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Krise der LinksparteiNächster Schritt Richtung Spaltung

Bei der Neuwahl des Fraktionsvorstands Anfang September will Amira Mohamed Ali nicht erneut antreten. Einer der Gründe ist Sahra Wagenknecht.

Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali gibt ihr Amt ab Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Die Ankündigung von Amira Mohamed Ali, Anfang September nicht wieder für den Vorsitz der Linksfraktion im Bundestag zu kandidieren, ist innerhalb ihrer Partei auf ein geteiltes Echo gestoßen. Die einen bedauern ihren Entschluss, die anderen begrüßen ihn. Die meisten halten ihn für konsequent – jedoch aus unterschiedlichen Motiven. Die Spaltung der Linken rückt näher.

Als Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht steht Mohamed Ali seit 2019 gemeinsam mit Dietmar Bartsch der Linksfraktion vor. Am Sonntagabend veröffentlichte sie nun eine eineinhalb Seiten lange Erklärung, das künftig nicht mehr zu wollen. Als Begründung gab sie an, es sei ihr „mittlerweile unmöglich geworden“, den Kurs der Linkspartei in der Öffentlichkeit zu stützen und zu vertreten.

„In der Parteiführung und unter einer Mehrheit von Funktionären hat sich ein Kurs durchgesetzt, der meinen politischen Überzeugungen an vielen Stellen deutlich widerspricht und der die Linke zunehmend in die politische Bedeutungslosigkeit treibt“, so Mohamed Ali. Als Beispiel nennt sie, dass „bewusst kein klares und grundsätzliches Nein zum falschen Kurs der Ampelkoalition formuliert“ werde. Das gelte insbesondere für deren Klimapolitik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährde.

Den letzten Ausschlag für ihre Entscheidung habe der einstimmige Beschluss des Parteivorstands Mitte Juni gegeben. Darin heißt es, die Zukunft der Linken sei „eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht“. In dem Beschluss, der auch die Zustimmung von Mohamed Alis niedersächsischem Landesverband erhalten hat, steht, es sei „ein Gebot des politischen Anstandes und der Fairness gegenüber den Mitgliedern unserer Partei, wenn diejenigen, die sich am Projekt einer konkurrierten Partei beteiligen, konsequent sind und ihre Mandate zurückgeben“.

Mohamed Ali hält Wagenknecht die Treue

Mohamed Ali hält das für völlig inakzeptabel. In ihrer Erklärung vom Sonntag schreibt sie, dies zeige „in bis dahin noch nicht gekannter Deutlichkeit den Wunsch und das Ziel, einen Teil der Mitgliedschaft aus der Partei zu drängen“. Außerdem seien Abgeordnete „ausschließlich ihrem Gewissen verpflichtet“.

Die 43-jährige Mohamed Ali, die seit 2017 dem Bundestag angehört, gilt als Vertraute und eine Art Statthalterin von Wagenknecht. Wie ergeben sie ihr gegenüber ist, zeigt sich bisweilen an kleinen Dingen. So verzichtete die gebürtige Hamburgerin nach ihrem Amtsantritt darauf, das ihr zustehende Vorsitzendenbüro von ihrer Vorgängerin zu übernehmen. Keine Kleinigkeit ist es indes, dass sich Mohamed Ali – im Gegensatz zu Bartsch – bislang nicht von Wagenknechts Parteineugründungsplänen distanziert hat. Auch in ihrer Erklärung vom Sonntag hüllt sie sich jedoch dazu in Schweigen.

Das könnte daran liegen, dass die gelernte Rechtsanwältin zu jenen sieben bis elf Abgeordneten zählt, von denen es aus der insgesamt 39-köpfigen Fraktion heißt, dass sie sich möglicherweise an einem solchen „linkskonservativen“ Abspaltungsprojekt beteiligen würden. Dies würde das Ende der Linksfraktion bedeuten. Wagenknecht hat angekündigt, sich bis zum Ende des Jahres entscheiden zu wollen – wobei es sich für sie dabei nach eigener Aussage nicht mehr um eine politische, sondern nur noch um eine rein organisatorische Frage handelt. Gebrochen mit der Linkspartei haben sie und ihre Verbündeten schon länger.

Mohamed Alis Verzichtserklärung kann als Beleg des Scheiterns der umstrittenen Bündnispolitik des „Reformers“ Dietmar Bartsch gesehen werden. Denn trotz großer ideologischer Unterschiede stützt Bartsch bislang seine Macht in der Fraktion auf eine Kooperation mit dem Wagenknecht-Lager. Kri­ti­ke­r:in­nen sprechen von einer „Beutegemeinschaft“. Dass die blasse und rhetorisch limitierte Mohamed Ali überhaupt an die Fraktionsspitze rücken konnte, gilt ihnen dafür als ein Beleg.

Manche Abgeordnete schmieden öffentlich Pläne

Nun wird sich Bartsch umorientieren müssen. Mohamed Alis Rückzugsankündigung nutzte das Wagenknecht-Lager umgehend zu einer Abrechnung mit ihrer Nochpartei. Der rheinland-pfälzische Abgeordnete Alexander Ulrich warf der Parteiführung vor, sie schaffe es „nicht nur, die Partei zu zerlegen, sondern nun auch die Bundestagsfraktion“. Die Linke verkomme „leider zu einer Sekte“, so Ulrich. „Wir hoffen auf Sahra Wagenknecht.“

Bereits im Juni hatte sich Ulrich mit seinem früheren Fraktionskollegen Diether Dehm öffentlich über eine mögliche Konkurrenzkandidatur bei der Europawahl im Juni 2024 unterhalten. Die wäre „schon ein wichtiger Test für eine solche Formation“, sagte er in Dehms Internet-Talkshow „Moats auf Deutsch“. Wenn es so komme, könne die Bundestagsfraktion der Linkspartei natürlich nicht fortbestehen. „Aber diejenigen, die möglicherweise zum Sahra-Wagenknecht-Flügel gehören, wir wären ja weiterhin im Bundestag“, sagte Ulrich. Bei einem Wahlerfolg kämen Parla­mentarier:innen auf Europaebene hinzu. Da bestünden dann schon Möglichkeiten, „diese Zeitspanne zwischen Europawahl und Bundestagswahl zu überbrücken“.

Für den Schritt Mohamed Alis habe er „größtes Verständnis“, schrieb der Ex-Parteivorsitzende Klaus Ernst im Onlinedienst Twitter, der inzwischen in „X“ umbenannt wurde. Ihr Rückzug werde „den Niedergang der Linken wohl beschleunigen“, so Ernst, der ebenfalls als Wagenknecht-Jünger gilt. Seine Fraktionskollegin Jessica Tatti twitterte: „Wer den eigenen Genossen permanent die Tür zeigt, braucht sich nicht wundern, wenn sie irgendwann durchgehen.“

Demgegenüber bezeichnete die brandenburgische Abgeordnete Anke Domscheit-Berg den Kandidaturverzicht Mohamed Alis auf X als „richtige und nötige Entscheidung“. Denn nach ihrer Ansicht sollte die Führungsspitze der Linksfraktion „selbstverständlich die Politik der Bundespartei vertreten“. Bundesvorstandsmitglied Janis Ehling schrieb auf Facebook: „Zumindest hoffe ich, dass mit Amiras Rückzug nun der Weg frei wird für eine bessere Verständigung zwischen Parteivorstand und Fraktion.“

Riexinger sieht eine Chance

Die bayrische Abgeordnete Susanne Ferschl schrieb am Sonntagabend auf X: „Aus meiner festen Überzeugung hat nur eine geeinte Linke die Kraft, dem neoliberalen Mainstream und Rechtsruck entgegenzustehen.“ Leider sei dies „nach heute nochmals unwahrscheinlicher geworden“. Sie dankte Mohamed Ali für ihre Arbeit.

Als „folgerichtig“ sieht der frühere Parteichef Bernd Riexinger den Rückzug Mohamed Alis. Sie habe „offensichtlich eingesehen, dass sie als Fraktionsvorsitzende in wichtigen Punkten nicht in Widerspruch gegen ihre eigene Partei operieren kann“, sagte er der taz. Das sei bisher „ja gerade ein Teil unserer Schwäche und das Dilemma der bestehenden Allianz in der Fraktion“. Die Partei habe ein klares Programm, wie Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammengeführt werden können. Aufgabe der Fraktion sei es, das wie auch das Wahlprogramm in parlamentarische Initiativen umzusetzen.

