Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen: Das Drei-Parteien-System
In NRW können sich Grüne und CDU als Sieger fühlen. Selbst die gebeutelte SPD sieht eine „Trendwende“. FDP, Linke und AfD bleiben chancenlos.
„Sensationell“ seien die 20 Prozent der Grünen, freut sich auch deren Landeschefin Mona Neubaur. Und für die SPD erklärt der aus NRW stammende Co-Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans die 24,3 Prozent der Sozialdemokraten in ihrem einstigen Stammland zur „Trendwende“.
Wirklich zufrieden kann aber keine der drei Parteien sein. Laschets CDU hat das schlechteste Kommunalwahlergebnis seit 1946 eingefahren, die SPD sowieso. Landesweit dazugewonnen haben die Grünen – bei den Kommunalwahlen 2014 kamen sie auf 11,7, bei der katastrophalen Landtagswahl 2017 sogar nur auf 6,4 Prozent. Mehr erhofft haben dürften sich Neubaur und ihr Co-Landesvorsitzender Felix Banaszak trotzdem: Noch vor 12 Tagen sah eine Umfrage die Grünen auf Platz zwei – vor den Sozialdemokraten. FDP, Linke und AfD spielen mit 5,6 Prozent, 3,8 und 5 Prozent bei den NRW-Kommunalwahlen dagegen kaum eine Rolle.
Die Grünen aber sind trotz der leicht entäuschenden Ergebnisse vom Sonntag dabei, sich neben CDU und SPD als zweite oder dritte Volkspartei zu etablieren. Stark sind sie vor allem in Groß- und Universitätsstädten: In Köln und Bonn stellen die Grünen mit 28,5 und 27,8 Prozent künftig die größte Ratsfraktion. Und ausgerechnet in Laschets Heimatstadt Aachen, wo der amtierende CDU-Oberbürgermeister Marcel Philipp nicht mehr antreten wollte, gelang ihnen die Demütigung der Christdemokraten: Bei den Stadtratswahlen hat die CDU mit 24,8 Punkten mehr als 10 Prozentpunkte verloren. Mit Abstand stärkste Kraft im Aachener Kommunalparlament sind stattdessen jetzt die Grünen mit 34,1 Prozent.
Es geht ums Personal
Auch bei der Direktwahl zur Rathauschefin liegt die grüne Kandidatin, die Kulturmanagerin Sibylle Keupen, mit fast 39 Punkten weit vor den Kandidaten von CDU und SPD, die im ersten Wahlgang auf knapp 25 und 23 Prozent kamen. Auch in Bonn hat die grüne Oberbürgermeisterkandidatin Katja Dörner ein gutes Ergebnis eingefahren: Sie holte mehr als 27,5 Prozent – gegen CDU-Amtsinhaber Ashok-Alexander Sridharan, der auf knapp 34,5 Punkte kam.
Kommunalwahlen bleiben damit zumindest in Nordrhein-Westfalen Personenwahlen, bei denen die amtierenden Oberbürgermeister nicht selten mit einem Vertrauensvorschuss ins Rennen gehen – und bei denen die alte Bündniskonstellation Rot-Grün oft noch funktioniert. So wurden die von den Grünen unterstützten Rathauschefs von Bochum und der bergischen Städte Remscheid und Solingen, Thomas Eiskirch, Burkhard Mast-Weisz und Tim Kurzbach, mit absoluten Mehrheiten von knapp 62 beziehungsweise 61 und 56 Prozent schon im ersten Wahlgang wiedergewählt, müssen also nicht in die Stichwahl zwischen Erst- und Zweitplatziertem.
In Nordrhein-Westfalens größter Stadt Köln verpasste die von CDU und Grünen unterstützte Oberbürgermeisterin Henriette Reker die absolute Mehrheit überraschend deutlich. Die parteilose Rathauschefin holte etwas mehr als 45 Prozent. Reker war bei der letzten Umfrage noch auf mehr als 60 Prozent taxiert worden war, muss damit überraschend in die Stichwahl gegen SPD-Herausforderer Andreas Kossiski, für den sich knapp 27 Prozent der Wähler*innen entschieden.
In Wuppertal liegt der von der CDU unterstützte Grünen-Kandidat Uwe Schneidewind knapp vorn: Der Ex-Geschäftsführer des Wuppertal-Institus für Klimaforschung kam auf 40,8, der amtierende SPD-Oberbürgermeister Andreas Mucke auf 37 Prozent.
Immerhin: SPD-Sieg in einigen traditionellen Hochburgen
Für die CDU wurden in den 22 Großstädten Nordrhein-Westfalens im ersten Wahlgang nur Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen mit mehr als 54 Prozent sowie Christoph Tesche in Recklinghausen mit 60,8 Prozent wiedergewählt. Allerdings hatte sich die sozialdemokratische Konkurenz in Essen zuvor selbst zerlegt: Die SPDler hatten sich um Folgen und Kosten des Zuzugs von Geflüchteten und Migrant*innen aus Südosteuropa verstritten– im Konflikt um die Integrationspolitik war Essens SPD-Vize Karlheinz Endruschat Anfang 2020 sogar aus der Partei ausgetreten.
Auf dem Land konnten die Christdemokraten ihre traditionelle Stärke oft behaupten: So siegte im ostwestfälischen Höxter an der Grenze zu Niedersachsen der CDU-Kandidat Michael Stickeln mit überdeutlichen 72,9 Prozent.
Die SPD konnte sich in Teilen des Ruhrgebiets über traditionelle Wahlergebnisse freuen: So holte Bottrops amtierender Rathauschef Bernd Tischler bei der Direktwahl zum Oberbürgermeister mehr als 73 Prozent. In Herne kam sein Amtskollege und Parteifreund Frank Dudda auf mehr als 63 Prozent.
In Dortmund muss SPD-Kandidat Thomas Westphal mit knapp 36 Prozent in die Stichwahl gegen den Christdemokraten Andreas Hollstein, der auf knapp 26 Prozent kam. Der CDU-Mann, der bisher Oberbürgermeister im sauerländischen Altena war und dort 2017 wegen seiner liberalen Migrationspolitik Opfer einer Messerattacke wurde, bemühte sich sofort um die Grünen, die im Rat mit knapp 25 Prozent die zweitstärkste Fraktion nach der SPD stellen: Er sei „ein Brückenbauer“, erklärte der Christdemokrat, der auch auf der Wahlparty der Dortmunder Grünen dafür warb, die Sozialdemokraten abzulösen, die in Dortmund seit 1946 durchgehend den Oberbürgermeister stellen.
Ob Dortmunds Grüne um ihre Spitzenkandidatin Daniela Schneckenburger aber tatsächlich eine Wahlempfehlung für Hollstein aussprechen, bleibt abzuwarten: Bei ihrer traditionell links tickenden Dortmunder Wählerschaft könnte das die Grünen viele Stimmen kosten.
Ähnlich ist die Lage auch in der Landeshauptstadt Düsseldorf, wo der grüne Spitzenkandidat Stefan Engstfeld im Rennen um das Amt des Rathauschefs mit 17 Prozent auf Platz drei landete. In die Stichwahl gehen Stephan Keller von der CDU mit 34 und SPD-Amtsinhaber Thomas Geisel mit 26 Prozent. Der Grüne Engstfeld hat allerdings schon angedeutet, dass es am Rhein eine Wahlempfehlung geben könnte – wohl zugunsten des Sozialdemokraten: Im Stadtrat jedenfalls haben die Grünen in den vergangenen sechs Jahren mit SPD und FDP kooperiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis