Kommentar Landtagswahl in Meck-Pomm: Die Erschütterung
Die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern weist auf die Stimmung im gesamten Land hin. Besonders die SPD muss eine neue, soziale Sprache finden.
Wenn ein Bundesland mit 1,6 Millionen Einwohnern wählt, muss man mit Ableitungen fürs große Ganze vorsichtig sein. Aber das traurige Ergebnis dieser Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern funktioniert wie eine Lupe aus Kristallglas. Entwicklungen, die sich schon lange abzeichnen und die ganze Republik beschäftigen, werden plötzlich sichtbar. Riesig, in vielen Facetten und bedrohlich.
Da wäre zunächst der Aufstieg der AfD, gegen den bisher kein Rezept der demokratischen Parteien hilft, weder die Polterei in der CDU noch das Links-Blinken der SPD. Die verbreitete Unzufriedenheit der Menschen mit der Flüchtlingspolitik, die ja nicht nur Merkel, sondern auch SPD und Grüne mitgetragen haben, wirkt für die Rechtspopulisten wie eine vitaminreiche Nährlösung. Die Angst vor dem Fremden macht die Rechten stark, und gegen dieses Gefühl helfen rationale Argumente nicht mehr.
Was in den USA schon länger zu beobachten ist, zeigt sich inzwischen auch in Deutschland. Die Weltbilder vieler frustrierter Menschen lösen sich von Fakten, oder, wie man modern sagen könnte: Wir befinden uns im postfaktischen Zeitalter. Wichtig ist für viele Menschen nicht mehr, was stimmt – sondern was ihr eigenes, von der Komplexität der Welt überfordertes Gemüt bewegt. In Mecklenburg-Vorpommern liegt der Ausländeranteil bei 3,7 Prozent, 2015 nahm das Land rund 23.000 Geflüchtete auf – viel weniger als andere Länder.
Wenn die AfD mit „Überfremdung“ oder „schmarotzenden Flüchtlingen“ Stimmung macht, gibt es im Alltagsleben ihrer Anhänger dafür keinerlei Beleg. Nur ist das leider völlig egal. Gerade deshalb ist das Repertoire der AfD-Themen unerschöpflich, schließlich ist die Welt der Ängste groß. Wir werden uns noch wundern, was die Rechtspopulisten über „den“ Islam, „die“ Flüchtlinge oder „die“ Sozialschmarotzer alles behaupten werden. Die AfD verstetigt in Mecklenburg-Vorpommern ihren sensationellen Erfolg – und nimmt Kurs auf den Bundestag.
Auch Berliner CDU wird im September gedemütigt werden
Für die CDU ist es eine fundamentale Erschütterung, dass eine rechte Partei zum ersten Mal in der deutschen Geschichte an ihr vorbeizieht. Zumal, das macht es schlimmer, die CDU vor Ort nicht mit Wattebäuschchen warf: Ihr Spitzenmann Lorenz Caffier ist ein Hardliner, er hatte das Amt des Innenministers inne und scheute nicht davor zurück, mit dem unsinnigen Burka-Verbot auf Stimmenfang zu gehen. Doch selbst diese Rechtsprofilierung verhinderte massive Abwanderungen der CDU-Wähler zur AfD nicht.
Die CDU ist unglaublich sensibel für machtgefährdende Entwicklungen. Dieses Desaster wird deshalb in die Bundespartei ausstrahlen – zumal abzusehen ist, dass auch die Berliner CDU bei der Wahl am 18. September gedemütigt wird. Es könnte das beginnen, was vor der so genannten Flüchtlingskrise undenkbar war. Eine Debatte darüber, ob Angela Merkel die richtige Kanzlerkandidatin 2017 ist.
Außerdem wird sich der mühsam unterdrückte Dauerstreit zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik verschärfen. CSU-Chef Horst Seehofer interpretiert das Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern natürlich als Bestätigung. Der Merkel-Flügel in der Union ist darauf festgelegt, die Entscheidungen der Kanzlerin zu verteidigen. Diese Wahl häuft Sprengstoff im konservativen Lager an, ob er explodiert, lässt sich im Moment schwer absehen.
Arbeiter schwenken zur AfD
Und noch ein Trend wird deutlicher, als es zuvor schon war: Auch die Sozialdemokraten und die Linkspartei leiden unter dem Aufstieg der Rechten. Denn das linke Lager erodiert erkennbar. Beide Parteien – die Linken sind in Schwerin wie anderswo in Ostdeutschland auch im Grund linke Sozialdemokraten – haben relevant Stimmen an die AfD abgegeben.
Mehr Nationalismus bedeutet mehr Schutz und Sicherheit: Für prekär lebende Menschen oder Arbeiter, die sich von der Globalisierung unter Druck gesetzt fühlen, ist dieses falsche Versprechen der AfD attraktiv. 33 Prozent der Arbeiter machten ihr Kreuz bei den Rechtspopulisten, mehr als bei der SPD (27 Prozent) oder der Linkspartei (10 Prozent). Die Sozialdemokraten, die nach Prozentpunkten verloren, bei den absolut abgegebenen Stimmen aber stagnieren, sind bei dieser Wahl noch einmal glimpflich davon gekommen, weil Erwin Sellering ein beliebter Regierungschef ist. Aber wenn sie jetzt so tun, als sei das ein grandioser Erfolg, belügen sie sich selbst.
Wenn die SPD klug ist, versteht sie, dass der Aufstieg der AfD auch eine Rennaissance der sozialen Frage bedeutet. Die SPD muss eine neue Sprache und neue Rezepte finden, um glaubhaft zu machen, dass sie für sozialen Zusammenhalt steht.
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