Außerdem müsse es insbesondere für eine Fraktionsvorsitzende „klar sein, dass Initiativen für eine Parteigründung aus der Fraktion heraus eine klare Absage erteilt wird“, so Riexinger. Denn gegen eine Spaltung der Partei einzutreten, habe „mit Hinausdrängen nichts zu tun, sondern müsste für alle Man­dats­trä­ge­r:in­nen eine Selbstverständlichkeit sein“. Offenkundig sehe Mohamed Ali das leider anders. „Jetzt hat die Fraktion die Chance, eine Führung zu wählen, die mit ihrer Partei kooperiert“, sagte er.

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20 Kommentare

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  • Frau Ali gehörte zu denen bei der Linken, die sich öffentlich sehr gut präsentierten, und zwar nicht, weil sie Frau Wagenknecht nicht hassen, sondern weil sie Profil zeigen. Meine Meinung.

  • Hochachtung vor dieser Entscheidung!



    Prima! Hoffe sehr auf eine politische Zukunft.

  • Plötzlich ist für die Wagenknechte der



    "Wirtschaftsstandort" Deutschland wichtig, wobei die Wirschaft doch sonst ihr Hauptfeind ist. Die Querfront lässt grüßen...

    • @Rinaldo:

      Nein. Der Wirtschaftsstandort ist essentiell für Arbeitsplätze, hier sollte doch die Linke Interesse zeigen, dass dieser erhalten bleibt.

  • Die Überschrift ist sachlich falsch! (" will Amira Mohamed Ali nicht erneut antreten. Einer der Gründe ist Sahra Wagenknecht.") Nein, nicht Wagenknecht ist "einer der Gründe", sondern "ganz im Gegenteil ist der Umgang mit Wagenknecht ein Grund! Sie bedauert, dass Wagenknecht und andere aus der Partei von Wissler und Co aus der Partei gedrängt werden und so bestimmte Positionen keinen Platz mehr haben.

    • @Josefine.K.:

      Sie beklagt sich, dass Klimawandelleugner, Millionärinnen mit Nerzkragen und die Steigbügelhalter der Großindustriellen keinen Platz mehr in einer linken Partei haben.

  • Die Verkehrung von Ursache und Reaktion gibt in der Causa Wagenknecht und Co wirklich zu denken. Es war ja sie, die mit ihrer Aufsteh-Bewegung die Partei schon lange begonnen hat, zu bekämpfen, ihre anhaltenden Drohungen, eine Konkurrenzpartei zu gründen - keine andere Partei würde das dulden dürfen, sie profitiert ja weiterhin von ihrer Mitgliedschaft und ihrem Mandat - unanständig, unfair, unsolidarisch; nur leider wird man mit solchen Eskapaden medial berühmt, je mehr Eskapade, je mehr Aufmerksamkeit..., und schön langsam drohen mit einer Neugründung...! Die Linke sollte Ethik-Seminare anbieten!

  • Leider wird die Spaltung immer wahrscheinlicher.

    Wenn die Fraktion im Bundestag zur Gruppe schrumpft, werden viele Leute vom Fach aus der zweiten Reihe, die im Hintergrund gute und wertvolle Dinge tun,



    Ihren Job los und sich in alle Winde zerstreuen.

    Dann wird das Projekt einer real existierenden Linken Partei seinem Ende zusteuern

    Ob die Liste Dr Wagenknecht dauerhaft Bestand hat und aufgrund ihrer noch größeren Heterogenität auch bei anfänglich hoher Popularität von Bestand sein kann, ist anzuzweifeln.

    Trotz aller Rhetorik "gegen Rechts" überbieten sich die Ampel Parteien und die Union Forderungen der AFD zu übernehmen...

    Der schmaler werdende Meinungskorridor im



    L ande wirkt wie ein Förderprogramm für die AFD.

    Migration und die geschwächte öffentlicher Infrastruktur

    Der Boykott gegen Russland



    Der CO2 Umweltschutz

    Ohne glaubwürdige Soziale Abfederung für die ca 25 % Armen und sehr armen Menschen im Lande

    Beschädigt das miteinander unter den Menschen.

    Angesichts der zunehmenden Armut , den wachsenden Problemen im Land, den fehlenden Konzepten...



    ...muss man sich wirklich Sorgen, darüber machen, ob der gesellschaftliche Konsens und der Wohlstand nicht dramatisch ramponiert wird.

  • > "Das gelte insbesondere für deren Klimapolitik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährde."

    Mit der Aussage kann die Linke nur froh sein, dass sie raus ist, denn damit macht sie die Linke für alle unwählbar, die verstehen, in welcher Situation Menschen gerade weltweit sind.

  • "die gelernte Rechtsanwältin".

    Rechtsanwalt ist eine geschützte Berufsbezeichnung, mit einem Beruf der keiner Lehre zugrunde liegt. Es gibt - zumindest in Deutschland - keine "gelernten Rechtsanwälte". Im Übrigen gibt es auch keine gelernten Journalisten, jeder darf sich als Journalist bezeichnen.

    • @DiMa:

      Ich vermute, dass hier klargestellt werden soll, dass sie den Rechtsanwaltsberuf gelernt hat, ihn aber aktuell nicht ausübt.

      • Pascal Beucker , Autor des Artikels, Inlandsredakteur
        @Arne Babenhauserheide:

        Ja, genauso ist es gemeint.

  • Wie soll die Linke geschlossen sein wenn z.B. Carola Rackete an den offiziellen Gremien vorbei als Kandidatin für die Europawahl aufgestellt wird? Und bitte nicht falsch verstehen, ich habe überhaupt nix gegen Frau Rackete oder ihre Kanidatur. Es ist aber eine extrem polarisierente Entscheidung, die vorher hätte diskutiert werden müssen.

    • Pascal Beucker , Autor des Artikels, Inlandsredakteur
      @Müller Christian:

      Carola Rackete ist noch nicht aufgestellt. Wie auch bei anderen Parteien üblich, haben die Vorsitzenden der Linkspartei einen Vorschlag gemacht, über den aber erst noch auf dem für Mitte November geplanten Bundesparteitag abgestimmt werden muss. Dort dürfte es sicherlich eine Diskussion darüber geben und nicht unwahrscheinlich sind eine oder mehrere Gegenkandidaturen, gegen die sich Rackete wird durchsetzen müssen, um dann tatsächlich aufgestellt zu sein.

      • @Pascal Beucker:

        Vielen Dank für die Info, das waren Informationen die aus meiner Quelle (ein Artikel einer anderen Zeitung) so nicht hervor gegangen sind.

  • Wagenknecht (Putinfreundin), die zweite Frau aus der DDR, die nur Unheil für Deutschland bedeutet. Dass Merkel von den Medien nur sehr verhalten, wenn nicht sogar nicht konstruktiv kritisiert wurde, rächt sich jetzt auf dramatische Weise. Der Westen und insbesondere Deutschland haben mit hunderten von Milliarden völlig betriebsblind Putins marode Spezialoperationsmilitärmaschinerie hochgerüstet. Mögen sich die Extreme in Deutschland zerfleischen und die Mitte an Format gewinnen.

    • @Sarg Kuss Möder:

      Wagenknecht ist keine "Putinfreundin" und bedeutet auch kein "Unheil für Deutschland".

      Im besten Falle schafft sie es, mit einer eigenen Partei der AfD Wähler zu entziehen, was ja durchaus positiv zu werten wäre.

      Die größte Hürde für eine Parteineugründung dürfte die Besetzung der dafür erforderlichen Gremien und Posten sein. Man darf gespannt sein, ob ihr das gelingt.

      • @Elf:

        Das ist richtig.



        Vor allem, wenn die neue Partei bundesweit antreten will, braucht sie auch bundesweit ausreichend kompetentes Personal, in den Arbeitsgremien.

  • Schade. Eine starke, geeinte und geschlossen auftretende Linke mit klaren Zielen wäre gerade jetzt bitter nötig.

    • @dator:

      Die war schon immer nötig, nicht erst jetzt. Die gab es aber noch nie,