Kommentar Kavanaughs Ernennung: Schwerer Makel
Mit der Durchsetzung des umstrittenen Kandidaten haben die Republikaner einen Sieg errungen. Er wird das Land politisch zurückwerfen.
D er Prozess rund um die Bestätigung von Brett Kavanaugh als Verfassungsrichter am Obersten Gerichtshof hat abgrundtiefe Einblicke in das hässliche Innenleben der USA geliefert. Er brachte Spaltungen, Unversöhnlichkeiten und einen Hass zutage, wie das Land sie in den düstersten Momenten seiner Geschichte erlebt hat – vom Bürgerkrieg über die antikommunistische Hetzerei der McCarthy-Ära bis hin zu den Jahren von Bürgerrechtsbewegung und Vietnamkrieg.
Das nun abgeschlossene Verfahren macht einen Mann zum Obersten Richter auf Lebenszeit, der sein Amt mit schweren Makeln antritt: Er wird von mehreren Frauen beschuldigt, sie sexuell angegriffen zu haben. Er ist selbst im fortgeschrittenen Alter von 53 Jahren nicht in der Lage, erwachsen über die Alkoholexzesse und den Sexismus seiner Jugendjahre zu reflektieren, von denen sowohl damalige WeggefährtInnen als auch seine eigenen Kalendereinträge zeugen.
Und er hat im Zuge seiner Anhörung vor dem Justizausschuss des Senats erbärmliche Charakterzüge offenbart, die ihn unter normalen Umständen von jedem Richteramt disqualifizieren würden: Er zeigte sich unbeherrscht und rachsüchtig, weinerlich und selbstverliebt. Und er fiel jenen SenatorInnen, die ihre Aufgabe ernst nahmen und ihm kritische Fragen stellten – insbesondere den Frauen – mit aggressiven Attacken ins Wort.
Kavanaugh ist weder durch Charakter noch durch Weisheit noch wegen unabhängigen Denkens ins Oberste Gericht gekommen, sondern weil er ein Parteisoldat in einem politischen Krieg ist. Er hat seit dem Beginn seiner Karriere im Ermittlungsausschuss für die Amtsenthebung von Präsident Bill Clinton über seine Jahre als Rechtsberater von George W. Bush im Weißen Haus bis hin zu seiner Positionierung gegen das Recht auf Abtreibung einer 17-jährigen Immigrantin im vergangenen Jahr bei jeder neuen Schlacht bewiesen, dass er auf der republikanischen Seite der Front steht.
Einfluss großer Konzerne wird wachsen
Diese zuverlässige rechte Parteilichkeit hat Kavanaugh zum Kandidaten sämtlicher Flügel der Republikanischen Partei und der hinter ihnen stehenden Interessen für das Oberste Gericht gemacht. Er ist ein Garant für noch weniger Rechte am Arbeitsplatz, für noch weniger Schusswaffenkontrolle und für noch weniger Krankenversicherung.
Und er wird dafür sorgen, dass der politische Einfluss großer Konzerne weiter wächst und dass religiöse FundamentalistInnen noch mehr Mitsprache bei so privaten Dingen wie Eheschließung und Fortpflanzung bekommen. Was ihn zusätzlich attraktiv für Donald Trump macht, ist die Tatsache, dass er für eine präsidentielle Immunität eintritt, die diesen vor einer Amtsenthebung schützen soll.
Kavanaugh ist der Mann, der die republikanischen Anliegen durch die nächsten Jahrzehnte führen soll, egal, wie die kommenden Wahlen ausgehen. Mit seiner Bestätigung haben die RepublikanerInnen einen Sieg errungen, der in seiner historischen Bedeutung mit dem Wahlausgang vom November 2016 zu vergleichen ist.
Dennoch ist Kavanaughs Einzug in das Oberste Gericht keine Niederlage für die DemokratInnen. Für sie war die zweite Bestätigung eines Obersten Richters von Trumps Gnaden die Fortsetzung der einjährigen republikanischen Sabotage von Barack Obamas moderatem Richter Merrick Garland. Sie wussten, dass ihre Chancen, Kavanaugh zu verhindern gen Null gingen. Und ihnen war klar, dass selbst im Falle von Kavanaughs' Scheiterns jemand seines politischen Kalibers nachgerückt wäre.
Ein altes, weißes, männerbeherrschtes Regime
Die DemokratInnen haben die Gelegenheit genutzt, um ihr eigenes Profil zu schärfen. Gegenüber den elf weißen Männern, die für die Republikanische Partei im Justizausschuss sitzen, repräsentierten ihre SenatorInnen das real existierende Land.
Gemeinsam mit Tausenden von Frauen, die quer durch das Land gegen Kavanaughs Bestätigung demonstrierten, haben sie es geschafft, die Makel des Richters bloßzulegen und zugleich das Wesen eines alten, weißen, männerbeherrschten Regimes aufzuzeigen, das die Zukunft vernageln will.
Einen Monat vor den Wahlen zum US-Repräsentantenhaus, bei denen die politischen Karten vom US-Kongress über die GouverneurInnen bis hin zu den Legislativen in den meisten Bundesstaaten neu gemischt werden, hat Trump seinen Richter bekommen. Aber die DemokratInnen hatten die denkbar beste Bühne.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung