piwik no script img

Launch der ePatientenakteFür Forschung und Industrie

Kommentar von Svenja Bergt

Die Bundesregierung treibt die Digitalisierung des Gesundheitssystems voran. Pa­ti­en­t:in­nen dürften allenfalls in zweiter Linie profitieren.

Kampf dem Plastik Foto: imago

B ei der Digitalisierung des Gesundheitssystems geben sich alle Beteiligten viel Mühe, zu betonen, um was es gehen soll: das Wohl der Patient:innen. Und tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass insbesondere komplizierte Fälle davon profitieren, wenn das medizinische Personal einen umfassenderen Einblick in die Gesundheitsgeschichte hat. Wenn also von der Hausärztin bis zur Klinik, von der Psychotherapeutin bis zum Physiotherapeuten alle Beteiligten schnell die Übersicht der Medikation zur Hand haben, die Therapieansätze und die Ergebnisse bildgebender Verfahren. Dass sich aus der umfassenden Datenüber- und -einsicht tatsächlich ein Vorteil für die Betroffenen komplizierter Krankheiten ergibt, ist aber keineswegs gesetzt – ebenso wenig wie Vorteile für die unkomplizierten Fälle.

Das hat mit einer Reihe von Faktoren zu tun und auch damit, dass die Pläne zahlreiche Risiken bergen, die alle Versicherten kennen sollten. Schließlich werden sie voraussichtlich kommendes Jahr die Entscheidung treffen müssen, ob sie eine elektronische Patientenakte (ePA) wollen oder nicht. Und wer keine Entscheidung trifft, trifft auch eine: Nichthandeln heißt in diesem Fall Zustimmung.

Die Zustimmung gilt zum einen dafür, dass alle Ärz­t:in­nen und medizinischen Be­hand­le­r:in­nen Einblick in die Diagnosen, die Ergebnisse bildgebender Verfahren, Medikamente oder Behandlungshistorie bekommen. Ein Einblick, der insbesondere für von Diskriminierung betroffene Gruppen Nachteile bedeuten kann – etwa bei Menschen, die nach Körperformen, zugeschriebener Herkunft oder aufgrund einer Diagnose aus der Vergangenheit aus der Masse herausstechen. So zeigen Studien, dass Menschen mit Adipositas im Gesundheitssystem benachteiligt werden. Ihre Leiden werden weniger ernst genommen, auf das Gewicht geschoben, mitunter bleiben diagnostische Verfahren aus und Krankheiten werden übersehen. Ähnliches berichten Menschen, in deren Akte sich ein Diagnosecode für eine psychische Erkrankung befindet: Im Zweifelsfall wird ein körperliches Leiden, das sie in die Praxis gebracht hat, als psychosomatisch klassifiziert.

Doch neben dem Einblick für behandelndes Personal plant die Bundesregierung weitere und weitgehende Datenweitergaben: an For­sche­r:in­nen aus Wissenschaft und Industrie. Der gängige Argumentationsweg ist hier häufig die Coronapandemie: Deutschland sei in diesem Kontext auf Daten aus anderen Ländern angewiesen gewesen. Diese Argumentation vergisst allerdings ein Detail: Deutschland hat während der Pandemie auch in Bereichen, in denen das auch ohne digitale Patientenakte und einen Zugriff darauf für die Forschung möglich gewesen wäre, lieber nichts getan. So wurden etwa hierzulande deutlich weniger positive Proben sequenziert, also nach einem genommenen Abstrich der Virustyp bestimmt, als etwa in Großbritannien oder Dänemark. Das wäre eine Forschung ganz ohne persönliche Daten gewesen.

Adam und ePa

Dazu kommt: Die Daten, die Industrie und Wissenschaft bekommen, werden nicht anonym sein können. Das hängt zum einen damit zusammen, dass Gesundheitsdaten in der Regel derart individuell sind, dass schon mit einem Teil der Informationen eine Identifizierung möglich ist. Zusätzlich können durch Freitextfelder, wo also Ärz­t:in­nen im Fließtext Informationen festhalten, weitere persönliche Daten an Dritte gelangen. So kommt etwa Sylvia Thun, die als Professorin an der Berliner Universitätsklinik Charité tätig ist, in einer Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Bundestags zu dem Ergebnis: Die „vollautomatisierte Ausleitung ohne vorherige Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger [würde] zu einer Verletzung des Datenschutzrechts und des Arztgeheimnisses führen“. Sie fordert, dass Pa­ti­en­t:in­nen der Nutzung ihrer Daten für die Forschung aktiv zustimmen müssen – und zwar differenziert nach Forschungsthemen und Dokumenten. Vorgesehen ist aktuell, dass auch bei der Weitergabe der Daten an die Forschung Schweigen Zustimmung bedeutet.

