Kommentar erneuter Bahnstreik: Der Egoismus der GDL
Es führt in die Irre, bei Gewerkschaften von „Wettbewerb“ zu sprechen, wie es die GDL tut. Denn das ist anderen Angestellten gegenüber unsolidarisch.
D er Streik der Lokführer ist verwirrend, aber ein zentrales Wort ist auszumachen: Konkurrenz. GDL-Chef Weselsky stellt sich vor, dass Gewerkschaften wie normale Unternehmen funktionieren, die sich im Wettbewerb behaupten müssen.
Die GDL will ein Gut „Arbeitskampf“ anbieten und dabei besser sein als die Konkurrenzgewerkschaft EVG. Am Ende gäbe es für die gleiche Tätigkeit verschiedene Gehälter – je nachdem welcher Gewerkschaft man angehört. Bei normalen Gütern wie Autos oder Spielzeug ist es schließlich genauso: Sie kosten unterschiedlich viel, je nachdem wo man sie einkauft.
Doch es führt in die Irre, bei Gewerkschaften von „Wettbewerb“ zu reden. Sie sind das Gegenteil – nämlich Kartelle. Jedem Arbeitnehmer wird verboten, mit anderen Beschäftigten in Konkurrenz zu treten und eigenmächtig sein Gehalt zu verhandeln. Stattdessen gibt es einen Tariflohn für alle. So soll verhindert werden, dass sich die Arbeitnehmer gegenseitig unterbieten, um noch eine Stelle zu finden – und alle weniger verdienen.
Dieses Kartell namens Gewerkschaft funktioniert am besten, wenn sich alle Arbeitnehmer einer Branche zusammenschließen. Eine Konkurrenz der Gewerkschaften, wie sie Weselsky anstrebt, führt hingegen ins Chaos oder zur „Rosinenpickerei“. Denn dann setzen sich jene Gewerkschaften durch, deren Mitglieder die größte Streikmacht haben.
Wenn die Lokführer in den Ausstand treten, fährt ab sofort kein Zug mehr. Wenn die Angestellten in den Reparaturwerkstätten streiken, dauert es Wochen, bevor der Bahnbetrieb gefährdet ist. Allein hätten die Reparaturabteilungen also keine Chance, ihre Lohnforderungen durchzusetzen. Sie sind auf das Erpressungspotenzial der Lokführer angewiesen.
Doch genau diese Solidarität verweigert Weselsky. Er sieht nur das Zugpersonal – und nennt das dann „Konkurrenz“. In Wahrheit ist es Egoismus.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung