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Kommentar Merkels Auftritt in HeidenauDer Sommer der Offenbarung

Kommentar von Ulrike Fokken

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und muss sich endlich auch mal so verhalten. Die Auseinandersetzung mit Rassisten und Nazis gehört dazu.

Komisches Volk: Merkel trifft in Heidenau auf fremdenfeindliche DemonstrantInnen Foto: reuters

Wir sind das Pack!“, rufen Leute vor dem Flüchtlingsheim von Heidenau, und sie haben recht, denn „das Volk“ sind sie nicht. Das Volk, um mal diesen etwas antiquierten Begriff zu benutzen, das sind die Menschen, die sich in der als Krise empfunden Situation einer Demokratie würdig erweisen.

Das Volk, das ist die Gemeinschaft in diesem Land, das sind die Menschen, die ihr Wohnzimmer verlassen und völlig fremden Menschen aus Syrien, aus Eritrea, Somalia, Albanien, dem Irak eine Unterkunft anbieten. Die Stullen schmieren und den Flüchtlingen vor den Erstaufnahmestellen eine warme Mahlzeit bringen. Die schauen, ob sie zu Hause wenigstens noch eine Decke übrig haben für eine Flüchtlingsfamilie, die auf Pappen im Stadtpark schläft.

Diese Menschen halten die Gemeinschaft aufrecht und zeigen, dass Deutschland ein freundliches, liberales und wahrhaft reiches Land ist. Reich an Materiellem und reich an Mitgefühl. Die Deutschen beweisen gerade mal wieder, dass sie super organisieren können. Und dennoch stoßen staatliche und freiwillige Helfer bei Hunderttausenden Flüchtlingen an ihre Grenzen.

Seit Wochen wartete man darauf, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Flüchtlingskrise äußert. Dass sie den pöbelnden Mob vor den Flüchtlingsheimen in die Schranken weist. Journalisten und Politiker fordern ihr Einschreiten, unter #sagwaskanzlerin haben Tausende nach einem Machtwort von Merkel gerufen.

Ob ihre symbolhafte Reise ins sächsische Heidenau am Mittwoch nun eine Reaktion auf diesen Wunsch war oder es sie selbst nach dieser Geste drängte, spielt kaum eine Rolle. Allein die Forderung zeigt, dass allen in diesem Land bewusst wird: Nach diesem Sommer der Hunderttausenden Flüchtlinge wird Deutschland nicht mehr sein, was es war.

Ob mit oder ohne Einwanderungsgesetz ist jetzt klar, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Und sich deswegen auch endlich entsprechend verhalten muss. Wie das geht, wissen wir noch nicht, aber die 800.000 Flüchtlinge in diesem Jahr offenbaren, was in der Politik jahrzehntelang verschlampt wurde. Bildung, Gesundheit, das gesamte Sozialsystem muss entsprechend umgebaut werden. Die Auseinandersetzung mit Rassisten und Nazis gehört leider auch zu den Feldern, die Politiker nicht länger unbeackert lassen können.

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30 Kommentare

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  • "Bildung, Gesundheit, das gesamte Sozialsystem muss entsprechend umgebaut werden."

     

    Hartz V???

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Genau, und deshalb können wir auf solche rassistischen Unterscheidungen auch verzichten. Alle rein, egal woher und warum! KEIN MENSCH IST ILLEGAL!

  • " Nach diesem Sommer der Hunderttausenden Flüchtlinge wird Deutschland nicht mehr sein, was es war."

    Dafür spricht einiges .

    Ob wohl A. Merkel bewußt ist , dass ihr damaliger Freund G.W.Bush und seine Junta-Kumpanen dafür maßgeblich die Grundlage produziert hat ? Nämlich mit dem Irakkrieg ? Ein Krieg und Menschheitsverbrechen , beschlossen von einem abgründig bigotten , unfähigen , dummen US-Präsidenten , durch das Chaos und Elend über die Nahostregion gebracht worden ist , mit Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen , und das in der weiteren Folge u.a. auch den I.S. hervorgebracht hat ?

     

    Ach ja , nicht vergessen : Merkel hatte dazu Bush ihre Zustimmung signalisiert , war aber "leider" noch in der Opposition .

  • Man sollte in dieser Debatte schon zwischen Flüchtlingen und Einwanderern unterscheiden. Flüchtlinge sind Menschen, die aus politisch-rassisch-religiösen oder sonstigen Gründen aus ihrer Heimat freiwillig oder unfreiwillig gehen müssen und sich in einem anderen Land (vorübergehend) niederlassen können. Sie sind zunächst einmal keine Einwanderer im eigentlichen Sinne, die wiederum ganz bestimmte Kriterien erfüllen müssen (wie z.B. in den USA, Kanada, Australien). Insofern sollte man die Themen Flüchtlinge und Einwanderer nicht vermischen.

    • @Nicky Arnstein:

      ...ein 'Einwanderer' kann auch ein 'Flüchtling' sein, und umgekehrt.

      • @Fotohochladen:

        Eben NICHT. Asyl ist definiert in Art 16a GG.

         

        Haben Sie von der "Blue-Card" gehört? Da ging es um Einwanderer.

         

        Ein Flüchtling muss auch kein Asylberechtigter sein: in der Regel sind es Kriegsflüchtlinge z.B. aus Syrien. Die bekommen hier den Status der "Duldung".

         

        Diese Differenzierung ist sinnvoll und notwendig - wenn es ein "kommt alle" wäre, gäbe es in der Bevölkerung ganz andere Auswüchse!

  • Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass ungeliebte Menschen nicht zu Ihrem "Volk" gehören? Definieren neuerdings Sie wer zu "Den Deutschen" gehört und wer nicht? So einfach sollte man es sich nicht machen, lockt doch mit solchen Mitteln die Versuchung, diese Irren einfach als PAL (Problem anderer Leute) abzutun.

    Mein Vorschlag: Finden Sie sich endlich damit ab, dass in Ihrem und meinem Land Menschen wohnen, bei denen der Begriff Kleinhirnträger noch ein Kompliment wäre. Zu "den Deutschen" gehören sowohl bierbäuchige Hinterwäldler als auch randalierende Hooligans als auch diese strunzd... braune Brut. Gefallen tut mir das auch nicht, aber wie gesagt, akzeptieren muss man das. Deshalb war auch die Ansprache vom Bundespastor Gauck (mal wieder) sehr sehr schwach.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Das Volk, das sind die "braven" Bürger des "freiheitlichen" Wettbewerbs um "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei". Die, die ihre Verantwortung kapitulativ, bewußtseinsbetäubt und heuchlerisch-verlogen an die "Treuhänder" dieser "Demokratie" durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck delegieren, bis das der daraus resultierende und ziemlich offensichtlich nahende Tod in Form einer Umweltkatastrophe oder eines atomaren Holocaust den Garaus beschert - kreislaufende Konfusion in "Individualbewußtsein" und geistigem Stillstand seit der "Vertreibung aus dem Paradies", anstatt wirklich-wahrhaftig fusionierende Vernunftbegabung in Möglichkeiten von geistig-heilendem Selbst- und Massenbewußtsein!

     

    Gut und Böse, arm und reich, ich sehe nur eine leicht manipulierbare Hierarchie in materialistischer "Absicherung" / Dummheit.

  • Immer wenn ich Volk lese kriege ich Pickel. Volk ist ein ebenso unscharfer wie ausgrenzender Begriff. Als der aktuellen Situation und einem modernen Staat angemessen empfinde ich die Begriffe Bürger oder Einwohner.

    Da ist zum einen deutlich klarer was gemeint ist und zum anderen kann jeder/jede im Prinzip Bürger oder Einwohner werden. Angehöriger von so etwas schwammig definiertem wie dem Volk zu werden ist für viele Migranten schwierig bis unmöglich.

  • Ach du Scheiße, wo sollen wir denn da anfangen? Es gibt so viele gute Ideen und alles dauert ewig bis es umgesetzt wird und bis dahin hauen wir uns den Schädel ein oder wie? Aber dafür kommt dann bestimmt in der Zwischenzeit mehr Polizei .

  • „Wir sind das Pack“, skandierten Demonstranten, als die Bundeskanzlerin kam, in Anspielung auf die Aussagen von Vizekanzler Gabriel. Da wird die Definitionsmacht von Politik und Netz nicht nur abgelehnt, sondern ins Gegenteil verkehrt. Die Wortwahl tut ihnen offensichtlich nicht weh, sie hat keinerlei erzieherischen Zweck und definiert keine Grenze. Leute, die so etwas tun, kämpfen nicht mehr um die Bedeutung von Worten, sie debattieren nicht mehr über Verhaltensmuster: Sie zeigen offen, dass die Zeiten der Verständigung vorbei sind. Wie viele das nicht rufen, aber denken, werden die nächsten Wochen zeigen. Sich die Finger in die Ohren stecken und „Nazi“ rufen, das möchte ich nach meinen Erfahrungen in Österreich und Italien anmerken, ist da kein probates Mittel. http://blogs.faz.net/deus/2015/08/26/wir-sind-das-pack-2846/

  • Frau Fokken irrt. "Das Volk" sind alle Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Dafür ist "Deutschland" nämlich da. Ganz egal, wie Frau Fokken deren Einstellungen beurteilt.

     

    Der Furor gegen Teile der deutschen Bevölkerung verwundert angesichts der Toleranz, die sonst gegenüber echten Straftätern gefordert wird. Gebetsmühlenartig werden "die Verhältnisse", "das Patriarchat" und der Kapitalismus verantwortlich gemacht und persönliche Verantwortungen weit von den Täte*innen weggeschoben. Insbesondere, wenn es Ausländer oder Frauen sind.

    Der Widerspruch fällt den meisten gar nicht auf.

    • @Frank Heinze:

      Zu einem "Volk", das rechten Terrorismus toleriert und relativiert, zähle ich mich sowieso nicht. Trotz Staatsangehörigkeit. Ich scheiße auf so ein "Volk". Mit jedem Flüchtling, egal woher und warum, verbindet mich mehr, als mit solchem "Volk".

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Das mag sein und es steht Ihnen ja jederzeit frei, das Staatsvolk zu verlassen indem Sie die Staatsbürgerschaft abgeben.

        Allerdings obliegt es weder Ihnen noch der Autorin, Teile der autochthonen Bevölkerung zu exkludieren.

        • @Frank Heinze:

          Genauso wenig obliegt es Ihnen, Individuen für einen nach Ihrem persönlichen Gusto definierten Volksbegriff zu vereinnahmen.

           

          Als meine Brüder und Schwestern erachte ich jene, die mir in Geist und Seele verwandt sind und nicht jene, die nur zufällig den selben Pass in der Tasche haben.

  • Doch, diese Menschen sind "das Volk". Diese Geschöpfe gehören dazu, daran kann niemand was ändern. Doch wieso denken sie überhaupt in solchen Kategorien? Ist die Steigerung von menschenverachtend, widerlich und rassistisch die Nichtzugehörigkeit zu diesem "Volk"? Und ist die Steigerung von hilfsbereit, menschenoffen und nett die Zugehörigkeit diesem "Volk"? Nein, sicher nicht.

    Viel zu oft wird in dieser Debatte versucht, den Rassisten das Deutschsein abzusprechen und es denen, die helfen anzuerkennen. Das ist Schwachsinn. Man tut so, als ob als Belohnung für ein "gutes" Verhalten das Deutschsein wartet.

    Anstatt so zu tun, als ob diese Rassisten nicht zu Deutschland gehören würden, muss man erkennen, dass eben diese Rassisten zu Deutschland gehören und das "Deutschsein" deswegen vielleicht garnicht sowas arg Erstrebenswertes ist. Ebenso gehören die Bullen, die nach zwei Tagen rassistischem und menschenverachtendem Auftreten des Abschaums in Heidenau den dritten Tag nutzen, um 250 Antifaschisten aus dem Dorf zu treiben als wären es verseuchte Schweine zu Deutschland. All diese und noch viel mehr, mit denen man als Mensch nichts zu tun haben will, gehören zu Deutschland. Es ist ekelhaft. Aber man kann nicht so tun als ob dieser Abschaum nicht dazugehören würde und deshalb nicht unsere Sache und unsere Problem wäre.

  • Nicht nur Deutschland ist ein Einwanderungsland, sondern die ganze Welt ist eines. Die Wirtschaft schiebt Milliarden auf dem Globus hierhin und dorthin, um noch grössere Schnäppchen zu machen, während der Profit in sichere Häfen gebracht wird. Zur freien Marktwirtschaft gehört auch, dass die Menschen dorthin gehen, wo der Reichtum ist um dort zu arbeiten. Das wird erst aufhören, wenn WIR HIER dafür sorgen, dass der Reichtum DORT bleibt, wo er entsteht: in den rohstoffreichen Ländern.

  • Nichts das Sozialsystem, sondern das Wirtschaftssystem muss umgebaut werden. Immernoch liefert der Oberndorfer Waffenhersteller, dessen Namen in Forum wohl nicht genannt werden darf, Waffen (il-?)legal in alle Welt, noch immer spekuliert die Deutsche Bank mit Lebensmitel und noch immer runiert uns Landwirtschafts- und Fischereipolitik lokale Wirtschaftssysteme in der dritten Welt,..... von der Zündelei unserer Verbündeten mal ganz abgesehen.

    • @robby:

      Richtig!

      • @Wu:

        So sieht es aus! Ein neues Wirtschaftssystem muss her, aber darüber wird oder darf nicht gesprochen werden.

        • @Monika Linder:

          Kein Mensch muss "müssen", aber finden Sie eine demokratische Mehrheit dafür die auch "will", dann ist ein neues Wirtschaftssystem kein Problem. Vergessen Sie aber nicht zu erwähnen, welch heftige materielle Einschränkungen ein Systemwechsel für die konsumgewohnten "Werktätigen" mit sich brächte...

           

          Im Übrigen darf natürlich darüber gesprochen werden. Es wird auch ständig darüber gesprochen, nur nicht ausschließlich in den hohen Tönen, die Manche scheinbar für die ganze Wahrheit halten. Auf Basis der vergangenen Erfahrungen ist das grundsätzliche Vertrauen in den Kapitalismus halt - bei aller Kritik - immer noch um mehrere Größenordnungen weiter ausgeprägt als das in irgendwelche Alternativen.

  • Das ganze Elend in 1m39s hervorragend zusammengefasst:

    https://www.youtube.com/watch?v=XMpQS_GgrRQ

     

    Wie will man auf dem Niveau eine ernsthafte Auseinandersetzung führen?

    • @duke:

      Die Unsichtbare in diesem Video hat tatsächlich einen interessanten Wortschatz... Aber wen hat Sie eigentlich so nett begrüßt? Leider war ja kaum mehr zu sehen als Himmel, ein paar Fahnenstangen und ein paar Glatzenköpfe.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "...das gesamte Sozialsystem muss entsprechend umgebaut werden."

     

    Umbau war bisher immer Abbau.

  • Das Sozialsystem muss wegen der Einwanderer umgebaut werden? Wie um alles in der Welt kommen Sie auf die Idee?

     

    Das Sozialsystem hat so wenig junge Menschen, dass die Bundesregierung schon plante, das Renteneintrittsalter auf 70 anzuheben. Im Gegenteil kann das Sozialsystem in der alten Form dann länger aufrechterhalten bleiben.

  • An die Adresse der CDU/CSU und der SPD: Die Auseinandersetzung mit Rassisten und Nazis gehört leider auch zu den Feldern, die Politiker nicht länger unbeackert lassen können.

  • Wenn man allerdings nicht grad in der Nähe eines Hotspots wohnt werden staatlich/kirchlich gesponserte Flüchtlingsprojekte nach wie vor gemütlich eingestampft als wenn nix wäre.