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Kommentar Geschlossene Häfen ItaliensSalvinis Spiel vereiteln!

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Die Radikalabschottung wirkt. Nur wenige Geflüchtete schaffen es an Italiens Häfen. Die EU braucht endlich eine großzügige Aufnahmepolitik.

Salvini will Italiens Häfen schließen und damit Einwanderung verhindern Foto: ap

E s sind so wenige wie seit Jahren nicht mehr: Nur 350 Flüchtlinge sind seit Jahresanfang von Libyen und Tunesien aus übers Mittelmeer nach Italien gelangt. Matteo Salvini, Italiens Innenminister und Chef der rechtspopulistischen und rassistischen Lega, kann das als kompletten Erfolg seiner Politik der Radikal­abschottung werten.

Doch selbst die wenigen, die noch kommen, sind ihm zu viel. Auch die 49 Menschen an Bord des italienischen NGO-Schiffs Mare Ionio, das jetzt vor Lampedusa liegt, will der Minister auf keinen Fall an Land lassen. Mehr noch: Die Rettungsaktion ist ihm Anlass, seinen Kurs weiter zu verschärfen. Bisher sprach er von „geschlossenen Häfen“, am Montag dann erteilte er die Anweisung, Italiens Hoheitsgewässer gleich komplett für NGO-Schiffe zu schließen.

In Salvinis Logik nämlich ist die Rettung von Menschen in Seenot ein Verbrechen, stellt sie nichts anderes dar als „Förderung der illegalen Einwanderung“. Und er hat allen Grund, mit dieser Politik weiterzumachen: Sie kostet nichts, hat aber einen hohen Ertrag – etwa 60 Prozent der Italiener befürworten die rigide Flüchtlingsabwehr, und die Lega schnellte in Umfragen auf nunmehr über 30 Prozent hoch.

Salvinis Kurs konnte auch deshalb so populär werden, weil unter Italiens Bürgern wenigstens in einem Punkt Konsens herrscht: „Europa hat uns mit den Flüchtlingen allein gelassen.“ Jedes Mal, wenn in letzter Zeit ein Flüchtlingsschiff in Italien eintraf, ging das immer gleiche Trauerspiel los, das tagelange Gezerre, welches EU-Land nun 10, welches 20 Flüchtlinge aufnimmt.

Erbärmlich ist das Bild, das die EU dabei abgibt. Schlimmer noch: Am Ende spielt sie das Spiel Salvinis. Der hat an der Änderung der aktuellen Situation eigentlich gar kein Interesse – erlaubt sie ihm doch im anstehenden Europawahlkampf gegen seine beiden Lieblingsfeinde zugleich, gegen die Migranten und „die in Brüssel“, zu Felde zu ziehen. Unterlaufen ließe sich dieses Spiel nur, wenn andere EU-Staaten endlich zu einer großzügigen Aufnahmepolitik fänden.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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14 Kommentare

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  • Ich bin dieses stereotype EU-Gebashe nun wirklich leid. Gäbe es die EU nicht, wie wäre denn dann die Situation von Italien, meinetwegen auch Griechenland?

  • Das Beispiel Salvini/Lega sollte der Ost-CDU zu denken geben. Regierungsbeteiligungen von Protofaschisten stärken diese nur und zerstören die Rudimente politischer Zivilität.

  • "Die EU braucht endlich eine großzügige Aufnahmepolitik."

    Mit welchem Ziel? Mehr obdachlose Flüchtlinge in Spanien, Italien und Frankreich ohne wirtschaftliche Perspektive? Lager wie in Calais?

    Entlastung für Afrika mit dem Problem der stark wachsenden Bevölkerung? Ein Tropfen auf den heißen Stein.

    Mehr Zuwanderung für d? d hat bereits eine Nettozuwanderung von über 400.000 Menschen im Jahr.

    • @A. Müllermilch:

      Vor allem denkt niemand bis über den Tellerrand. Was ist mit der Zukunft?



      Was ist in 20-30 Jahren wenn sich vielerorts die Bevölkerung verdoppelt hat? Was ist in 50, was in hundert Jahren?

      Beim Klimaschutz etc. denken und betonen die selben Leute immer die Zukunft, die beim Thema Migration so tun als wäre die Situation im Heute eingefroren.