Nun müsste das alles nicht dagegen sprechen, sich eine ePA einrichten zu lassen – vor allem dann nicht, wenn man sich einen Nutzen davon verspricht. Allerdings: Dass Pa­ti­en­t:in­nen darauf hoffen können, dank einer Berücksichtigung der Gesundheitshistorie besser behandelt zu werden, ist keineswegs sicher. Denn bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss wurde kürzlich ein entscheidendes Detail deutlich: Ob die Be­hand­le­r:in­nen dazu verpflichtet werden, die Daten aus der elektronischen Patientenakte zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen, ist längst nicht ausgemacht. Realistisch betrachtet ist es extrem unwahrscheinlich, dass eine solche Pflicht kommen wird. Denn die Ärz­t:in­nen­schaft wird sich mit allen Mitteln dagegen wehren. Das ist nachvollziehbar: Schließlich haben die wenigsten von ihnen Extra-Zeit, um sorgfältig lange Datenreihen durchzugehen oder zurückliegende Diagnosen zu durchforsten. Ganz abgesehen von dem Haftungsrisiko, falls jemand etwas übersieht.

Ob der Datenschatz, der in der elektronischen Akte gespeichert wird, so man als Ver­si­cher­te:r nicht widerspricht, individuell also überhaupt einen Vorteil bringen wird, ist unklar. Wobei die deutsche Gesetzgebung, die zumindest ein Widerspruchsrecht vorsieht, schon das kleinere Übel zu sein scheint: Die EU plant ein ähnliches Projekt der Digitalisierung von Patientendaten – ohne die Möglichkeit zum Widerspruch.

Klar ist, wer in jedem Fall profitiert: Akteure aus der wissenschaftlichen und industriellen Forschung. Die bekommen über das Forschungsdatenzentrum Zugriff auf die Daten. Damit wird klar, um was es bei den Digitalisierungsvorhaben im Gesundheitssystem eigentlich geht: Standortförderung. Wenn die Pa­ti­en­t:in­nen nebenbei profitieren, ist das im Sinne der Erfinder:innen. Aber wenn nicht – dann wird niemand die elektronische Patientenakte wieder abwickeln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Noch mehr Digitalisierung ?



    Führt zu noch mehr Yoga und Schamanentum.



    Wo Gefahr naht, ist das Rettende nicht weit.

  • "Das war übrigens das Gleiche bei der Corona-App: Da wollte erst eine Firma schön ranzig Daten abgreifen und erst nach massiven Protesten wurde dann eine Architektur gewählt, die es unmöglich gemacht hat, über den Zweck hinausgehende Daten zu sammeln."

    Die Corona-Warn-App ist doch auch so ein schönes Beispiel, wie Datenschutzbedenken eine gute Idee kaputt machen. Da wurden auch so lange Bedenken geäußert, bis man eben die Struktur so geändert hat, dass niemand etwas wissen kann. Denn nur die jeweiligen Handys wissen, mit welcher ID sie wann Kontakt hatten. Weder die Handys noch das Gesundheitsamt weiß wo der Kontakt stattgefunden hat. Und niemand weiß, wieviele Kontakte es gab und wieviele nun tatsächlich gewarnt wurden.

    Was war die Folge? Die Corona-Schutzmaßnahmen wurden von Lobby-Gruppen mit massivem politischem Druck ausgehebelt, weil ja genau ihre Klientel nicht Schuld an der Corona-Verbreitung sei. Ich denke da nur an die Gaststättenverbände, die alle ausgeschlossen haben, dass bei Ihnen in der Gaststätte Ansteckungen stattgefunden hätten.



    Leider hatte das Gesundheitsamt nicht die Daten der Corona-Warn-App. Sonst hätte man statistisch ganz einfach auswerten können, wieviele Leute an welchem Ort Kontakt zu einer infizierten Person hatten und wieviele davon nachher auch erkrankt sind. Somit wäre bewiesen worden, dass eben doch sehr viele Infektionen in den Gaststätten stattgefunden haben. Wegen des Datenschutzes haben wir nie erfahren, wieviele Infektionen, wo stattgefunden haben und mussten uns laut protestierenden Lobbygruppen beugen. Gleichzeitig wurde aber vielleicht auch sinnlose Maßnahmen aufrechterhalten, weil man keine Daten dazu hatte. Und das Gesundheitsamt konnte ohnehin niemanden direkt warnen oder automatisiert Kontakte nachverfolgen, weil es die Daten nicht gab.



    Die Corona-Warn-App ist eben auch ein klassisches Beispiel dafür, wie Datenschützer und Bedenkenträger ein gutes Konzept kaputt gemacht haben.

  • Von mir aus verzichte ich auf alle Privatsphäre gegenüber dem Staat wenn wir dafür endlich echte Digitalisierung kriegen und die ganzen Verwaltungsstellen die sich nur selber verwalten und Geld kosten gestrichen werden. Wenn das Angebot ein moderner effizienter Staat ist kann der Staat gerne meine Daten haben. Bei der derzeitigen Geschwindigkeit fliegt Deutschland eines Tages aus der EU, weil analoges Deutschland nicht mehr kompatibel ist mit unseren durch-digitalisierten Nachbarn.

    • @Machiavelli:

      Dann können Sie getrost weiter auf Ihre Privatsphäre pochen. Bedingung für jede Innovation im staatlichen Bereich ist, dass sie nur ja keine Planstellen vernichtet. ;-)

  • Es ist doch letztendlich einfach: die einen favorisieren überbordenden Datenschutz und die anderen signifikante Verbesserungen in der medizinischen Versorgung.

    • @alterego:

      Das Problem bei dieser Form von "Verbesserungs"infrastruktur ist, dass es offensichtlich Hemmungen gibt, sie datenschutztechnisch so zu gestalten, dass die beiden Positionen einander nicht so konträr gegenüberstehen.

      Die Ärzteschaft hat schon vor über fünfzehn Jahren davor gewarnt, die e-Akte so zu bauen, dass ein Riesenhaufen höchst intimer, nicht individuell verschlüsselter Daten zentral gesammelt wird, der ab da Begehrlichkeiten allerorten weckt. Die fortgesetzte Lernresistenz in der Frage lässt tief blicken, zumal die Möglichkeiten da wären. Es ist offenbar schlicht unerwünscht, dass Patienten dauerhaft selbst entscheiden können, wie weit ihre Daten verbreitet werden.

  • "Ob der Datenschatz, der in der elektronischen Akte gespeichert wird, so man als Ver­si­cher­te:r nicht widerspricht, individuell also überhaupt einen Vorteil bringen wird, ist unklar."



    Wiederholt wird in den sogenannten Querschnittsdisziplinen, also Fachärzt*innen-Gruppen, die viele Einsender*innen betreuen, wie es tägliche Praxis für die methodenorientierten Patholog*innen und Mikrobiolog* innen ist, die Beobachtung gemacht und ggfs geteilt, dass Untersuchungen mehrfach veranlasst wurden oder besondere Ergebnisse bereits vorliegen. Solche Daten ermöglichen es, die wesentlichen Zusammenhänge bei "Zugriff auf alles" erkennen zu können. Dies ist besonders der Fall, wenn es sich um seltene Erkrankungen mit vielgestaltigen Präsentationen handelt. Ein Beispiel sei der Lupus erythematodes. Bei Tumorerkrankungen mit Wiederkehr durch Metastasen ist oft der Primärtumor bekannt, aber nicht in Details, die heute eine 'personalisierte Medizin' möglich machen, sodass gezielte Nachfragen oder auch ein Präparateversand resultieren können.



    In den elektronischen PatientInnenakten der Krankenhäuser sind übrigens je nach Qualität und Implementierung Filter eingebaut, die durchaus hilfreich sind, für Laboruntersuchungen liegen häufig große Datenmengen im Verlauf vor.



    Ein selektiver Zugriff auf fallbezogene Daten schont hier auch die Ressourcen der Kolleg*innen, denn Zeit steht schon für Patient*inenkontakte häufig nur in kleinen Kontingenten zur Verfügung.



    "Zugriff auf alles" hat man auch gelegentlich bei großen Zusammenhangsgutachten, die außerordentlich lehrreich sein können.

  • "Ganz abgesehen von dem Haftungsrisiko, falls jemand etwas übersieht."

    --> Die Haftung wird wohl gerade darin bestehen, wenn der Arzt im Rahmen der Anamnese vorliegende Daten gerade nicht nutzt.

    Jeder Arzt ist im Rahmen der Anamnese verpflichtet nach den Regeln der ärztlichen Kunst die Situation zu erheben, dazu gehört (heute schon) die Erhebung sämtlicher Befunde der Vergangenheit, sofern sie Auswirkungen auf die Gegenwart haben können. Nur bringt kaum ein Patient heute sämtliche Akten der Vergangenheit mit.

    Wenn die Daten beim Arzt vorliegen, muss er diese auch zur Kenntnis nehmen.

    Das wird sich in der Praxis über Kunstfehlerprozesse regeln, wenn es das erste Mal schmerzensgeldmäßig bei irgendeinem Arzt richtig kracht. Die Anamnesepflicht gilt schon jetzt und wird sich auch auf die ePA erstrecken.

  • Immer wird betont, wie rückständig D digitalisiert ist. Kaum wird etwas Digitalisierung angedacht, ist es auch wieder falsch. Anderseits wird das digitale Gesundheitssystem Estlands so gelobt.



    Ja, es bleiben Fragen.



    Ist die wissenschaftliche Forschung so eine starke Lobbygruppe, dass die ganz D bestimmt? Nein.



    Die industrielle Forschung schon eher. Aber könnte die nicht schon auf den Datensatz Estlands zurückgreifen (mit etwas Geld)?

    Die mögliche Benachteiligungen bestimmter Patienten ergeben sich doch schon heute. Die könnte durch eine bessere Kombination der Daten (ganzheitlicher Ansatz) sogar weniger werden.

    Die meisten Patienten sind ältere Menschen. Bei denen ist durchaus ein Vorteil, wenn nach einer Überweisung im Krankenhaus sofort die Medikation eingesehen werden kann, etc. Oder der eine Facharzt die Verschreibungen der anderen Fachärztin sehen kann, ohne auf die vagen Antworten der Patienten angewiesen zu sein. Es kann dann auch das Nachfolgegespräch beim Hausarzt entfallen.

    Eine wichtige Haftungsfrage ist dann, wie im Text beschrieben, in wie weit alle Daten einsehen werden müssen. Aber vielleicht kann man das in der Akte entsprechend kategorisieren. (Nur das nicht jemand glaubt, die Digitalisierung würde weniger Arbeit bedeuten).

    Die Vorteile scheinen zu überwiegen.

    • @fly:

      "Immer wird betont, wie rückständig D digitalisiert ist. Kaum wird etwas Digitalisierung angedacht, ist es auch wieder falsch. Anderseits wird das digitale Gesundheitssystem Estlands so gelobt."

      ---------------

      Wahrscheinlich weil die Esten das von der Pike auf Stück für Stück umgesetzt haben. Und die Datensicherheit gewährleistet ist. Was in Deutschland bisher ja nie funktioniert hat. Ein gesundes Misstrauen ist also oberstes Gebot.

    • @fly:

      Mich ärgert das, wenn Menschen sich das auch noch schön argumentieren, wenn sie verarscht werden.

      Das ist nicht gesund und - wie immer bei Missbrauch - auch noch gefährlich für das gesamte Umfeld.

      Der Witz ist, dass man auch die E-Akte technisch so bauen könnte, dass die Vorteile überwiegen und es gar keine Nachteile gibt. Z.B. indem man die Daten so verschlüsselt, dass sie nur mit physischem Besitz der Kassenkarte entschlüsselt werden können. Dann können sie nämlich auch nicht so einfach gehackt werden und ins Darknet oder an den russischen Geheimdienst entschwinden.

      Genau das ist aber nicht vorgesehen, eben weil es diese anderen Interessenten noch gibt.

      Das war übrigens das Gleiche bei der Corona-App: Da wollte erst eine Firma schön ranzig Daten abgreifen und erst nach massiven Protesten wurde dann eine Architektur gewählt, die es unmöglich gemacht hat, über den Zweck hinausgehende Daten zu sammeln.

      Sowas ist möglich, aber es ist im Fall der E-Akte eben nicht gewollt. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass das auch etwas mit Wirtschaftskompetenz (aka Korruption) zu tun hat, dass die Politik das nicht vernünftig umsetzt. Da wird irgendjemand (ganz legal natürlich!) davon profitieren. Wie eigentlich immer bei solchen Fällen.

