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Kritik nach CDU-Anfrage an NGOsScience for Zivilgesellschaft

Die Kritik am Angriff der Union auf NGOs reißt nicht ab. Eine Erhebung des Dezim-Instituts zeigt: Vor allem Ehrenamtliche ziehen sich bereits zurück.

„Laut gegen Rechts“ und „Omas gegen Rechts“ hatten mit 50 Organisationen zur Kundgebung in Bremen aufgerufen Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Berlin taz | Gleich zwei offene Briefe richten derzeit deutliche Kritik an die Union nach ihrer vom „tiefen Staat“ raunenden Anfrage mit 551 wenig neutralen Fragen zur politischen Neutralität von NGOs wie den Omas gegen Rechts oder Correctiv. Die Unionsfraktion bezog sich in der Anfrage explizit auf Initiativen, die gegen CDU-Chef Friedrich Merz protestierten. Dieser war bereit, einen Antrag zur Migration auch mit Stimmen der extrem rechten AfD durchzubringen, ein Tabubruch.

In einem von über 200 zivilgesellschaftlich engagierten Organisationen und Einzelpersonen unterzeichneten Brief machten sie darauf aufmerksam, dass sie „oftmals mit dem Rücken zur Wand“ für eine lebendige demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismus einträten. Engagement sollte von der voraussichtlichen Regierungspartei nicht delegitimiert oder unter Generalverdacht gestellt werden, sondern über eine „Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts“ unterstützt werden, forderte sie.

Breite Rückendeckung bekommen die Initiativen aus der Wissenschaft: Seit Dienstag haben sich mittlerweile über 2.000 Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aller möglichen Fächer „mit großer Besorgnis“ an die Chefs der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Merz und Alexander Dobrindt, gewandt.

Veröffentlicht ist der Brief beim Verfassungsblog, entsprechend verfassungsrechtlich sauber ist er durch argumentiert. Die Au­to­r*in­nen fordern, „die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft zu respektieren“, das „Neutralitätsgebot richtig auszulegen“, „keinen politischen Druck auf kritische Akteure auszuüben“ und ein Demokratiefördergesetz einzuführen. Dieses hatte schon die Ampel versprochen, aber nicht eingelöst.

Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen nennen es „im höchsten Maße beunruhigend“, dass die CDU-Anfrage das „Narrativ eines ‚tiefen Staates‘“ aufgreife. Damit suggeriere die Union, dass zivilgesellschaftliche Organisationen in unzulässiger Weise die politische Willensbildung beeinflussten – das Gegenteil sei jedoch der Fall.

Das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach betont, dass Aufgabe des Staates sei, eine „freie und offene Meinungs- und Willensbildung“ zu gewährleisten. „Die Neutralitätspflicht des Staates bezieht sich auf das Handeln der Exekutive, nicht aber auf die Meinungsäußerungen und die politische Arbeit unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteure“. Dass sich politische Neutralität auch auf NGOs beziehe, sei ein Missverständnis.

Einschüchterung und Hassrede sind Alltag

Die Auslegung des Neutralitätsgebots der Unions-Anfrage kenne man bisher nur „von rechtsextremen Akteuren wie der AfD“, die eine verzerrte Darstellung von Neutralität dazu nutzten, um die wehrhafte Demokratie zu delegitimieren und Lehrer*innen, Beamt*innen, Verwaltungen einzuschüchtern. Sollte das nun auch im demokratischen Spektrum Schule machen, „sähen wir die Grundfesten demokratischer Kultur und Meinungsäußerung in Gefahr“. Stichwörter: Trump, Orbán, Putin.

Wie dringend eine Stärkung der Zivilgesellschaft ist, legt eine am Mittwoch veröffentlichte Erhebung des Dezim-Instituts nahe. Sie belegt, dass NGOs zunehmend unter Druck stehen: Es gebe teilweise täglich Angriffe und Bedrohungen, zeigt die anonyme Onlinebefragung von Mit­ar­bei­te­r*in­nen: Für ein Drittel der Befragten gehöre „Einschüchterung, Hassrede und gezielte Diskreditierung“ zum Alltag.

Attacken kämen digital, aber auch als „Sachbeschädigungen und körperliche Angriffe“. 42 Prozent der NGOs berichteten davon, dass sich Ehrenamtliche wegen „der anhaltenden Bedrohungslage“ zurückzögen. Bei Hauptamtlichen liege dieser Teil bei 24 Prozent.

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5 Kommentare

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  • "... 42 Prozent der NGOs berichteten davon, dass sich Ehrenamtliche wegen „der anhaltenden Bedrohungslage“ zurückzögen. " Das sind ja eher Reaktionen auf gewalttätige körperliche Bedrohungen der jüngeren Vergangenheit und noch nicht die auf die Übergriffigkeit der Union. Bei der Union und insbesondere der CSU braucht man kein Angst vor Unterwanderung durch NGOs haben, die sind ja selbst in den Lobbyisten und die CSU hat sicher wieder "tolle" Minister am Start.

  • Die Anfrage war - vom Timing her! - eine weitere Ungeschicklichkeit der CDU Führung. Wenn man die SPD in eine Koalition zwingen will muss man es ihr leichter machen, nicht schwerer. Und die SPD besteht nun mal auch aus dem Linken Spektrum um Esken. Von daher war diese Anfrage, und auch die eine oder andere Aktion in der Woche nach der Wahl, erstaunlich ungeschickt.

    Sachlich bzw. menschlich ist der Konter der CDU gegen die Gruppen, die ihr direkt vor der Wahl schaden wollten, natürlich absolut nachvollziehbar.

    Ich gebe aber zu, ich habe geglaubt, ich habe gehofft, Merz wäre schlauer und würde sich was dabei denken, wenn er handelt. Das tut er wohl auch, nur wohl nicht vom Ende her. ;)

    Noch bin ich froh, dass es sich ausgescholzt hat.

  • Das sich die Menschen aus ihrem demokratischen Engagement zurückziehen, bei solchen Angriffen ist gut nachvollziehbar. Darüber habe ich bereits vor mehr als 10 Jahren nachgedacht. Hab es aber nicht vollzogen, aber meine Bereitschaft für Ehrenamtliche Tätigkeiten stark zurückgefahren. Warum soll ich mich auch von den gewählten demokratischen Bürgervertretern, für meine kostenfreie demokratische ehrenamtliche Arbeit noch kriminalisieren lassen, wenn ich eh schon von Rechts neben der CDSU massiv bedroht werde. Und nur weil wenigen der politischen Vertreter meine politische Meinung nicht passt, nicht en voge genug ist? Nicht mit mir. Mit der "kleinen" Anfrage der CDSU hat diese meine rote Linie endgültig überschritten. Daher höre ich bis Ende diese Jahres auf. Ich engagiere mich seit Jahren ehrenamtlich, zahle seit Jahrzehnten nicht gerade wenig Steuern und wurde immer wiedermal von einigen Politikern aus deren persönlichen Gründen kriminalisiert. Das Fass ist nicht nur voll, es ist übergelaufen. Ich kümmere mich jetzt um meine zukünftige Sicherheit selbst. Von den politischen Vertretern erwarte ich nichts mehr.

  • Merz Abstimmung mit der AfD war falsch, eine 'mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Aktion' an deren Ergebnis freilich nur ein Nicht-Ergebnis stand...



    Wenn er Größe hätte, würde er diesen Fehler zugeben.



    Die selbe Einsicht darf man aber auch von einigen der 'Initiativen' einfordern.



    Merz ist kein Nazi und die gesamte CDU auf eine Stufe mit der AfD zu stellen, wie in vielen Protesten verlautbart, ist auch über jegliches Ziel hinausgeschossen.



    Etwas mehr Demut und Diskussion mit ruhigem Blut würde beiden Seiten in dieser Debatte sehr gut zu Gesicht stehen, denn - und das ist fraglos - von diesem Streit um die Deutungshoheit profitieren wieder einmal nur die Extremen Kräfte und Ansichten in unserem Land - und DAS können wir uns in der gegenwärtigen Situation überhaupt nicht leisten...

    • @Farang:

      Unehrliche zur Wahl stehende, produzieren unehrliche Wähler - datt is die einige, traurige Konsequenz.



      Alles kein Gewinn für unser Land, unsere Gesellschaft.