      Das was jetzt passiert ist nichts im Vergleich zu dem was da noch auf uns zukommt. Das wird übel werden, ganz übel. Egal wie die Migrationspolitik aussieht, es wird unaufhaltbare humanitäre Katastrophen geben. Es ist langsam Zeit die Mittel und Kräfte vor Ort sinnvoll einzusetzen, ideologischen Starrsinn und Bequemlichkeit über Bord zu werfen und für eine Nachhaltige Zukunft in allen Bereichen und Ländern zu kämpfen.



      Aber das würde eben auch unbequeme Entscheidungen, das Verlassen Wohlfühlzone und Einschränkungen erfordern. Bisher sehe ich dafür absolut schwarz.

  • Die zahlreiche Immigration hat zwei Seiten:

    Zunächst ist das Elend der Betroffenen zu nennen. Natürlich erhoffen sie sich in Europa eine deutliche Verbesserung ihres Lebens. Das ist ja in den Herkunftsländern, durch Kriege, Armut, ökonomische Situation ... auch wirklich elend genug.

    Andererseits ist die Akzeptanz für die Aufnahme in der Bevölkerung verdammt gering. Die Folgen sind verschieden: Es werden immer mehr rechte und linke Chaoten in den Wahlen gewinnen. Die Demokratie kommt dabei in eine echte Gefahr. Die finanziellen Folgen für Europa sind nicht gravierend, aber sie werden dennoch auch für den Einzelnen spürbar. Und Teilen des eigenen Besitztums ist keine vorherrschende Eigenschaft hier.

    Die Einwanderung hat auch einen sich selbst verstärkenden Effekt! Jeder erfolgreiche Einwanderer wird in seinem Herkunftsland zu einem Multiplikator. Selbst wenn jemand in Europa nicht erfolgreich oder unglücklich ist, wird er aus Scham darüber in seiner Heimat darüber nicht berichten. Im Gegenteil, er erzählt über den 'sagenhaften Reichtum' hier. Und damit wird bei immer mehr Menschen der Wunsch nach Europa wach. Die Folgen sind klar, denn die Akzeptanz hier wird immer geringer.

    Leider ist eine Lösung für dieses Problem eher nicht sichtbar.

  • Europa hat Italien seit Ewigkeiten mit der Flüchtlingsproblematik alleingelassen.



    Das Produkt dieser Ignoranz ist ein Innenminister Salvini. So unangenehm diese Entwicklung in Italien ist - Europa hat einen großen Anteil an ihr.

  • Seit Salvini: kein Italienurlaub mehr und kaum Ital. Produkte.



    Dito für Österreich und seine FPÖ.

    • @sachmah:

      Supi, Glückwunsch, wie weitsichtig!

  • Es könnte noch sehr viel schlimmer kommen.

    Falls Salvini ein Veto gegen die Verschiebung des Brexit, also gegen den temporären Verbleib Grossbritanniens in der EU einlegt, müssen die Briten zwingend schon in 10 Tagen austreten.

    Dann verliert der zivilisierte Teil Europas seine Sperrminorität und Länder wie Italien und Ungarn können nicht nur die EU-Flüchtlingspolitik "demokratisch" umkrempeln.

    Die Schuld dafür liegt jedoch bei Brüssel: Warum hat man Mehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat gegen den Willen der nordwest-europäischen Minderheiten nicht unmöglich gemacht?

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    "Unterlaufen ließe sich dieses Spiel nur, wenn andere EU-Staaten endlich zu einer großzügigen Aufnahmepolitik fänden."

    Exakt, und da beginnt das Dilemma, zeigt sich mehr als nur Bigotterie.

    Kürzlich, bei einem gemütlichen Abendessen im Kreise meines Umfeldes in einem kleinen Bergdorf in der Provinz Cuneo. Eine mir bekannte Italienerin, welche als Lehrerin arbeitet, den -trotz weniger Neuankommenden- immer noch zahlreichen Flüchtlingen italienisch beibringt, sie brachte einen Schüler, einen jungen Mann (und Bootsflüchtling) aus Mali mit.

