Konjunkturprogramm in Grün: Jetzt oder nie
Corona bietet die Chance für einen grünen Neustart der Wirtschaft – doch die „braune Industrie der Vergangenheit“ lauert schon.
Gerade rechtzeitig, damit Angela Merkel ihre wichtigste Botschaft beim „Petersberger Klimadialog“ loswerden konnte: Die Bundesregierung steht nun auch offiziell zum Ziel, die EU-Emissionen von CO2 bis 2030 um „50 bis 55 Prozent“ zu senken. Und: Deutschland wird beim EU-Ratsvorsitz in der zweiten Jahreshälfte den „Green Deal“ der EU unterstützen und bei seinen eigenen Konjunkturprogrammen „immer auch den Klimaschutz ganz fest im Blick haben“.
Die Wirtschaft nach der Coronakrise „besser wieder aufzubauen“, wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres formulierte, war die zentrale Forderung des diesjährigen Treffens von etwa 30 UmweltministerInnen und VertreterInnen von Wirtschaft, Wissenschaft und Umweltverbänden.
Die Stimmung heißt: Jetzt oder nie. Wenn Billionen für die Rettung der Wirtschaft fließen, ist das Chance und Risiko zugleich. Geht das Geld an die Richtigen, kann es einen Sprung in eine nachhaltige Zukunft geben. Geht es an die Falschen, lösen sich Klimaziele und grüne Investitionen für die nächsten Jahrzehnte in nichts auf.
Investieren in die Zukunft, nicht in die „braunen Industrien“
Die Klimaszene treibt eine Angst um: Gerade 2020, wo die UN-Staaten sich zu neuen Klimaplänen verpflichten sollten, könnte das Klima unter die Corona-Räder geraten. Denn durch die aktuelle Rezession sinken zwar die weltweiten CO2-Emissionen um etwa 5 bis 9 Prozent, aber das ist nicht von Dauer. Die Pandemie überlagert alle anderen Themen.
Und durch Lobbyarbeit der fossilen Industrien könnten die Konjunkturpakete der Umwelt mehr schaden als nützen. So wie 2009, als die Hilfsprogramme nach der Finanzkrise nicht nur die Schuldenkrise lostraten, sondern auch die weltweiten CO2-Emissionen auf neue Rekordhöhen katapultierten.
Das soll nun um jeden Preis verhindert werden, beschworen die Teilnehmer des virtuellen Treffens in Berlin. Sowohl aus Deutschland, Großbritannien, der UNO, Ruanda, Japan und erst recht aus Verbänden und Teilen der Wissenschaft war der Tenor: Investiert in die grüne Zukunft, nicht in die „braune Industrie der Vergangenheit“, wie der britische Starökonom Sir Nicholas Stern zusammenfasste.
Genau auf diesem Weg sind aber die Staaten inzwischen. Das zeigt der „Green Stimulus Index“, den die Strategieberatung Vivid Economics und die NGO Finance4Biodiversity vorgestellt haben: Von den weltweit insgesamt etwa 7,3 Billionen US-Dollar Sofortmaßnahmen floss der Löwenanteil an private Haushalte und in den Konsum.
11 Prozent, immerhin 840 Milliarden, kamen aber Branchen zugute, die die Umwelt schädigen: Energie, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft. Dazu gehören Steuervorteile und Subventionen für Ölgesellschaften, der Neubau von Kohlekraftwerken oder die Rettung von Fluggesellschaften (allein in Europa fordern diese mehr als 12 Milliarden Euro) – und alles ohne irgendeine Öko-Bedingung.
Den deutlichsten umweltschädlichen Fußabdruck dabei hinterlassen dabei die USA, aber auch Japan, Südkorea, Kanada und Australien. Deutschland steht mit seinen Plänen in Europa bisher am schlechtesten da.
Dabei könnte frisches Geld in den richtigen Kanälen viel bewirken. Eine Berechnung der Analysefirma Climate Action Tracker für die Petersberg-Konferenz zeigt, dass grüne Konjunkturprogramme dazu beitragen könnten, die Investitionen in Öko-Techniken zu steigern und dreckige Geldanlagen zu bremsen. So könnten die CO2-Emissionen bis 2030 nahe an einen klimaverträglichen Pfad kommen. Aber die Experten warnen auch: Wenn die Regierungen es falsch machen, könnten die Emissionen noch mehr steigen als befürchtet.
Rat der Analysten
Konkret raten die Climate Action Tracker zu Hilfen für erneuerbare Energien, weniger Subventionen für Fossile, Geld für Busse und Bahnen und Ladesäulen für E-Mobile, mehr Energieeffizienz in der Industrie, verstärkte Gebäudesanierung und Rettung von Wäldern und Naturflächen.
Auf keinen Fall, warnt die Studie, sollten die Regierungen in der Krise dagegen bestehende Umweltregeln lockern oder Staatshilfen ohne jede ökologische Bedingung austeilen.
Beides geschieht allerdings gerade: In den USA etwa streicht die Trump-Regierung viele Öko-Auflagen, China baut neue Kohlekraftwerke und auch der Bundesverband der deutschen Industrie, der BDI, möchte die EU-Klimaziele für 2030 „dringend auf den Prüfstand stellen“. Bei den aktuellen Gesprächen zur Rettung der Lufthansa ist Klimaschutz kein Thema.
Die EU will den grünen Umbau der Wirtschaft zwar weiterhin „als unser Wachstumsmodell“ definieren, sagte EU-Kommissar Frans Timmermans auf der Petersberg-Konferenz. Im Frühjahr 2020 präsentierte Kommissionschefin Ursula von der Leyen Details und Finanzierung des „Green Deal“, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral werden soll.
Für den „Green Deal“ der EU ist jetzt plötzlich Geld da. Aber es fehlen Regeln.
Die Liste klingt wie die von Carbon Trackers: mehr Öko-Energien, gedämmte Gebäude, grüne Stahl-Herstellung, eine ökofreundliche Landwirtschaft, ein neues Klimagesetz und verschärfter Emissionshandel. Unter dem Druck der Krise hat die Kommission aber bereits einige Vorhaben verschoben.
Eins der Probleme beim „Green Deal“ war das gewaltige Preisschild: 1.000 Milliarden Euro in sieben Jahren sollte die grüne Zukunft kosten – aus dem EU-Haushalt, von der europäischen Investitionsbank und durch Umschichten existierender Fonds. Neues Geld war kaum eingeplant.
Jetzt aber „wird der Markt mit Cash geflutet, das kann bis zu 3.000 Milliarden gehen“, sagt Markus Trilling, Finanzexperte des Netzwerks CAN Europe. „Die Mitgliedsstaaten können sich so hoch verschulden wie sie wollen, die Regeln für staatliche Beihilfen wurden gelockert“ – allerdings fehlten klare Umweltvorgaben. Die EU-Kommission, sagen auch andere Beobachter, dränge die Mitgliedstaaten bisher zu wenig darauf, die nationalen Töpfe mit der Stoßrichtung „Green Deal“ auszustatten. „Die Kommission muss da eine sehr deutliche Ansage machen“, heißt es.
15 Milliarden für grüne Industrie
Für Deutschland hat der Thinktank Agora Energiewende bereits einen konkreten Vorschlag gemacht: Mit 100 Milliarden Euro Staatsgeld solle die Kaufkraft gesteigert und grünes Investieren erleichtert werden. 22 Milliarden Euro an Hilfen könnten so etwa den Strompreis für Haushalte um 20 und für die Industrie um 25 Prozent senken, die EEG-Umlage solle 5 Cent pro Kilowattstunde weniger betragen. 15 Milliarden sollten in grüne Industrieanlagen wie CO2-arme Hochöfen und grünen Wasserstoff fließen.
Mit 20 Milliarden könnten Ölheizungen gegen elektrische Wärmepumpen ausgetauscht werden und Gebäudesanierung im großen Maßstab möglich machen. Für moderne Busse, bessere Mobilität auf dem Land und die Umrüstung von Pkw-Flotten auf E-Mobile müssten 15 Milliarden ausgegeben werden.
Für den Ökonomen und Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, ist ein „europäischer Investmentfonds“ nötig, der langfristige verbilligte Kredite vergibt oder sich mit einer geringeren Renditeforderung am Eigenkapital von Firmen beteiligt, die sich zu Klima-Auflagen verpflichten.
Dies wäre zugleich ein europäisches Solidarprojekt, erklärt er. Mit viel Geld könne ein solcher Fonds etwa die Elektromobilität oder die Entwicklung von grünem Wasserstoff ankurbeln und in ganz Europa, aber auch gezielt in Ländern wie etwa Bangladesch, die Kapitalkosten für grüne Investments senken.
„Einfach die bisherigen Förderprogramme in XXL-Format aufzublasen wird nicht funktionieren“, sagt Edenhofer. Gebraucht werde auch ein höherer CO2-Preis, der bislang in den Konjunkturprogrammen aber fehle. Daher solle dieser zumindest indirekt durch günstigere Kredite für nachhaltige Investitionen berücksichtigt werden.
„Der CO2-Preis sollte das zentrale Steuerungselement sein. Das ist wie im Auto: Da kann man mit einem Konjunkturprogramm gewissermaßen den Motor hochjagen, wie man will, ohne ein Lenkrad fährt man aber vor die Wand.“
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