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Krieg in der UkraineIm Jahr eins der Zeitenwende

Tanja Tricarico
Kommentar von Tanja Tricarico

Die Welt kann im Kampf gegen Russland nicht einlenken. Auf der Sicherheitskonferenz geht es darum, möglichst wenig Fehler zu machen.

Der Angriff auf die Ukraine war eine Zäsur, von der es kein Zurück mehr gibt Foto: Alex Chan Tsz Yuk/Zuma Press/imago

I n diesen Tagen jährt sich der brutale russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Damit sind rund 12 Monate vergangen, in denen die Welt zurückgefallen ist in sich bekämpfende Blöcke, weg von der vermeintlichen Gewissheit, dass es wenigstens in Europa eine gesicherte Friedensordnung gäbe. Die Welt ist eine andere und es gibt kein glaubwürdiges Szenario derzeit, das auch nur ansatzweise ein „Zurück“ in friedvollere Zeiten wagt.

Wenn in diesen Tagen die Münchener Sicherheitskonferenz tagt, so wird das allbeherrschende Thema der Krieg sein, das Jahr eins der Zeitenwende. Galt das Forum einst als Treffpunkt für den Austausch unterschiedlichster Positionen, so haben die Organisatoren der Konferenz allein durch die Teil­neh­me­r:in­nen­lis­te unmissverständlich klar gemacht, auf welcher Seite sie stehen. Der Aggressor Russland ist nicht eingeladen – im vergangenen Jahr, wenige Tage vor Kriegsbeginn, hatte Russlands Außenminister Lawrow noch von sich aus abgesagt, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Geworben wird um Schwellenländer wie Indien oder Brasilien, der Globale Süden spielt eine tragende Rolle. Wohlweislich ist auch eine große Delegation aus China eingeladen. Auch hier will man die Türen nicht schließen, sondern Wege ausloten.

Wahr ist aber auch, dass die vergangenen Monate geprägt waren von der bitteren Erkenntnis, dass Dialog, Diplomatie, wirtschaftliche Beziehungen oder Sanktionen weder einen Krieg verhindern noch beenden. Um die Ukraine auch nur annähernd in eine Verteidigungsposition gegenüber Russland zu bringen, musste ihr Militär aufgerüstet werden und wird dies auch noch in naher Zukunft von den westlichen Verbündeten. Es geht um Panzertypen, Kurz- oder Langstreckenwaffen, Luftabwehrsysteme, Kampfjets. Ist die Sicherheitskonferenz in Wahrheit nicht eine Kriegskonferenz? Viele Friedensbewegte und An­hän­ge­r:in­nen eines vergangenen Pazifismus würden dies sicher so unterschreiben.

Doch einfache Antworten gibt es nicht. Es gilt eben nicht oder nicht mehr die Stärke einer vereinbarten völkerrechtlichen Basis. Sondern schlicht das Recht des Stärkeren. 2022 fand die Siko wenige Tage vor dem russischen Großangriff auf die Ukraine statt. Heute mutet es naiv und merkwürdig an, dass westliche Staaten über Jahre hinweg die Kriegsgefahr ignoriert oder mindestens unterschätzt haben. Und das, obwohl Tausende russische Soldaten im Grenzgebiet zur Ukraine sichtbar stationiert wurden, die brutalen Worte von Russlands Präsident Putin eben nicht verpufften.

Jetzt gilt Solidarität

Jetzt gilt also Solidarität mit dem Land, das angegriffen wurde, mit der Bevölkerung, die unterjocht, wenn nicht „ausgelöscht“ werden soll. Solidarität heißt auch, der Ukraine abseits von Aufrüstung die Chance zu geben, dem Aggressor die Stirn zu bieten. Milliarden werden mitten im Kriegsgeschehen in den Wiederaufbau vor Ort gesteckt, es wird über wirtschaftliche Stabilisierung nachgedacht, investiert. Auch an dieser Front wird aufgerüstet, was von Waf­fen­geg­ne­r:in­nen oft verkannt, unterschätzt oder verschwiegen wird. Natürlich ist auch der beschleunigte EU-Beitrittsprozess ein eindeutiges politisches Signal an Russland. Unausgesprochen ist noch, wie die tiefe Wunde zwischen den beiden Kriegsnationen jemals geheilt werden kann.

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist eigentlich ein Format zu persönlichem Gespräch zwischen Regierenden und Expert:innen, sie bietet die Chance zum Nachdenken über langfristige Sicherheitsperspektiven. Genau das ist in Kriegszeiten kaum möglich – wer öffentlich und ehrlich seine Optionen, Ziele und Grenzen diskutiert, schwächt die eigene Position.

Offene Diskussion unmöglich

Natürlich wird im Westen hinter verschlossenen Türen längst darüber nachgedacht, zu welchen Zugeständnissen die Ukraine womöglich irgendwann bereit sein muss und wie Russland langfristig davon abgehalten werden kann, erneut Staaten anzugreifen. Sicherheitsgarantien und ihre militärische Absicherung, neue Bündnisse mit und ohne Nato-Mitgliedschaft, die Verlockung der Aufhebung von Sanktionen – all diese und weitere Elemente sind in der Abwägung. Diese Diskussion über Ziele und Instrumente aber offen zu führen würde zunächst nur die Position der Ukraine schwächen.

Naiv wäre zu denken, die Blockbildung in der Welt lasse sich leicht wieder zurückdrehen. Ebenso naiv wäre es zu behaupten, dass die Welt im Kampf gegen den russischen Aggressor einlenken könne. Zu viel steht auf dem Spiel und zu groß ist die Sorge, dass Putins Vorgehen anderen Diktatoren Vorbild sein könnte. Langfristig darf weder eine Blockhaltung noch der Nachschub an Kriegsgerät den Weg für Dialog versperren. Wie der Krieg um die Ukraine enden wird, wird entscheidend die Sicherheitsarchitektur der Welt prägen. Deshalb gilt es, jetzt möglichst wenige Fehler zu machen.

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Tanja Tricarico
wochentaz
Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Leitet derzeit das Politik-Team der wochentaz. Privat im Einsatz für www.geschichte-hat-zukunft.org
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10 Kommentare

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  • 👍

  • Ziviler Aufbau wird von WaffengegnerInnen verschwiegen? Friedensbewegte können Solidarität durchaus buchstabieren.



    Dass irgendwer gegen Lieferung von Hilfsgütern ist, oder sie verschweigen will, ist wohl für Alle eine



    " Neuigkeit".



    "Vergangener Pazifismus", ich glaube eher er kommt zurück. Und ja, es handelt sich nicht um eine "Spezialoperation"( russische Propaganda), auch nicht um " Sicherheitsfragen"(Münchner Sprech), sondern um Krieg.



    Krieg, mit Blut, Tod, abgetrennten Körperteilen, Angst, Dreck, Vernichtung, Zerstörung, Verrat, Verzweiflung, Kälte, Hunger, Durst, Undsoweiter.



    Es geht nicht nur um Waffen, sondern Mord.

    • @Philippo1000:

      Tja, und was tun wir nun dagen, dass Russland diese Schreklichkeit in die Ukraine exportiert und auch schon angekündigt hat, das auch im Baltikum tun zu wollen?

  • Ein Text, der ohne Differenzierung auskommt, z. B. im Hinblick auf die Intervention von Jürgen Habermas, der in einem Aufsatz für Verhandlungen plädiert und die Verantwortung der die Ukraine unterstützenden Länder anmahnt und kritisiert, dass deren Kriegsziel nicht klar sei.



    Die taz-Autorin ist es nicht wert zu erwähnen, dass ein amerikanischer General von 200.000 Opfern des Krieges auf beiden Seiten spricht. Habermas zitiert eine Reportage aus dem Krieg, um dessen Grausamkeiten zu verdeutlichen.

    "Soldaten, die sich an die Kehle gehen, Berge von Toten und Verwundeten, die Trümmer von Wohnhäusern, Kliniken und Schulen, also die Auslöschung zivilen Lebens - darin spiegelt sich der destruktive Kern des Krieges, die die Aussage unserer Außenministerin, dass wir mit Waffen Leben retten, in ein anderes Licht rückt".

    Zitat Ende

    „Die Welt kann gegen Russland nicht einlenken!“, ist Kriegsrhetorik, weil er von der Unmöglichkeit von Kommunikation und Kompromissen zwischen der Ukraine mit Russland ausgeht. Hier haben die Unterstützer der Ukraine eine Verantwortung.



    Gelingt es erst einmal, den Gesprächsfaden aufzunehmen, ist viel gewonnen.

    China hat eine Friedensinitiative angekündigt. Baerbock begrüßt diese Ankündigung. Zeit, Maximalforderungen auf beiden Seiten abzuschwächen, um in Verhandlungen einen Kompromiss zu suchen. Nach einem Einfrieren des Konflikts mit Sicherheitsgarantien für beide Seiten ist genug Zeit, ungeklärte Fragen zu klären.

    • @Lindenberg:

      Sie sprechen von „Kompromissen“.



      Aus meiner Sicht kann es schon deswegen keinen Kompromiss geben, weil bei Kompromissen immer der einen Seite etwas zugestanden und dafür auf etwas anderes Seite auf etwas verzichtet wird. Die Ukraine kann von Russland nichts erhalten, soll aber auf etwas verzichten. Wenn darauf eingegangen wird, ist es nur eine Frage der Zeit, wann Russland den nächsten „Kompromiss“ anstrebt.

    • @Lindenberg:

      Die Maximalforderung des Westens müsste eigentlich heißen Russland zieht sich zurück, entmilitarisiert sich, gibt seine Atomwaffen ab, gibt sein Veto Recht im UN Sicherheitsrat ab, liefert alle Kriegsverbrecher aus und zahlt Reparationen. Das Russland keinen cm² der Ukraine kriegt ist eine Minimalforderung.

    • @Lindenberg:

      Ein interessanter Zusatz, danke!

    • @Lindenberg:

      Im russischen Fernsehen wird mit Billigung des Kremls beinahe täglich über Gewalt gegen alle und Furcht vor Russland fantasiert. Was da über die Ukraine gesagt wird braucht glaube ich auch nicht wiederholt zu werden.

      Da gibt es nichts mehr zu differenzieren. Kriegsziel ist die Abnutzung aller russischen Kräfte ohne eine schnelle Eskalation in der Ukraine oder über die Ukraine hinaus. Die Ukrainer wissen das und sind darum leicht frustriert. Sie würden gern schnell und hart zuschlagen, bekommen dafür aber nicht genug und nicht die richtigen Waffen geliefert.

      • @0ctan:

        Bei der Propaganda des russischen Fernsehens gibt es nichts zu differenzieren. Aber es ist Propaganda und die Hoffnung ist, dass die Kremlelite nicht ebenso durchgedreht ist, wie die davon abhängige TV-Propaganda.



        Dass hier von Hoffung gesprochen werden muss, zeigt, wie dünn das Eis, auf dem sich alle Beteiligten bewegen, möglicherweise ist.

        Der Hebel in Bezug auf Vernunft bei Russland liegt möglicherweise bei China und den BRICS-Staaten, die sich bisher bedeckt halten und nicht eindeutig in Bezug auf die Beendigung des Krieges positionieren.



        Scholz hat hier schon erste Schritte unternommen, was sehr gut ist.

        China will einen Friedensvorschlag machen, der vermutlich auf eine Beteiligung der UN hinausläuft.

        Zypern wurde nach dem Überfall der Türkei in einen türkischen und einen griechischen Teil geteilt, was kein Vorbild sein soll, aber zeigt, dass es einen ähnlichen Konflikt gab, bei dem es gelang, den Konflikt einzufrieren aber leider nicht zu lösen.

        "Da gibt es nichts mehr zu differenzieren", hieße möglicherweise, in einem Stellungskrieg über Jahre so weiterzumachen.



        Kann man machen, aber das hätte Hunderttausende tote Soldaten und Zivilisten auf beiden Seiten zur Folge.

        Über diese Konsequenz wird nicht gern gesprochen, sollte es aber.

      • 3G
        31841 (Profil gelöscht)
        @0ctan:

        Es werde ein langer Krieg werden, vernimmt man nun unisono aus München, was vorher schon geraunt wurde. Warum?



        "Kriegsziel ist die Abnutzung aller russischen Kräfte ohne eine schnelle Eskalation in der Ukraine oder über die Ukraine hinaus."