    Die Lehrerin übersetzte, da der mir einen gebildeten Eindruck machende (nach eigenen Angaben mit muslimische Hintergrund versehene) junge Mann nur französisch sprach; ich leider nicht. Und hier kam für mich dann eben ein weiterer Punkt hinzu, was diese EU-Bigotterie betrifft:







    Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ist in Mali absolut verhasst, wobei selbst die dort nach meiner Auffassung nichts zu suchen habende Bundeswehr aktuell noch vergleichbar gut wegkommt, dennoch als Besatzungsmacht wargenommen wird.

    Insofern und hier in aller Kürze wurde mir die Entscheidung des Mannes, nach Italien zu gehen, in Italien zu bleiben an diesem Abend ein Stück weit verständlicher.

    Ende Juni bin ich wieder dort. Mal sehen, ob und wie sich das mit dem jungen Mann weiter entwickelt; soweit mir die entsprechenden Informationen zugänglich werden.

  • Wie wäre es stattdessen mehr, oder überhaupt einmal, daran zu arbeiten keine großzügige Aufnahmepolitik zu brauchen bzw jenes zu fordern?

    Das Geld welches in die Versorgung von flüchtenden gesteckt wird wäre vor Ort wesentlich sinnvoller und effektiver investiert. Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los dass der gesamte Zirkus um die Aufnahme von vor niedrigen Lebensstandards flüchtenden hauptsächlich davon ablenken soll das dort fast nichts geschieht.

    Es sollte auch endlich einmal darüber diskutiert werden ob ein Lebensstandard nach westlichen Vorbild mit massenhaftem, unnötigen und schädlichem Konsum überhaupt nötig, wünschenswert oder nachhaltig machbar ist.



    Glücklich und zufrieden wird das langfristig bekanntermaßen niemanden machen und der Nachhaltigkeit tut man damit auch keinen Gefallen. Schließlich wird ja auch darüber diskutiert wie wir unser Verhalten ändern müssen um nicht zwangsläufig Schiffbruch zu erleiden.

    Oder geht es mal wieder nur darum sich auf der rechten Seite zu wähnen, sich gut zu fühlen und das Gewissen zu verstopfen um sich mit den unbequemen Fragen nicht beschäftigen zu müssen?

  • Die EU ist keine Sozialunion, sondern eine Wirtschaftsunion. Es gibt überhaupt keinen Anlass, einem Mitgliedsland in seine eigene innenpolitische Entscheidung hereinzureden.

    • @DiMa:

      Und es gibt deshalb auch weiterhin keine Gründe, diese kapitalistische Internationale wie die EU weiterhin zu unterstützen, sobald sie sich als mehr aufspielt wie eine Freihandelszone.

      Deshalb:



      Scheiß' auf die EU.



      Boote ins Mittelmeer, die die Flüchtlinge auch weiter als wie nach Italien bringen können in irgendwelche vernünftige Staaten, die es sich leisten können, die Flüchtlinge aufzunehmen wie z.B. die BRD.

      • @Age Krüger:

        Erstens ist die EU, wenn auch noch keine echte Sozialunion, schon lange mehr als nur eine Wirtschaftsunion.

        Und zweitens haben wir die jetzigen Probleme nicht wegen zuviel EU, sondern eben genau wegen einem Zuwenig an EU im sozialen Bereich, woran auch D alles andere als unschuldig ist - und zwar nicht nur, wenn die Mittelmeer- und sonstigen Außengrenzenländer dank "Dublin III" komplett mit der Flüchtlingsproblematik allein gelassen wurden. Sondern auch, wenn D aus kurzsichtigen Eigeninteressen (die aber letzlich nur Großkonzernen und Reichen zugute kommen) ständig sinnvolle Regulierungen von Banken bis Schadstoffe blockiert.



        Da gilt es für mehr + besseres Europa zu trommeln und hierzulande endlich mal die schwarzen Dumpfbacken abzuwählen.

        Stattdessen vergesst ihr Pseudolinken einfach mal die linke Maxime, das soziale Politik nur internationalistisch sein kann, schiebt wie dumpfe Populisten die von unseren eigenen Politikern mitverursachten Probleme auf "die böse EU"... und tut allen Ernstes so, als ob globale Probleme durch mehr Rückzug ins Nationale gelöst werden könnten. Merkt ihr eigentlich echt nicht, wie sehr ihr das Spiel der Rechten mitspielt? Von Forums-Querfrontlern wie Herrn B. erwarte ich ja schon nichts anderes mehr, aber von Ihnen Herr Krüger?