiden Männer in einer Vergangenheit zu verorten, die lange vorbei ist.
Es war eben nicht 1950, sondern 2001, als Klaus Wowereit als erster Spitzenpolitiker mit seinem Satz „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ seine Homosexualität offen thematisierte. 2005 wurde mit Angela Merkel die erste Frau ins Kanzleramt gewählt. Beide Momente waren Meilensteine der Emanzipation. Doch Fortschritt verläuft nicht zwingend linear; alle gesellschaftlichen Errungenschaften können auch wieder verloren gehen.
Das Problem nur auf die beiden Personen Merz und Lindner beziehungsweise die CDU und die FDP zu verengen verdeckt den Blick auf das ganze Bild. Die Tatsache, dass heute schwule und lesbische Politiker:innen mit einer größeren Selbstverständlichkeit im politischen Betrieb agieren können, ohne diesen Teil ihrer Identität vertuschen zu müssen, und dass Frauen Ministerposten besetzen, bedeutet eben nicht, dass alle diskriminierungsfrei leben.
Sexismus, Homophobie und Transfeindlichkeit sind trotz gesetzlicher Errungenschaften nach wie vor gängig – und zwar in allen gesellschaftlichen Milieus, in allen Parteien. Wer anderes behauptet, verkennt die Lebensrealität der Betroffenen.
Auch in linken, sich progressiv verstehenden Kreisen wird diskriminiert. Merz und Lindner als Schuldige auszumachen kann eben auch dazu dienen, sich nur selbst zu vergewissern, auf der richtigen Seite zu stehen. Aber vielleicht offenbart sich hier nur die Diskrepanz zwischen modernem gesellschaftlichen Diskurs und einer Gesellschaft, die gar nicht so progressiv ist, wie manche es gerne hätten.
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