Kontroversen um Hans-Georg Maaßen: Ein langjähriger Merkel-Kritiker
Der Verfassungsschutz-Chef fiel schon früher durch seltsame Haltungen auf. Belegt hat er seine Spekulationen auch damals schon nicht.
„Ich glaube daher nicht, dass er noch der richtige Mann an dieser Stelle ist“, so Dreyer. Seit Freitag fordern Oppositionspolitiker und SPD-Vertreter den Rücktritt des obersten Verfassungsschützers, weil dieser in einem Bild-Interview die Authentizität eines Videos infrage gestellt hatte, das mutmaßlich zeigt, wie Rechtsextreme Ende August Passanten in Chemnitz verfolgten.
Seiner Behörde lägen keine belastbaren Informationen darüber vor, dass „Hetzjagden“ stattgefunden hätten, so Maaßen. Es lägen auch keine Belege dafür vor, dass das Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch sei. Nach seiner vorsichtigen Bewertung „sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“.
Mehrere Medien haben allerdings Indizien für die Echtheit des Videos gesammelt. Geflüchtete in Chemnitz bestätigten, verfolgt worden zu sein. Welche Erkenntnisse dagegen sprechen, ließ Maaßen offen. Auch eine später versandte Pressemitteilung beinhaltete keine Präzisierung. „Das BfV prüft alle zugänglichen Informationen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts, um zu einer belastbaren Einschätzung der Ereignisse zu kommen“, hieß es lediglich.
Mehrere unrühmliche Rollen
Möglicherweise ist die Äußerung als Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu werten, deren Regierungssprecher Steffen Seibert zuvor von „Hetzjagden“ in Chemnitz gesprochen hatte. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Verfassungsschutz-Chef die Regierungschefin angreift. Gemeinsam mit Bundespolizei-Präsident Dieter Romann schilderte Maaßen nach Informationen der Welt am Sonntag bei einem Treffen mit 100 Chefredakteuren, warum sie die Linie der Kanzlerin ablehnten.
Kontroversen sind Hans-Georg Maaßen auch sonst nicht fremd. Eine erste unrühmliche Rolle spielte der Jurist 2002 als Referatsleiter für Ausländerrecht im Innenministerium. Maaßen erstellte damals das Rechtsgutachten im Fall Murat Kurnaz. Der in Deutschland aufgewachsene türkische Staatsbürger war von der US-Regierung 2001 im Rahmen des „Kriegs gegen den Terror“ als „feindlicher Kämpfer“ auf der US-Militärbasis Guantánamo (Kuba) festgehalten worden.
Malu Dreyer, SPD
Maaßen sollte in seinem Gutachten klären, ob die Bundesregierung sich dafür einsetzen solle, Kurnaz zurück nach Deutschland zu holen. Der Rheinländer kam zu dem Ergebnis, Kurnaz’ Aufenthaltsgenehmigung sei erloschen, weil dieser länger als sechs Monate nicht in Deutschland gewesen sei – der Grund für dessen Abwesenheit war allerdings die fragliche Inhaftierung in Guantánamo.
Auch mit seinen Äußerungen zum US-Whistleblower Edward Snowden geriet Maaßen in die Kritik. 2016 sagte er vor dem NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag, er halte die Annahme für begründet, dass Snowden Teil der „hybriden Kriegsführung“ Russlands gegen den Westen sei. Außerdem habe es eine „hohe Plausibilität“, dass Snowden für Russland spioniere. Auch damals legte Maaßen keine Belege für seine Vermutungen vor.
Neuer Konfliktherd in der Union
Im Fall des tunesischen Attentäters Anis Amri belegten interne Papiere, dass der Verfassungsschutz einen V-Mann im Umfeld des Breitscheidplatz-Täters platziert hatte, nachdem die Bundesregierung genau das abgestritten hatte. Und dann gab es noch die vielen Gespräche Maaßens mit AfD-Funktionären, die erst vor wenigen Wochen Schlagzeilen machten.
Die Opposition und die SPD wollen den Verfassungsschutz-Chef nun loswerden. Trotz der zahlreichen Rücktrittsforderungen genießt Maaßen die Rückendeckung seines Vorgesetzten. Horst Seehofer – der vor Kurzem erst die Migrationsfrage als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet hatte – sprach Maaßen sein Vertrauen aus.
Allerdings konnte auch der Bundesinnenminister nicht erklären, worauf die Einschätzung des Verfassungsschutzpräsident zum Chemnitz-Video beruht: „Worauf er das stützt, weiß ich nicht“, sagte der CSU-Politiker. Regierungssprecher Steffen Seibert vermied es in der Pressekonferenz am Freitag, Maaßen im Namen der Kanzlerin das Vertrauen auszusprechen. Die Personalie könnte ein weiterer Konfliktherd in der Union werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“