Kroaten in Bosnien und Herzegowina: Zagrebs gefährliches Spiel
Die kroatische Regierung will sich für die Interessen ihrer Landsleute im Nachbarland einsetzen – und stellt dabei dessen Existenzrecht infrage.
Die Kroaten Bosnien und Herzegowinas hätten nicht die gleichen Rechte wie die anderen „konstitutiven Nationen“. Sie müssten um die Aufrechterhaltung ihrer Identität kämpfen und würden vom Wahlsystem benachteiligt.
Lautstark fordern die kroatische Regierungspartei HDZ und vor allem ihr Ableger in Bosnien und Herzegowina eine Revision des Wahlgesetzes. Das Verfassungsgericht hatte ihnen 2017 sogar recht gegeben, dieses Urteil steht jedoch der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofes in Straßburg entgegen.
Die HDZ fühlt sich benachteiligt, weil in der bosniakisch-kroatischen Föderation in Bosnien und Herzegowina alle Bürger, auch die Bosniaken, das kroatische Mitglied im dreiköpfigen Staatspräsidium mitwählen dürfen. Weil auf diese Weise der linksliberale Kroate Željko Komšić die kroatische Volksgruppe im Staatspräsidium vertreten darf, ging der Spitzenkandidat der nationalistischen Rechten Dragan Čović leer aus.
Forderungen nach „dritter Entität“
Das wiederum veranlasste die Regierung und die Präsidentin im Nachbarland Kroatien dazu, ihre diplomatische Offensive in der EU zu beginnen. Dazu gehört auch, die Existenz des Nachbarstaates Bosnien und Herzegowina in Frage zu stellen.
Immer unverhohlener fordern die konservativen bis rechtsradikalen Politiker in Kroatien und in Bosnien und Herzegowina den Aufbau einer „dritten Entität“. Neben der serbisch regierten Teilrepublik „Republika Srpska“ sollte die bosniakisch-kroatische Föderation territorial aufgeteilt werden: die kroatisch dominierten Gebiete sollten sich als Entität „Herceg-Bosna“ von der Föderation lösen.
Der Parastaat Herceg-Bosna hatte schon während des Krieges 1992 bis 1994 bestanden. Die damalige Führung unter dem ultrarechten „Präsidenten“ Mate Boban wollte wie Radovan Karadžić auf der serbischen Seite die territoriale Aufteilung Bosnien und Herzegowinas zwischen den beiden Nachbarn durchsetzen. Auch Kroaten begannen damals mit den Verbrechen der ethnischen Säuberungen, für die ihre gesamte Führungsriege in Den Haag zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurde.
Kroatische Rechte im Aufwind
Kroatien strebe genauso wie Serbien erneut nach einer territorialen Aufteilung ihres Staates, befürchten viele Menschen in Bosnien und Herzegowina. Laut des aus Sarajevo stammenden Schriftstellers, Regisseurs und Sozialdemokraten Gradimir Gojer, der wie der Politiker Željko Komšić der kroatischen Volksgruppe zugerechnet wird und sich selbst zum nichtnationalistischen Lager gehörig definiert, entwickelt sich die HDZ immer mehr zu einer rückwärtsgewandten rechtsradikalen Kraft. Diese versuche jetzt nicht nur die Verbrecher des letzten Krieges, sondern sogar die kroatischen Faschisten des II. Weltkriegs, die Ustaschen, zu rehabilitieren.
Die kroatische Rechte fühle sich im Aufwind, weil sie den Status als Mitgliedsstaat der EU dafür nutzen kann, die nationalistischen Kräfte in Bosnien und Herzegowina zu unterstützten. Und weil sie nun auch dafür mit Rückendeckung aus Ungarn und Polen rechnen könne.
„Ustaschisierung“ der Gesellschaft
Seit der erfolgreichen Fußball-Weltmeisterschaft sei es erlaubt, dass Kinder in Ustascha-Uniform den Ustascha-Gruß „Für die Heimat bereit“ öffentlich benutzten. „Der sportliche Erfolg wird für die Ustaschisierung der Gesellschaft genutzt,“ sagt Gojer. Die Jugend werde „zu Hass gegenüber anderen“ erzogen.
Bei den letzten Wahlen am 7. Oktober behielten die linken und nichtnationalistischen Parteien in den bosniakischen und ethnisch gemischten Gebieten die Oberhand. So wurde die antinationalistische Partei „Naša Stranka“ im engeren Stadtgebiet Sarajevos stärkste Partei.
Daher sei es für die kroatischen Nationalisten immerhin etwas schwieriger geworden, ihre auf Trennung der Bevölkerungsgruppen abzielende Politik auch durchzusetzen, hoffen diplomatische Stimmen aus Sarajevo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert