Kritik nach CDU-Anfrage an NGOs: Science for Zivilgesellschaft
Die Kritik am Angriff der Union auf NGOs reißt nicht ab. Eine Erhebung des Dezim-Instituts zeigt: Vor allem Ehrenamtliche ziehen sich bereits zurück.

In einem von über 200 zivilgesellschaftlich engagierten Organisationen und Einzelpersonen unterzeichneten Brief machten sie darauf aufmerksam, dass sie „oftmals mit dem Rücken zur Wand“ für eine lebendige demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismus einträten. Engagement sollte von der voraussichtlichen Regierungspartei nicht delegitimiert oder unter Generalverdacht gestellt werden, sondern über eine „Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts“ unterstützt werden, forderte sie.
Breite Rückendeckung bekommen die Initiativen aus der Wissenschaft: Seit Dienstag haben sich mittlerweile über 2.000 Wissenschaftler*innen aller möglichen Fächer „mit großer Besorgnis“ an die Chefs der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Merz und Alexander Dobrindt, gewandt.
Veröffentlicht ist der Brief beim Verfassungsblog, entsprechend verfassungsrechtlich sauber ist er durch argumentiert. Die Autor*innen fordern, „die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft zu respektieren“, das „Neutralitätsgebot richtig auszulegen“, „keinen politischen Druck auf kritische Akteure auszuüben“ und ein Demokratiefördergesetz einzuführen. Dieses hatte schon die Ampel versprochen, aber nicht eingelöst.
Die Wissenschaftler*innen nennen es „im höchsten Maße beunruhigend“, dass die CDU-Anfrage das „Narrativ eines ‚tiefen Staates‘“ aufgreife. Damit suggeriere die Union, dass zivilgesellschaftliche Organisationen in unzulässiger Weise die politische Willensbildung beeinflussten – das Gegenteil sei jedoch der Fall.
Das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach betont, dass Aufgabe des Staates sei, eine „freie und offene Meinungs- und Willensbildung“ zu gewährleisten. „Die Neutralitätspflicht des Staates bezieht sich auf das Handeln der Exekutive, nicht aber auf die Meinungsäußerungen und die politische Arbeit unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteure“. Dass sich politische Neutralität auch auf NGOs beziehe, sei ein Missverständnis.
Einschüchterung und Hassrede sind Alltag
Die Auslegung des Neutralitätsgebots der Unions-Anfrage kenne man bisher nur „von rechtsextremen Akteuren wie der AfD“, die eine verzerrte Darstellung von Neutralität dazu nutzten, um die wehrhafte Demokratie zu delegitimieren und Lehrer*innen, Beamt*innen, Verwaltungen einzuschüchtern. Sollte das nun auch im demokratischen Spektrum Schule machen, „sähen wir die Grundfesten demokratischer Kultur und Meinungsäußerung in Gefahr“. Stichwörter: Trump, Orbán, Putin.
Wie dringend eine Stärkung der Zivilgesellschaft ist, legt eine am Mittwoch veröffentlichte Erhebung des Dezim-Instituts nahe. Sie belegt, dass NGOs zunehmend unter Druck stehen: Es gebe teilweise täglich Angriffe und Bedrohungen, zeigt die anonyme Onlinebefragung von Mitarbeiter*innen: Für ein Drittel der Befragten gehöre „Einschüchterung, Hassrede und gezielte Diskreditierung“ zum Alltag.
Attacken kämen digital, aber auch als „Sachbeschädigungen und körperliche Angriffe“. 42 Prozent der NGOs berichteten davon, dass sich Ehrenamtliche wegen „der anhaltenden Bedrohungslage“ zurückzögen. Bei Hauptamtlichen liege dieser Teil bei 24 Prozent.
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