  • Das ist die große Koalition, aus Parteien und Interessengruppen an der Arbeit. Der "Gesundheitsbereich" ist ein ständig wachsendes Segment der Volkswirtschaft, das nach mehr neoliberaler Nutzung verlangt. Nach Vorbild der USA setzten EU und Bundesregierung die Kapitalisierung der Gesundheitsinfrastruktur um. Diese Regierung, wie die Vorgänger, interessieren sich nicht für das Wohl der Menschen, sondern für das Wohl der profitierenden Interessen.

    • @Octarine:

      Es ist natürlich verführerisch, Alles auf den Neoliberalismus zu schieben. Aber das stimmt so nicht. Personalisierte Gesundheitsdaten von Millionen Patienten wecken auch bei staatlichen Stellen jede Menge Begehrlichkeiten, allen voran bei den Krankenkassen und Ermittlungsbehörden. Die halten nur VOR Freischaltung der allgemeinen Datensammlung erstmal brav still, weil sie sich ausrechnen, dann bei der nachträglichen Freigabe von Zugriffen auf diese Daten ganz vorne in der Reihe zu stehen.

  • Ein schönes Beispiel dafür, warum es in Deutschland so langsam voran geht. Überall wimmelt es von Bedenkenträgern, die Fälle konstruieren, wo es nicht ganz perfekt laufen könnte und dann das ganze Projekt stoppen wollen. Achja und dann darf da natürlich auch ein Hinweis auf die böse Industrie nicht fehlen, damit man da einen "Klassenkampf" daraus machen kann.

    Ich bin entsetzt wie rückschrittlich Deutschland bei der elektronischen Patientenakte ist. Schon während meines Studiums vor 20 Jahren hieß es, dass Deutschland bei der elektronischen Patientenakte hinter den anderen Ländern hinterherhinkt, aber diese "bald" kommen wird. Dann wurde aber doch noch so viel verzögert, dass man "bald" nun mit "20 Jahre" gleichsetzen kann.

    Hier wird das so dargestellt, als würden nur sehr wenige "komplexe Fälle" von profitieren. Was ist denn ein komplexer Fall? Ich als Notarzt habe bei geschätzt 80% meiner Einsätze Patienten, die 5-10 verschiedene Medikamente täglich nehmen. Und wenn die Patienten nicht ihren ausgedruckten Medikamentenplan da haben, dann hat man eben ein Problem. Da muss man dann Kisten in der Küche durchwühlen und fragen, ob das Medikament vom Patienten oder vom Ehepartner ist und ob es denn aktuell noch genommen werde und wie oft... - ich bin es so leid. Wenn der Patient nicht in seiner Wohnung kollabiert fehlt diese Information ohnehin komplett...



    Und die Vorerkrankungen, da bekommt man die Aussage "viele". Die Arztbriefe wurden beim Hausarzt abgegeben, also leider keine Ahnung. Ob ein Vorhofflimmern oder ein Linksschenkelblock schon bekannt ist? Noch nie gehört!



    Tja und dann behandelt man den Patienten vor Ort als Herzinfarkt mit Blutverdünnern, fährt ihn zum Herzkatheter und nachher kommt raus, dass der Linksschenkelblock schon lange bekannt war.



    Und die Klinik weiß nichts von den Stents und dem implantierten Defi, weil das in einer anderen Klinik gemacht wurde und somit nicht im Klinikrechner ist.

    Und ihr wollt wohl, dass das auch 2040 noch so ist?

    • @propofol:

      Danke für diesen "Einblick" !

      Mir sei eine ironische Frage mit Hinblick auf diesen TAZ-Artikel erlaubt: Sind Sie nicht erleichtert das Sie dank fehlender E-Akte nicht in Versuchung geraten können Ihren Patienten zielgerichtet vor Ort zu diskriminieren ?



      Vergessen Sie als Notarzt mal bei der elektronischen Patientenakte mal den ganzen medizinischen Hokuspokus. Alles ganz super, Sie wissen direlt bescheid und können gezielt behandeln. Ist alles unwichtiges Beiwerk. Wichtig ist nur das niemand benachteiligt wird.

  • Erschwerend kommt noch hinzu: Wenn der Patient auswählen kann, welcher Arzt Was in der Akte sieht, kann sich kein Arzt auf die Akte verlassen. Sie ist also weitgehend wertlos für Ihn.



    Der Aufwand, eine bisher nicht wirklich standardisierte Akte anzulegen ist für Ärzte zeitlich kaum machbar, die Krankenkassen haben aus dem gleichen Grund dankend abgelehnt die Aufgabe zu übernehmen.