Landgrabbing in Sachsen-Anhalt: Im Reich der Großagrarier
Der Boden in Sachsen-Anhalt ist besonders fruchtbar. Eine Reform sollte die Kleinbauern stärken – doch dann nutzten riesige Betriebe ihre Lobbymacht.
Lutz Trautmann hat sich darüber gefreut. Er ist Chef der Agrargenossenschaft Hedersleben im Westen des Bundeslandes. 4.500 Hektar hat das Unternehmen. „Das ist auch für ostdeutsche Verhältnisse relativ groß“, sagt Trautmann in seinem Büro im Verwaltungsgebäude des Unternehmens. Es arbeitet konventionell, also auch mit chemisch-synthetischen Pestiziden, die Umweltschützern als Bedrohung der Artenvielfalt gelten. Rund 2.000 Rinder und 62 Mitarbeiter habe der Betrieb, erzählt Trautmann. An dem Gesetzentwurf störte ihn vor allem eines: Die Behörden sollten Betrieben, die bereits mehr als die Hälfte der Agrarfläche in einer Region besitzen oder pachten, weitere Käufe dort untersagen können.
Die Agrarbranche ist für Sachsen-Anhalt wichtiger als für andere Bundesländer. Ende 2019 nutzte sie hier laut Statistischem Bundesamt 60 Prozent der Bodenfläche, im deutschen Durchschnitt nur 51 Prozent. Sie wirkt also erheblich auf die Umwelt ein, zum Beispiel trägt sie durch Pestizide zum Artensterben bei und stößt Treibhausgase aus. Der Anteil der Branche an der Bruttowertschöpfung ist auch in Sachsen-Anhalt gering, aber mit 1,8 Prozent im verganbenen Jahr immerhin mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Das liegt auch daran, dass seine Böden zu den fruchtbarsten überhaupt zählen.
Dieses „schwarze Gold“ haben vor allem sehr große Betriebe unter Beschlag. Das durchschnittliche Agrarunternehmen in Sachsen-Anhalt hat 265 Hektar – etwa 4-mal so viel wie der Bundesdurchschnitt. Typisch sind riesige Felder, auf denen Getreide, Raps oder Zuckerrüben wachsen, aber kaum Bäume oder Hecken, die Rückzugsräume für Insekten oder Vögel bieten. Die großen Strukturen sind vor allem ein Erbe der DDR, die Bauern in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) zwang.
Aus so einer LPG ist nach dem Ende der DDR auch Trautmanns Agrargenossenschaft entstanden. Mittlerweile hat sie so viel Fläche wie nur wenige Betriebe in Deutschland. Und er will weiter expandieren. „Wir brauchen kein neues Agrarstrukturgesetz“, sagt Trautmann deshalb. Der Entwurf versuche, „stabile Strukturen in der Landwirtschaft von hintenrum wieder abzufangen und in Kleinst-Manufakturbetrieben zu organisieren“. Er hält große Unternehmen für nötig, weil sie zum Beispiel Mähdrescher besser ausnutzen und so die Stückkosten der Produkte senken könnten. Nur so könne die Landwirtschaft bei den niedrigen Preisen für Lebensmittel Arbeitsplätze mit akzeptablen Bedingungen anbieten.
Claudia Gerster aber sagt: „Wir zahlen unseren Mitarbeitern mehr als viele große Betriebe.“ Ihr Hof halte sich schon seit 27 Jahren am Markt, „und wir können davon leben“. Man müsse eben mehr auf Qualität statt auf Quantität setzen: Ihre Bioprodukte kosten mehr als Trautmanns konventionelle. Anders als er verkauft sie ihre meisten Lebensmittel nicht über den anonymen Großmarkt, sondern direkt an Bioläden, auf Wochenmärkten und im eigenen Hofladen – so kann sie bessere Preise erzielen.
Aber sie hat zu wenig Kapital, um sich bei Landverkäufen gegen Betriebe durchzusetzen, die wie Trautmanns hauptsächlich wegen ihrer Größe jedes Jahr 1,2 Millionen Euro EU-Agrarsubventionen bekommen. „Das Agrarstrukturgesetz hätte dafür gesorgt, dass wir nicht in Konkurrenz treten müssen mit großen Betrieben, wenn wir Land kaufen wollen“, sagt Gerster. „Da geht es um soziale Gerechtigkeit.“
Aus diesem Grund begrüßte Gerster auch, dass die Behörden laut Entwurf erstmals auch den Kauf von Firmen verbieten können sollten, die große Ackerflächen besitzen. Bisher dürfen die Landkreise nur Käufe von Agrarland untersagen, aber nicht von Firmen mit solchen Grundstücken. Dieses Schlupfloch haben zum Beispiel Eigentümer des Discounters Aldi Nord oder des Rückversicherungskonzerns Munich Re genutzt. Sie kauften durch so einen „Share Deal“ ohne Genehmigung der Landwirtschaftsbehörden große Ländereien in Ostdeutschland. Äcker versprechen auch wegen der Subventionen im Vergleich zu derzeit niedrig verzinsten Anleihen hohe Rendite. Deshalb sind sie ein beliebtes Investitionsobjekt für Anleger, die eigentlich nichts mit Landwirtschaft zu tun haben und auch nicht vor Ort wohnen und Steuern zahlen.
Trautmann sieht darin aber kein großes Problem. Nur 1 Prozent der Agrarfläche würden jedes Jahr in die Hand außerlandwirtschaftlicher Investoren gelangen. Gerster dagegen verweist auf eine Studie des bundeseigenen Thünen-Forschungsinstituts für Ländliche Räume. Sie zeigt, dass Anfang 2017 34 Prozent der 853 untersuchten Firmen in allen neuen Bundesländern ortsfremden Investoren gehörten.
Gerster ist auch stellvertretende Vorsitzende der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Mitteldeutschland. Trautmann ist Vizepräsident des Landesbauernverbands, der viele Großbetriebe vertritt. Gerster unterstellt den Bauernverbandsfunktionären, nicht im Interesse ihrer eigenen Betriebe zu handeln, was Share Deals betrifft. Vielmehr gehe es den Agrarmanagern darum, ihre Firmen zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen, wenn sie in den Ruhestand gehen.
Für sich persönlich bestreitet Trautmann solche Absichten. Aber er würde das okay finden: „Selbst wenn man das machen wollte, was ist daran denn nicht gesetzeskonform?“
Nachdem der Bauernverband den Entwurf des Agrarstrukturgesetzes abgelehnt hatte, knickte vor allem die Regierungspartei CDU ein, die traditionell eng verbunden mit der Agrarlobby ist. Auch der CDU-Politiker Hermann Onko Aeikens, bis 2016 Agrarminister in Sachsen-Anhalt, war schon mit einem ähnlichen Vorstoß gescheitert.
Ihre Ablehnung scheint die CDU auch nach der Wahl am Sonntag beibehalten zu wollen: In ihrem Wahlprogramm taucht das Gesetz nicht auf. So ist es auch bei der FDP. Die AfD äußert sich in ihrem Programm überhaupt nicht zur Landwirtschaft. Nur Grüne und SPD werben in ihren Programmen damit, dass sie ein Agrarstrukturgesetz erreichen wollen.
Hinweis: Die Interviews für diesen Artikel fanden wegen der Coronapandemie per Videotelefonat statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen