piwik no script img

Kommentar Rückzug der USA aus SyrienGeschenk für Erdoğan

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Kurz vor Weihnachten beschließen die USA ihren Rückzug aus Syrien. Für die Türkei ist das eine Einladung zum Einmarsch in die Kurdengebiete.

Mahnwache für einen türkischen Soldaten, getötet bei der Offensive im syrischen Afrin Foto: ap

Der IS ist besiegt, wir holen unsere Jungs aus Syrien nach Hause“, verkündete US-Präsident Donald Trump am Mittwochabend – und löste damit weltweit wütende Proteste, massive Befürchtungen und stille Genugtuung aus. Grundsätzlich ist es ja keine schlechte Nachricht, wenn ausländische Soldaten einen Kriegsschauplatz verlassen, doch Syrien ist etwas anderes als es früher Vietnam oder selbst der Irak waren. Der Krieg in Syrien ist damit nicht beendet, der bevorstehende Rückzug der US-Truppen schafft lediglich Raum für andere Player auf dem für den gesamten Nahen Osten so wichtigen Kriegsschauplatz Syrien.

Einer von denen, die jetzt gestärkt werden, ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Auf seinen Befehl hin stehen türkische Truppen seit Tagen an der syrischen Grenze bereit, um zum dritten Mal ins Nachbarland einzumarschieren. Der Grund ist immer derselbe: Erdoğan will die syrisch-kurdische YPG-Miliz aus dem gesamten Gebiet entlang der türkischen Grenze vertreiben und dabei eine möglichst große Zahl kurdischer Kämpfer „neutralisieren“. Bislang standen ihm dabei die US-Truppen im Weg, weil die kurdischen YPG im Kampf gegen den IS die wichtigsten Verbündeten der USA sind. Nachdem der IS nach Trumps Meinung nun besiegt ist, kann man die Kurden fallen lassen, so denkt der US-Präsident.

Für die Kurden wird damit eine lange gehegte Befürchtung wahr, während Erdoğan im Stillen jubelt. Die bevorstehenden Weihnachtstage bieten die perfekte Ablenkung für den türkischen Einmarsch. Mit dem Christkind kommen die Panzer. Während es selbst im Pentagon Stimmen gab, die forderten, die USA sollten sich für Gespräche zwischen der Türkei und den Kurden einsetzen, statt den Weg für einen neuen Krieg freizumachen, ist ihr Oberbefehlshaber der Meinung, darum sollen sich andere kümmern.

Frohes Fest, Mr. Präsident.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Die Türkei ist gleich mehrfach in der Türkei gescheitert. Es fielt ihr sogar sehr schwer, Afrin zu erobern. Danach kam es zu vielen Menschenrechtsverletzungen und es wurden ethnische Säuberungen gegen die dort lebenden Kurden gemacht. Die Türkei hat jede internationale Kritik daran bisher ignoriert.



    Wenn die Türkei jetzt wieder in Syrien einmarschiert, dann wird das ein dickes Problem werden. Aber sie können dort auch scheitern.

  • Der nächste Schritt ist die Aufhebung der Achse des Bösen: Irak-Iran-Nord Korea, da immer noch aktuell und Massnahmen zur Deeskalation des Ukrainekonfliktes. Militanz hilft leider nicht weiter, wenn man noch etwas für diesen Planeten übrig hat.

  • „Für die Kurden wird damit eine lange gehegte Befürchtung wahr, während Erdoğan im Stillen jubelt“



    Nicht ganz richtig. Denn besonders viel Grund zum Jubeln hat doch Putin. Die USA, bisher wichtigster Gegenspieler der Russen im syrischen Stellvertreter-Krieg, verschwinden von der Bildfläche und die wichtigsten verbliebenen Kriegsparteien, nämlich Assads Armee, sowie die Türkei und der Iran, stehen unter russischem Einfluss (und werden von Russland aus mit Waffen versorgt). Somit werden die verbliebenen Gegner bald besiegt sein und das syrische Volk wird dann wieder dort stehen, wo es stand, als es den Aufstand gegen Assad begann!



    Übrigens: Die Kritik am Abzug der Amerikaner aus Syrien ist etwa so laut wie vor 4 Jahren, am Kriegseintritt der Amerikaner dortselbst. Wer hätte das damals für möglich gehalten!

  • Und immer wieder die gleichen Fehler. Wem werden die Kurden diesen Verrat wohl ankreiden? Immerhin ist das nicht das erste mal in der Geschichte, es zieht sich vielmehr durch wie ein roter Faden.

  • Für die YPG wird es wohl die einzige Chance zu Überleben gewesen. Nun werden sie mit vollem Einverständnis des US-amerikanischen Präsidenten getötet oder verstümmelt werden. Diese Tatsache schafft keine noch so geschickt formulierte Pressemeldung aus der Welt.

    • @Bogenhaar:

      Nicht nur mit Einveständnis von Trump wird der kurdische Traum von Selbstbestimmung zerstört, sondern auch von Putin, der gerade seinem Kumpel Trump zu diesem Schritt gratuliert hat.

  • ".....doch Syrien ist etwas anderes als es früher Vietnam oder selbst der Irak waren. Der Krieg in Syrien ist damit nicht beendet,... ". Da irrt Jürgen Gottschlich, es war der mit der Allianz unabgestimmte Truppenrückzug der USA durch Obama aus dem Irak, Afghanistan der dem IS erst hochgerüstet Leben in der Region bis nach Syrien eingehaucht hat.



    Israel ist über die Entscheidung Trumps gar nicht amused. Ist es doch nicht auszuschließen, dass die USA mlitärstrategisch einen Paradigmenwechsel, weg von Saudi Arabein hin zum Iran an der Seite Russlands in Syrien vornehmen, ohne selber Bodentruppen stellen zu müssen. Ganz nebenbei vollzieht Trump, was er angelündigt hat, den Nahost Konflikt mit all seinen Ausläufern bis Syrien, Jemen, innerhalb der NATO zu europäisieren, diesen aber gleichzeitig auf unterschiedlich ethnischen Seiten, vom Hintergrund her, zu mutionieren.



    England, Frankreich wollen in Syrien weiter militärisch Präsenz zeigen. Macron lässt für Frankreich 2019 lange nicht dagewesene Schuldenaufnahme in Höhe von 200 Milliarden € an den Internationalen Finanzmärkten verkünden, entgegen Europäischen Stabilitätspakt, vorgeblich, seine Versprechen an die Gelbwesten zu refinanzieren, die aber bisher nur 10 Milliarden € umfassen, gewiss aber auch, um die Hochrüstung Frankreichs fremd zu finanzieren.



    Was wird Deutschlands außenpolitische Haltung sein, wird Deutschland, seit 2015 als Interventionspartei im Syrienkrieg mit AWACS Aufklärungsflugzeugen engagiert unterwegs, den Bundeswehrluftwaffeneinsatz beenden, oder gar mit Bodentruppen, samt Panzern, Waffensystemen an der Seite Frankreichs, Englands durch Bundestagsbeschluss ausweiten wollen? Angesichts anstehender Europawahl 26.5.2019, Landtagswahlen ein gewagtes Unterfangen, dieses Anliegen auf die Agenda zu heben.

    Was werden Syrien Kurden tun, angesichts türkischer Truppen, sich Israel oder Iran annähern, einstige IS Soldateska auf sich vergattern, mit Assad militärisch gegen Erdogan militärisch operieren?

    • @Joachim Petrick:

      Nachdem die Kurden nun von den USA, wie vorher schon, was Afrin angeht, von Russland verraten wurden, bleibt ihnen nur die Alternative, sich von Erdogan abschlachten zu lassen oder sich Assad zu unterwerfen. Besonders perfide dabei, dass die Kurden als Hilfstruppe der USA benutzt wurden, um den IS aus Rakka zu vertreiben.

  • Die Position der "Linken ist schizophren: auf der einen Seite forderten sie immer vehement den Abzug der USA (nicht von Russland natürlich) aus Syrien, trotz der de facto Unterstützjng deg YPG durch fie USA; auf der anderen Seite beklagen sie jetzt, dass beim angekündigten Abzug, die Kurden dem Despoten Erdogan ausgeliefert sind...auf eine Erklärkng dieses Spagats kann man gespannt sein. Mal sehen , ob Putins Glückwunsch an Trump zum Abzug von dieser sog."Linken" thematisiert wird.

    • @Rinaldo:

      „Die Linke“? Wen meinen Sie mit dieser Floskel?

      Wenn ich „die Rechte“ rede, wäre das dann die CDU, die FDP oder nur die AfD.

      Sauberer formulieren und vorher nachdenken hilft gelegentlich.

  • Damit sind jene Männer und Frauen in Syrien, die über eine Zusammenarbeit mit den USA ihr Land retten wollten, Folter und Tod ausgesetzt. Die Folge wird sein, dass die USA nie wieder irgendwo auf der Welt Volksgruppen gegeneinander werden ausspielen oder sich auf Einzelpersonen werden verlassen können. Das wird auch bedeuten, dass man die Zuverlässigkeit des militärischen Partners USA neu bewerten wird müssen.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @EricB:

      Da gibt es wenig neu zu bewerten, da sich diesbezüglich überhaupt nichts geändert hat.



      Außerdem würde ich die Kurden mal nicht als so naiv und Geschichtsvergessen einschätzen, dass ihnen die Risiken und der ephemere und opportunistische Charakter einer Allianz mit den USA nicht bewusst gewesen wären

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Immerhin ist Ihnen bewusst dass es den Kurden der YPG völlig bewusst war auf was sie sich da einlassen. Eine Bemerkung am Rande, selbst die Nord Irakischen Kurden , die Peschmerga, bekämpfen die YPG. In Übrigen ist es wirklich lustig zu sehen wie sich so manche hier verbiegen um nicht die YPG als Teil der PKK benennen zu müssen. Man könnte meinen,dass sie jedes Mal, wenn sie in Dokus über die YPG Porträts von Öcalan sehen und von denen wimmelt es da nur so, dank dem gutem alten kommunistischen Personenkult, schnell die Augen verschließen.

    • @EricB:

      Schön wär es ja, wenn das tatsächlich so erkannt wird. Leider läuft es doch meist anders. Money counts. Und Trump ist nun mal das mieseste unter den Schlitzohren und versteht es einfach, die Staatenlenker für sich "einzunehmen" und dabei sein ganz eigenes Süppchen zu kochen. Sein Stil sorgt bereits für einen weltweiten moralischen Verfall wie's scheint. Traurig für die Kurden mal wieder. Wen wird's am Ende kümmern? Auch die Linke hält doch eher zu Putin, der den Abzug natürlich begrüßt.

      So ist das halt mit Pazifismus.

  • "neutralisieren" - ist ja schon mal ein Anfang, das Militärsprech in "" zu setzen. Aber warum nicht gleich ganz darauf verzichten und töten bzw. verstümmeln ausschreiben?

  • wenn man die türkei zwingen will mit ihren völkerrechtswidrigen militärischen agressionen in den kurdischen gebieten syriens aufzuhören sollte man wirtschaftliche sanktionen in erwägung ziehen.



    wenn eine fortsetzung der völkerrechtswidrigen agrression zur folge hat,das alle türkischen unternehmen in europa keine geschäfte mehr machen können,wird die türkische regierung es sich unter dem druck der türkischen wirtschaft anders überlegen,denn sie braucht den europäischen markt.



    wahrscheinlich würde es schon genügen nur mit wirtschaftlichen sanktionen zu drohen.



    wer bringt das europäische parlament dazu?



    wäre das nicht eine aufgabe für die grünen?