Korruption, Investitionsstau, Niedriglöhne: Deutschland, einig Bananenrepublik

Filz, das war mal Markenzeichen der CDU/CSU. Jetzt mischt auch SPD vorne mit. Deutschland ist auf dem Weg, Europas abgewetztes Sofa zu werden.

Ein kaputtes rotes Ledersofa steht auf einer Wiese

Schlimme Sache, Deutschland ist auf dem Weg, Europas abgewetztes Sofa zu werden Foto: Christian Behring/Pop-Eye/imago

Eine Finanzbeamtin verbrennt Steuerunterlagen im Kamin einer Angehörigen. Der Finanzminister wusste Bescheid, hat aber niemandem was gesagt. Als andere das rauskriegen, behauptet er, die Kollegin vor einem medialen und öffentlichen Lynchmob beschützt haben zu wollen.

Die Klimastiftung steht im Verdacht, Steuern in Millionenhöhe hinterzogen zu haben und eine Tarnorganisation für russische Geschäfte zu sein. Die zuständige Landeschefin (SPD) steht im Verdacht, in der Causa nicht gänzlich kenntnisfrei gewesen zu sein.

Der Chef des ganzen Landes (SPD) steht im Verdacht, eine Steuerhinterziehung in zweistelliger Millionenhöhe begünstigt zu haben. Eine zentrale Rolle darin spielen ein Terminkalender und Tagebucheinträge, die zwar nicht verbrannt, aber aus dem Gedächtnis gelöscht wurden.

In der Hauptstadt dieses Landes wird die Wahl wiederholt, weil quasi nichts mit rechten Dingen zuging und niemand Verantwortung übernimmt. Die Bürgermeisterin (SPD) verliert die Wiederholungswahl, will aber hinter einem Jungen aus der Vorstadt Schattenchefin werden.

Im katholischen Teil des Landes durchsucht eine halbe Hundertschaft ein Rathaus, weil der seit fast 20 Jahren regierende Chef (SPD) im Verdacht wegen Untreue steht. Er bleibt im Amt.

Filz wie in Süditalien

Man könnte meinen, diese Szenen stammten aus einem Politthriller von John le Carré, einer südamerikanischen oder süditalienischen Serie über den Filz aus Dealern, Politikerin und Beamten. Aber nein, sie spielen in Deutschland.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Es gab Zeiten auch in dieser Zeitung, da standen, wenn von Schmiergeldern die Rede war, immer nur CDU und CSU in den Klammern hinter den Namen. Nur bei denen witterte – und fand man – bisher Bargeld in Schließfächern und eine viel zu enge Verflechtung von Politik und Privatwirtschaft. Längst steht aber auch die SPD im Korruptionswahrnehmungsindex an vorderer Stelle.

Immer noch gilt Deutschland als sauberes Land, Korruption ist nichts, was bei uns passiert. Wenn überhaupt, dann als Abweichung vom normalen Geschäftsablauf, als individuelles Fehlverhalten, als Tat finsterer Menschen mit Messern zwischen den Zähnen. Dabei gehört Korruption zum Kapitalismus wie das Privateigentum an Produktionsmitteln, gehört die „kreative Buchführung“ zum Alltag der Old und New Economy, kommen sich Politik und Privatwirtschaft nicht nur in der Regierungsmaschine nach Peking oder Katar näher.

Das Land der Erfinder und Ingenieure

Zum Bild von Deutschland, einig Sauberland, gehört der Glaube an das Land der Erfinder und Ingenieure: In Deutschland kommt der Bus pünktlich, haben Straßen keine Löcher, stürzen keine Häuser ein und brennen keine Bibliotheken ab. Von wegen. Wo anderswo Stadtautobahnen zu Fahrradtrassen und Kanälen für Kajakfahrer rückgebaut werden, werden hier weiter Schneisen durch Wohngebiete geschlagen.

Selbst durch Italien fahren mittlerweile stündlich Hochgeschwindigkeitszüge, während der für 2030 geplante „Deutschlandtakt“ der DB gerade auf 2070 verschoben wurde. Beim Anblick des Balkens auf dem Handy trauen Touristen ihren Augen nicht: Praktisch überall hier ist das Internet nur eingeschränkt verfügbar.

Niedriglöhne, Fachkräftemangel, Investitionsstau – Deutschland ist auf dem Weg, Europas abgewetztes Sofa zu werden. Der verschlissene Stoff sollte aber nicht täuschen: Deutschland, einig Bananenrepublik. Da können die Compliance-Regeln noch so säuberlich überall aufgehängt werden. Compliance ist Schminke, Korruption ist ein Schwerverbrechen. Um das klarer zu machen, bräuchte es viel mächtigere Korruptionsbeauftragte, solche ohne Gedächtnislücken und Angehörige mit Kamin.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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