Kunst und Kolonialismus in London: Verwobene Vergangenheit
Eine Ausstellung in der Royal Academy in London zeigt, wie sich Kolonialismus in der Kunst von 1768 bis heute abbildet. Sie ist nicht nur düster.
Eine lange Speisetafel steht derzeit in dem steinernen Hof der Royal Academy of Arts in London. Sie ist üppig gedeckt mit Früchten und Weinkrügen, mit karibischen und westafrikanischen Gerichten. Daran haben sich 13 wild gestikulierende Personen niedergelassen. „The First Supper“, betitelt der bahamaische Künstler Tavares Strachan seine lebensgroße Tischgesellschaft aus Bronze.
An die Stelle von Jesus aber tritt bei Strachan der äthiopische Kaiser Haile Selassie, der von den Rastafari als Messias verehrt wurde. Umgeben ist der von historischen Schwarzen amerikanischen Persönlichkeiten, von der Menschenrechtsaktivistin Harriet Tubman oder dem Politiker Marcus Garvey. Auch Strachan selbst ist beim Dinner dabei, als Judas.
Mit Strachans Neuinterpretation des biblischen Abendmahls steigt man ein in die Ausstellung „Entangled Pasts. 1768–now“. Sie arbeitet auf, wie verwickelt die Kunst mit dem Kolonialismus des britischen Empire ist, die in der 1768 gegründeten Royal Academy of Arts entstand. Die Idee sei der Kuratorin Dorothy Price gekommen, nachdem die Ermordung des Schwarzen Amerikaners George Floyd durch einen Polizisten 2020 in den USA auch in Großbritannien so viele Unruhen auslöste. Nur bald darauf stürzte in Bristol das Denkmal des Sklavenhändlers Edward Colston.
Die Schau zeigt mit über 100 Kunstwerken von 1768 bis heute, dass der britische Kolonialismus auch durch die Tätigkeit der Kunsthochschule weitergetragen wurde. Und dies auf sehr unterschiedlichen Wegen: Künstler:innen ließen sich mit Geld bezahlen, das durch koloniales Unrecht erwirtschaftet wurde, oder sie stammten selbst aus Familien mit Besitz in den Kolonien. Andere wiederum trugen den Kolonialismus über die Bilder weiter.
Porträt von Monarch und Knappe
Wie Joshua Reynolds, erster Präsident der Royal Academy, wenn er auf einem Porträtgemälde dem damaligen Prinzen und späteren König Georg IV. einen Schwarzen Knappen an die Seite stellt. Der zupft dem Monarchen noch unterwürfig am Saum, sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Ohnehin bleiben die meisten Persons of Color auf den Bildern dieser Ausstellung namenlos.
Ganz anders ist das Porträt des Schwarzen Ignatius Sancho. Als Sklave geboren, konnte er sich durch sein Talent im Großbritannien des 18. Jahrhunderts als Schriftsteller und Komponist etablierten. Thomas Gainsborough, ein Zeitgenosse und Konkurrent von Reynolds, bildete Sancho dann auch als eine solche Prominenz ab, die er bereits zu Lebzeiten war.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Meer, als wichtigster Handlungs- und Schicksalsort des Kolonialismus. Dutzende Modellschiffe lässt etwa Künstler Hew Locke von der Decke im zweiten Saal hängen.
In John Akomfrahs erhabenen Filmarbeiten erscheint das Meer zunächst in aller Schönheit – und löst sich in Brutalität auf, wenn daneben Ellen Gallagher auf ihren Malereien ein grausames Motiv aufgreift, mit dem auch der einstige Royal-Academy-Stipendiat William Turner um 1840 die britische Öffentlichkeit aufschreckte: schwangere, versklavte afrikanische Frauen, die auf der Atlantikpassage über Bord geworfen werden.
„Entangled Pasts. 1768–now. Art, Colonialism and Change“: Royal Academy, London, bis 28. April
Der Reformdenker Frederick Douglass
Doch es gibt auch optimistische Blicke auf die Vergangenheit in dieser Ausstellung: Auf mehrere Leinwände projiziert Isaac Julien seine bildstarke Filminszenierung über den Reformdenker Frederick Douglass. Der reiste im 19. Jahrhundert weit, um sich für die Abschaffung der Sklaverei einzusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos