Polizeigewalt gegen Schwarze: Die Angst im Nacken

15 Minuten lang soll ein Polizist einem Schwarzen das Knie in den Nacken gedrückt haben, bis er bewusstlos wurde. Nun steht das Opfer vor Gericht.

Ein Bildschirm zeigt Überwachungsaufnahmen eines Bahnsteigs.

Die entscheidenden Bilder der Überwachungskamera fehlen Foto: Max Lautenschläger/picture alliance

BERLIN taz | Mehr als 15 Minuten lang habe der Polizist ihm das Knie in den Nacken gedrückt. Selbst als er sich erbrechen musste und ohnmächtig wurde, hätten sie nicht von ihm abgelassen. Was der Schwarze Deutsche Zefanias M. am Mittwoch vor dem Gerichtssaal erzählt, erinnert unweigerlich an den Polizeieinsatz in den USA vor rund zweieinhalb Jahren, bei dem ein Polizist dem Schwarzen US-Amerikaner George Floyd neun Minuten lang das Knie in den Nacken presste, bis dieser verstarb. „Ich habe gesagt: ‚Ich glaube, ich ersticke‘. Da meinte der Polizist nur: ‚Hoffentlich‘“, sagt M.

Zefanias M.

„Ich habe gesagt: ‚Ich glaube ich ersticke‘. Da meinte der Polizist nur: ‚Hoffentlich‘.“

Zefanias M. hat überlebt. Dafür muss er sich nun vor Gericht wegen tätlichen Angriffs, Körperverletzung und Beleidigung gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. „Polizisten dürfen dich schlagen und quälen, aber wehe, du beleidigst sie“, sagt M. resigniert. Auch er hat Anzeige gestellt gegen die Beamt*innen, wegen Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung. Doch das Verfahren wurde eingestellt. Als Zefanias M. Beschwerde dagegen einlegte, wurde es zwar wieder aufgenommen, aber so lange zurückgestellt, bis über die Vorwürfe gegen ihn entschieden ist.

Drei Jahre ist der Vorfall mittlerweile her, da war George Floyd noch am Leben und es gab auch noch keine weltweite Protestwelle gegen rassistische Polizeigewalt im Allgemeinen und die potenziell tödliche Polizeipraktik im Speziellen.

In der Nacht des 4. Novembers 2019 stieg Zefanias M. gegen halb eins an der Hermannstraße aus der U-Bahn. Als er sah, wie BVG-Securities einen obdachlosen Mann gewaltsam rauswerfen wollten, mischte er sich ein. „Sie haben direkt ihre Handschuhe angezogen und mich geschlagen“, sagt der gebürtige Berliner.

Entscheidende Videoaufnahmen sind verschwunden

Was danach passiert, ist auf einem Überwachungsvideo der BVG festgehalten, das am Mittwoch im Gerichtsaal gezeigt wird. Man sieht Zefanias M., der auf dem Bahnsteig auf einer Bank sitzt und mit den herbeigerufenen Polizisten diskutiert. Als er aufsteht, wird er von den Beamten auf die Bank gedrückt und anschließend in einer Ecke gewaltsam fixiert und zu Boden geworfen. Was man nicht sieht, ist, dass der junge Mann einem der Polizisten ins Gesicht schlägt, wie die Einsatzkräfte behaupten. „Eine glatte Lüge“, konstatiert Anwalt Armin Grimm.

Ebenfalls nicht zu sehen sind die 15 Minuten, in denen einer der Polizisten dem auf der Bank fixierten Zefanias M. das Knie in den Nacken gepresst haben soll. „Genau die Aufnahmen, auf denen ich gequält wurde, sind plötzlich verschwunden“, sagt der 29-Jährige. Dass die entscheidenden Beweise fehlen, überrascht Anwalt Grimm nicht. „Wir brauchen unabhängige Institutionen, die solche Videos anfordern und sichern“, fordert er. „Wenn Polizeibeamte gegen sich selbst ermitteln, bringt das nichts.“

„Die Staatsanwaltschaft ist nicht neutral. Sie stellt sich immer schützend vor die Polizei“, sagt Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), die M. in dem Prozess unterstützt. Ohne Konsequenzen für rassistisches Verhalten würden Po­li­zis­t*in­nen jedoch einfach so weitermachen. „Du kannst oft nichts gegen die Polizei machen, das führt zu noch mehr Problemen“, sagt Basu, der selbst unlängst wegen Racial Profiling bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gezogen war – mit Erfolg.

Rassistische Polizeigewalt kein Einzelfall

Es ist nicht das erste Mal, dass in diesem Prozess die Überwachungsvideos gezeigt werden, die Zefanias M. entlasten. Seit September wird der Fall bereits vor dem Kriminalgericht in Moabit verhandelt. Nach der ersten Durchsicht habe die Richterin vorgeschlagen, das Verfahren einzustellen, doch die Staatsanwältin habe auf ihrer Anklage bestanden, sagt Anwalt Grimm. Nach der erneuten Durchsicht am Mittwoch wird zumindest der Vorwurf des Widerstandes fallen gelassen. Zu einem Urteil kommt es allerdings nicht, stattdessen wird der Prozess auf Mitte November vertagt.

Zefanias M. hofft auf einen Freispruch, auch wenn er nicht so recht daran glaubt. Sollte er verurteilt werden, will er in Berufung gehen. Dass nicht die Polizisten, die ihn geschlagen und gewürgt haben, sondern er vor Gericht steht, findet er „unfair“. Das Verhalten der Beamten ist in seinen Augen nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch rassistisch.

In Berlin kommt es immer wieder zu Beschwerden wegen rassistischer Polizeigewalt. Seit der Einführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) im Juni 2020 können Betroffene gegen staatliche Diskriminierung vorgehen. Seitdem sind bei der Ombudsstelle 109 Beschwerden gegen die Polizei eingegangen, davon mit 68 mehr als die Hälfte wegen rassistischer Diskriminierung. Demnach sei dabei „auffällig“, dass die Schilderungen der Betroffenen und der Polizei „stark voneinander abweichen“. Aus Sicht der LADG-Ombudsstelle zeigen sich hier „eindeutige Indizien für eine verbesserungswürdige Fehlerkultur bei der Polizei“.

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