Kommentar Sami A.: Gericht und Rechtsstaat missachtet
Die Abschiebung von Sami A. ist „rechtswidrig“, bestätigt das OVG Münster. Der verantwortliche Minister Stamp (FDP) muss Konsequenzen ziehen.
E igentlich gibt es keine neue Lage. Schon am Nachmittag des 13. Juli hat das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen beschlossen, dass Sami A. nach Deutschland zurückgeholt werden muss. Der Islamist A. (angeblich ein früherer Leibwächter von Osama bin Laden) war am Morgen dieses Tages in einer dubiosen Aktion nach Tunesien abgeschoben worden. Das Verwaltungsgericht hat in dieser Sache am 3. August sogar ein Zwangsgeld gegen die zuständige Stadt Bochum verhängt, weil zuwenig für eine Rückholung von Sami A. getan wurde.
Doch das Land wollte diese Rückholpflicht nicht wahrhaben und legte Rechtsmittel ein, die das Oberverwaltungsgericht Münster nun ablehnte. Die Rückholpflicht bleibt also bestehen. Insofern wundert etwas die Aufregung, die der OVG-Beschluss verursacht hat. Eigentlich ist es selbstverständlich, dass eine rechtswidrige Abschiebung rückgängig gemacht wird. Aber für manche Medien ist das eine Seite-1-Sensation, selbst wenn nur eine bereits vorliegende Gerichtsentscheidung bestätigt wird.
Vielleicht hat die Aufregung auch damit zu tun, dass das OVG die zugrundeliegenden Bewertungen der Gelsenkirchener Richter ebenfalls bestätigte. Erstens: die Abschiebung von Sami A. war „offensichtlich rechtswidrig“. Es bestand ein Abschiebehindernis, weil es keine diplomatische Zusicherung Tunesiens für eine menschenwürdige Behandlung Sami A.s gab. Das hatte das VG Gelsenkirchen am Abend des 12. 7. beschlossen. Zweitens: Die bereits laufende Abschiebung hätte noch gestoppt werden können. Von dem Gelsenkirchener Beschluss erfuhren das Bochumer Ausländeramt und NRW-Integrationsminister Joachim Stamp zwar erst am Morgen des 13.7., aber da war Sami A. noch nicht an die tunesischen Behörden übergeben. Stamp blieb dennoch untätig.
Der Skandal beginnt aber schon im Vorfeld der Abschiebung. So hat Stamp versucht, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen auszutricksen und ihm trotz mittelbarer Nachfrage den Abschiebungstermin vorenthalten. Stamp hat dies damit gerechtfertigt, er sei nicht verpflichtet, dem Verwaltungsgericht Auskunft über Abschiebetermine zu geben. Stattdessen sei sein Ziel gewesen, Sami A. „so schnell und diskret wie möglich“ abzuschieben, solange dessen Anwältin keinen Eilantrag stellt.
Eklatantes Fehlverhalten von Stamp
Dass die Abschiebung geglückt ist, beruhte nur teilweise auf der Täuschung. Der Abschiebeflieger war zwar schon in der Luft, weil sich die getäuschten Richter gefährlich lange Zeit mit der Übermittlung des Abschiebehindernis-Beschlusses ließen. Aber er kam eigentlich nicht zu spät, wie das OVG jetzt feststellte. Stamp musste dann zusätzlich noch den Kopf in den Sand stecken, damit seine Täuschung auch Erfolg hat und A. an die Tunesier übergeben wird. Beides zusammengenommen zeigt jedenfalls eine eklatante Missachtung von Gericht und Rechtsstaat.
Wie eklatant Stamps Fehlverhalten war, bestätigt ausgerechnet die Verteidigungstrategie von Stamps FDP-Parteifreunden in den Stunden nach der Abschiebung. Sie rechtfertigten Stamps Täuschung nicht, sondern leugneten sie einfach. Alle zeigten auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Es sei doch das Bamf (und nicht Stamp) gewesen, von dem das Verwaltungsgericht unvollständig informiert worden war. Und für das Bamf sei doch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verantwortlich. Es ehrt Stamp, dass er eine Woche später im Rechtsausschuss des NRW-Landtags einräumte, er habe auch das BAMF bewusst nicht über den Abschiebetermin informiert. Das Bamf war also selbst nur ein getäuschter Bote.
Die ehrliche Übernahme der Verantwortung wurde aber dadurch konterkariert, dass Stamp das Verwaltungsgericht wohl gezielt ausgetrickst hat. Denn der Fall hat eine Vorgeschichte. 2014 hatte das Bamf im Fall Sami A. schon einmal versucht, das Abschiebehindernis zu widerrufen und war damals vom VG Gelsenkirchen gestoppt worden. Das wollte Stamp diesmal offensichtlich verhindern. Die lästigen Richter sollten nach Möglichkeit erst aus der Zeitung von der bereits vollzogenen Abschiebung erfahren.
Wenn Stamp etwas am Rechtstaat liegt, sollte er selbst ein deutliches Zeichen setzen, dass es sich nicht lohnt, den Rechtstaat zu foppen.
***
Aktualisierung, Anmerkung der Redaktion: Die letzten zwei Absätze wurden am 17. August geändert. Der Vorwurf, dass Stamp den Landtag belogen hat, wird in dieser Beitragsversion nicht aufrecht erhalten. Eine Stellungnahme des Autors Christian Rath findet sich in den Kommentaren (17. August, 6.22 Uhr).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge