Letzte Generation vor Gericht: Für Selfies in den Knast
Ein Klimaaktivist geht vor Ablauf der Frist für drei Tage ins Gefängnis. Zum Verhängnis wurde ihm die Verbreitung von Fotos einer Pipeline-Sabotage.
Semmler hatte im Frühjahr 2022 zusammen mit anderen Aktivist*innen Ventile an einer Pipeline der Erdölraffinerie PCK in Mecklenburg-Vorpommern zugedreht. Ein Strafverfahren hierzu wurde bislang nicht eingeleitet.
Allerdings postete Semmler Fotos und Videos von der Aktion, obwohl das Landgericht Neubrandenburg ihm dies per einstweiliger Verfügung untersagt hatte. Für die Missachtung des Verbots stellte ihm das Gericht die Zahlung von 1.500 Euro an die Raffinerie in Rechnung – oder ersatzweise drei Tage Ordnungshaft.
Nachdem Semmler erfolglos Widerspruch eingelegt hatte, will er die Haft am Dienstag nun antreten. Einige Mitstreiter*innen der Letzten Generation wollen ihn bis zur Gefängnistür begleiten. „Ich finde es nicht richtig, der Raffinerie das Geld zu geben“, sagt Semmler der taz. Auch die Entscheidung des Gerichts halte er für falsch.
Die Raffinerie wälze die Kosten für die Zerstörung auf die Allgemeinheit ab
Die Pipeline habe er aus Gründen der Gewissensnot abgedreht, um zu verhindern, dass die Firma PCK weiter das Klima zerstöre. Sie richte weltweit Schäden an, für deren Kosten sie nicht aufkomme, und gehe wie selbstverständlich davon aus, dass die Allgemeinheit oder Einzelne diese Kosten trügen. Im letzten Punkt stimmte der Richter Semmlers Argumentation zwar zu, kam aber zu dem Schluss, dass man trotzdem keine Selbstjustiz üben dürfe.
Die PCK Raffinerie GmbH verarbeitet in Schwedt an der Oder jährlich 12 Millionen Tonnen Roherdöl. Durch eine Pipeline gelangt es von Rostock nach Schwedt und nach der dortigen Verarbeitung weiter in verschiedene Tanklager bei Berlin. An den Pipelines befinden sich mehrere Zwischenpumpstationen, unter anderem in Borrentin an der Mecklenburgischen Seenplatte. Dort drehte Semmler, wie er vor Gericht einräumte, am Ventil.
Für den 38-jährigen Schauspieler und Drehbuchautor ist es schon das zweite Mal, dass ihn sein Klimaaktivismus ins Gefängnis bringt. Im Februar 2022 hatten sich Aktivist*innen der Letzten Generation auf Zufahrtsstraßen zu mehreren Flughäfen festgeklebt, darunter auch Semmler. Daraufhin musste er dreieinhalb Tage im Münchener Gefängnis verbringen.
Die Raffinerie veranlasst weitere Zahlungsaufforderungen
In einer weiteren Verfügung des Neubrandenburger Gerichts hat PCK weitere Verstöße Semmlers gegen das Verbreitungsverbot geltend gemacht. Weil die Videos und Fotos von der Aktion immer noch online seien, soll er zusätzlich 4.500 Euro zahlen oder neun Tage in den Knast gehen. Mittlerweile hat ihn eine dritte Zahlungsaufforderung über 6.000 Euro erreicht.
Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Semmler sagt, er habe die Bilder nicht selbst weiter verbreitet und sei auch nicht der Besitzer der Website, auf der sie veröffentlicht wurden. Nun existiert diese ohnehin nicht mehr: Die Generalstaatsanwaltschaft München nahm die Website im Zuge der bundesweiten Razzien gegen die Aktivist*innen vom Netz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt