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Krieg gegen die UkraineWorum kämpft man eigentlich?

Um was geht es beim Ukrainekrieg? Um Territorium, Einfluss, Bodenschätze – oder um Demokratie, Werte, Lebensweisen? Es ist ein hybrider Krieg.

Die Überreste eines Panzers liegen verlassen auf einer Straße ausserhalb von Kiew Foto: Natacha Pisarenko/ap

S eien wir ehrlich. Am Anfang, in den ersten Monaten dieses Krieges, saß man so oft man konnte vor den Livetickern. Mit der Zeit aber reduzierte sich das. Langsam. Der Krieg in der Ukraine ist sowohl ein Vernichtungsfeldzug mit einer kompletten Verheerung ganzer Landstriche – als auch ein zäher Abnützungskrieg, der auf Zermürbung setzt. Außerhalb der Ukraine hat Letzteres einen Nebeneffekt, der gerade in seiner Banalität schrecklich ist: Das Thema nützt sich ab.

Gerade deshalb muss man trotzdem dranbleiben. Sonst wird es unmerklich zu einem Hintergrundrauschen. Dazu trägt auch eine anhaltende Verwirrung bei: Man kann zwar eindeutig Gut und Böse unterscheiden, aber eigentlich weiß man nicht, wo genau die Demarkationslinie verläuft. Vor Ort wissen die Ukrainer natürlich ganz genau, wo die Kampflinie ist. Aber hier stellt sich die Frage: Was ist die ideelle, die politische, die historische Grenzziehung? Worum kämpft man eigentlich?

Joe Biden hat als amerikanischer Präsident in einem Gastbeitrag in der New York Times geschrieben: Die unprovozierte Aggression, die Bombardierung von Spitälern, die massenhafte Zwangsvertreibung mache diesen Krieg zu einer „moralischen Frage“. Der Angriff war völkerrechtswidrig, Kriegsverbrechen sind unmoralisch. Aber ist es das, worum man kämpft? Um eine Moralordnung, die in Frage gestellt wurde?

Es gibt einen Aggressor, der a-moralisch handelt. Und es mag eine moralische Frage sein, den Opfern der Aggression beizustehen. In welcher Art auch immer. Aber das erklärt in keinster Weise, worum in der Ukraine gekämpft wird. So ist es alles andere als klar, was den Aggressor tatsächlich antreibt: Geostrategische Pläne? Ökonomische Interessen? Großmachtphantasien? All das bewegt sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen.

Macht, Gewalt, Aggression und psychische Disposition

In solcher Unklarheit nimmt man gerne Zuflucht zur Psyche. Zu Erklärungen, die in der Psyche Wladimir Putins jene Antwort zu finden hoffen, die im tatsächlichen Geschehen nicht eindeutig zu entziffern sind. Einerseits haben wir Macht, Gewalt, Aggression ohne Beschönigung – und andererseits mutmaßliche psychische Dispositionen Putins, etwa imperiale Träume, die das ideelle Vakuum füllen sollen. Das ersetzt nicht die Eindeutigkeit einer politischen, ideologischen Demarkationslinie.

Zur Erinnerung: Der Kalte Krieg war das, was man eine Systemkonfrontation nannte zwischen dem kommunistischen Osten und dem kapitalistischen Westen. Das bedeutete nicht nur die Differenz unterschiedlicher Ökonomie, unterschiedlicher Gesellschaften, unterschiedlicher politischer Ordnungen. Es bedeutete auch eine klare Trennung: eine Trennung von Handel und Produktion. Eine Trennung der Gesellschaften, des Kulturellen. Und eine Trennung der politischen Einflusssphären. Der eiserne Vorhang zog die klare Trennlinie dieser Aufteilung.

Heute aber haben wir nicht nur allerorts kapitalistische Verhältnisse – wir haben infolgedessen auch weit verzweigte wirtschaftliche Verflechtungen, die man nun mühsam zu trennen versucht. Stichwort Ölembargo. Wir haben auch vielfache gesellschaftliche Verbindungen, die nun auseinander dividiert werden sollen. Mehr noch – beide Seiten ziehen hier eine eindeutige Grenzlinie: Putins Russland gegen den „dekadenten“ Westen mit seinem „LGBTQ-Kapitalismus“.

Und der Westen gegen einen autoritären Kapitalismus. Beide erklären das als Grenze gegen die Barbarei. Das ist der Diskurs. Und dieser zeigt: Wir hantieren mit alten Begriffen, mit alten Gegensätzen. Denn beide Momente zusammen ergeben, dass wir Systemkonflikt und Systemgleichheit zugleich haben. Ein Hybrid, eine Mischform. So wie es auch ein hybrider Krieg ist: eine Konfrontation bei eingeschränkten, aber aufrechten Handelsbeziehungen.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass Systeme, die auf Konkurrenz basieren, notwendig zu Konflikten führen. Heißt das nun: Die Großmächte – nicht die Menschen vor Ort – kämpfen um Territorium, um Einfluss, um Bodenschätze – oder um Demokratie, Werte, Lebensweisen? Kämpft man um das, was gleich ist oder um das, was verschieden ist? Auch das ein Hybrid.

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19 Kommentare

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  • LGBTIQ-Kapitalismus gegen autoritären Kapitalismus? Das ist komisch, denn der Kapitalismus ist mit Erreichen der Grenzen des Wachstums überall tot, nur die Marktwirtschaft bleibt. Der Widerspruch ist eher der Glaube an das Gute im Menschen, das selbst bei größtem Egoismus der Beteiligten immer zur besseren Gesellschaft führen sollte, gegen die lange Nase des feist grinsenden Mafia-Bosses. Dieser Kulturwandel ist ungefähr so bedeutend wie der Wechsel vom gottgesandten guten König an der Spitze der Ständespyramide zum dreisten "l'état c'est moi" eines Sonnenkönigs, für den der vierte Stand gerne krepieren konnte, solange es ihm nütze. In dieser Entwicklung steckt die spätere Revolution schon drin.

  • "Kämpft man um das, was gleich ist oder um das, was verschieden ist? Auch das ein Hybrid."

    Hybrid ist das neue ratlos?



    Ich frage mich, was dieses unbeteiligte "man" in der Frage soll.

    Die Ukrainer:innen kämpfen jedenfalls für ihre Freiheit denke ich.

    Wir anderen sehen zu und wundern uns, wie dieser Krieg über uns kommen konnte.



    Kapitalismus führt zwangsläufig zum Krieg. Schließlich ist Konkurrenz und Egoismus seine Grundlage.



    Kann man nix machen.



    Der Kapitalismus wird auch die Klimakatastrophe nicht abwenden können, schlicht Wachstumsstreben und Konkurrenz gemeinsames Handeln verhindern.



    Kann man auch nix machen.



    Schade eigentlich.

    • @Nansen:

      Das sozialistische China kämpfte sowohl gegen die Sovietunion als auch Vietnam. Seit dem wir global den Kapitalismus haben ist die Welt friedlicher geworden, proportional starben noch nie so wenig Menschen in Kriegen. Man braucht den Menschen als Konsument und Arbeitskraft, dazu kommt die gegenseitige Abhängigkeit.

      • @Machiavelli:

        "...proportional starben noch nie so wenig Menschen in Kriegen..."



        Na dann ist ja alles gut. Sind Sie BWLer?

        • @Nansen:

          Nee, ist nicht alles gut. Aber man kann Veränderungen schon anerkennen und analysieren, ohne diffamiert zu werden.

          • @resto:

            Sorry, "...proportional starben noch nie..." ist einfach nur zynisch.



            Dazu kommt die Einschränkung auf den sogenannten "globalen" Kapitalismus. Ich halte das nicht für analytisch, sondern für Schönrednerei.



            Nebenbei habe ich den Eindruck, dass die Globalisierung gerade nicht en vogue ist. Und wenn der Kapitalismus dann auf einmal nicht mehr global ist, wird es ungemütlich?

            • @Nansen:

              Das ist nicht zynisch das ist Fortschritt, es sterben heute proportional gesehen auch weniger Menschen an Krebs als vor 30 Jahren, macht es nicht besser für die die Sterben ist aber in der Gesamtperspektive trotzdem Fortschritt.

              Wie gesagt Sozialismus führt auch zu Krieg, kriegerische Gewalt gibt es auch im Tierreich das auf den Kapitalismus zurückzuführen ist mir zu flach.

              Ich denke was Globalisierung angeht muss man zwischen Rhetorik und Handeln unterscheiden, niemand will ernsthaft die Globalisierung Rückabwickeln da hängt zu viel Wohlstand dran.

      • @Machiavelli:

        Sie sollten die Vorhänge aufmachen, neue Bücher kaufen, und nicht mehr NTV gucken.



        Millionen Menschen werden in kürzester Zeit verhungern, wenn nicht endlich Einsicht darin besteht, das leben nicht bedeutet andere zu bekämpfen.



        Die Welt ist kapitalistisch geworden.



        Friedlich und genügsam.



        Aha.

        • @Hans Jürgen Langmann:

          Ich hab seit bestimmt 10 Jahren kein NTV mehr geschaut. Lese viele Bücher und wissenschaftliche Artikel. Haben sie den irgendwelche Empfehlungen?

          Millionen Menschen werden verhungern weil im Kreml ein Faschist sitzt den sich die Deutschen zwei Jahrzehntelang schön geredet haben. Dazu kommt noch der Klimawandel zum dem haben aber alle Wirtschaftsformen außer vllt. Jäger und Sammler beigetragen (wobei selbst die Aboriginies in Australien große Waldgebiete abgebrannt haben).

  • Die Frage 'warum' ist interessanter als die Frage 'worum'.



    Die Ukrainer verteidigen sich und wir helfen mit anderen Verbündeten, den imperialustischen Agressor zu besiegen.



    Mehr Sätze benötigt das Thema garnicht.

  • So kompliziert, wie es die Autorin beschreibt, ist es doch nicht: es geht doch darum, dass die Ukraine, auf dem Weg in eine offene demokratische Gesellschaft, von einem totalitären Russland überfallen wird. Dem heisst es zu widerstehen, um das Völkerrecht zu bewahren und die Welt nicht aus den Fugen geraten zu lassen.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Die Ausübung von Gewalt kann nicht vernünftig erklärt werden, oder? Weder in Beziehungen noch beim Agressor in einem Krieg. Was einer Erklärung am nächsten kommt: sie machen es, weil sie es können. Alles andere spielt doch eine untergeordnete Rolle. Was daraus folgt: dafür sorgen, dass sie es nicht mehr können. Hass im großen wie im kleinen hat tausend verschiedenen Gründe - wir sollten unsere Energie nicht darauf verschwenden uns damit näher zu beschäftigen. Es ist das Problem des Aggressors.

    • @03998 (Profil gelöscht):

      Natürlich kann die Ausübung von Gewalt - gerade im Fall staatlicher Akteure - vernünftig erklärt werden; Kriege sind (in der Regel) keine unkontrollierten Wutanfälle, sondern der planvolle Einsatz militärischer Mittel, um bestimmte, teils sogar nachvollziehbare Ziele zu erreichen. Das ist sicher zynisch und unmoralisch - aber keineswegs irrational. Und natürlich muss man sich deshalb mit den Motiven aller involvierten Akteuere befassen - zumindest dann, wenn man eine Friedensordnung anstrebt, die die Gefahr weiterer Krieg möglich minimiert.

      • @O.F.:

        "Natürlich kann die Ausübung von Gewalt - gerade im Fall staatlicher Akteure - vernünftig erklärt werden; Kriege sind (in der Regel) keine unkontrollierten Wutanfälle, sondern der planvolle Einsatz militärischer Mittel, um bestimmte, teils sogar nachvollziehbare Ziele zu erreichen."

        Weil sie sagen, dass sie es erklären können: Welcher Fall liegt bei Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine denn jetzt vor, der Regelfall oder der Wutanfall?

        • @Barbara Falk:

          Nur der Genauigkeit halber: ich habe nicht gesagt, dass ich persönlich jeden Konflikt rational erklären kann, sondern dass ich das für entsprechende Experten in den meisten Fällen für möglich halte.



          Was den Ukraine-Konflikt angeht, sehe ich (und vor allem: viele kluge Beobachter wie Mearsheimer) allerdings ganz eindeutig den Regelfall: Wenn man alle nationalromantische Propaganda beiseite lässt (die für russische Politik genauso wenig ursächlich ist, wie das ganze humanitäre Brimborium für westliche) geht es in der Ukraine um einen sicherheitspolitischen Konflikt: Russland betrachtet eine Einbindung der Ukraine in die NATO als existentielle Bedrohung (und kommuniziert das auch seit spätestens 2007) und hat, nachdem es auf diplomatischem Wege nichts erreicht hat, versucht, seine Interessen militärisch durchzusetzen. Wie gesagt: das kann man für unmoralisch halten - ich sehe aber nicht, was daran irrational sein sollte (nochmal zur Klärung: rational ist kein Synonym für gut oder unterstützenswert).

      • @O.F.:

        Demach waren 'Lebensraum im Osten' und die 'Ausrottung der slawischen Untermenschen' nachvollziehbare und rationale Motive mit denen man sich seinerzeit hätte auseinandersetzen sollen??? Wozu? Um offensichtliche Propaganda auch noch aufzuwerten indem man so tut als ob an ihr doch irgendwas Wahres dran sein könnte? Soll man die Großmachtsgelüste von Führern und Autokraten wirklich als rationale oder gar legitime Interessen be- und verhandeln?



        Amthala hat recht, es ist irrelevant. Wichtig ist ihnen etwas entgegen zu setzen.

        • @Ingo Bernable:

          O.F. schrieb von "teils" nachvollziehbare Ziele. Und damit stimme ich mit ihm überein. Nur wenn wir die Motive verstehen lernen, können wir Friedensverhandlungen führen. Andernfalls wird halt gekämpft bis "zum letzten Mann" - natürlich ohne die Verantwortlichen.

          • @resto:

            Ihr "wir" ist genauso rätselhaft wie das vage "man" der Autorin dieses Artikels.

            "Wir" werden keine Friedensverhandlungen mit Russland führen, das werden die Ukrainer tun. Und die haben verstanden, dass es Russland um die Vernichtung der Ukraine als eigenständige Nation geht. Und darum leisten sie Widerstand.

  • Wer die Muße hat, darf sich gern die herzzerreißende Besorgnis der USA um die Bevölkerung der Ukraine zu Gemüte führen:

    www.hudson.org/res...liance-for-freedom