Seenotrettung auf dem Mittelmeer: Allein auf weiter See

Die „Sea-Watch 3“ ist das einzige private Rettungsschiff – und kann nicht überall sein. Am Wochenende ertranken 170 Menschen.

Ein Schiff allein auf weiter See, vor untergehender Sonne

Die „Sea-Watch 3“ ist derzeit das einzige NGO-Rettungsschiff in der Region Foto: ap

BERLIN/TUNIS taz | Schätzungsweise 170 Menschen ertranken am Wochenende bei zwei Unglücken im Mittelmeer. 47 Schiffbrüchige aber konnte das Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ am Samstag retten. Doch einen sicheren Ort gibt es für sie bislang nicht: „Wir haben die Menschen seit Samstag an Bord. Ihr Zustand ist den Umständen entsprechend gut, wir sind derzeit auf der Suche nach einem sicheren Hafen“, sagte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer der taz. Bei der letzten Mission des Schiffes im Dezember und Januar hatte es 19 Tage gedauert, bis nach einer regelrechten Odyssee Malta der NGO erlaubt hatte, die Menschen nach Valletta zu bringen.

Die 47 Schiffbrüchigen hatten sich mit einem Satellitentelefon an die Notruf-Initiative Alarm-Phone gewandt. Die Rettungsleitstellen von Libyen, Malta und Italien hätten auf Kontaktversuche nicht reagiert, berichtet Neugebauer. Die „Sea-Watch 3“ nahm die Menschen am Samstag früh in der Nähe der libyschen Stadt Zuwara in internationalen Gewässern an Bord.

Die „Sea-Watch 3“ ist derzeit das einzige NGO-Rettungsschiff in der Region und hat dramatische Tage hinter sich. Schon am Freitag war sie per Funk zu einem Notfall gerufen worden. Als sie die Unglücksstelle erreichte, „war nichts mehr zu machen“, sagte Neugebauer: Ein Schlauchboot mit 117 Menschen war gesunken. Lediglich drei Menschen konnten von einem Militärhubschrauber gerettet werden. Sie wurden nach Lampedusa gebracht. In einem weiteren Notfall habe offenbar die libysche Küstenwache reagiert und die Menschen nach Libyen zurückgeholt. Darauf deutet eine Meldung der Küstenwache hin, so Neugebauer.

Schließlich ereignete sich am Sonntag ein vierter Notfall. Auch hier wandten sich die Insassen eines mit etwa 100 Menschen besetzten Schlauchbootes am Sonntagmorgen an die Alarm-Phone-Initiative. Diese informierte die Rettungsleitstellen der Region, bekam aber bis zum Abend keine Bestätigung, dass die Menschen gerettet werden. Um 19.45 Uhr brach der per Satellitentelefon gehaltene Kontakt zu den Insassen ab, berichtete das Alarm-Phone.

Pushback in ein unsicheres Land

Die Initia­tive hatte schon am Morgen die „Sea-Watch 3“ informiert, die zu jenem Zeitpunkt aber 18 Stunden Fahrtzeit entfernt von jener Unglücksstelle war. Gleichwohl nahm das Schiff Kurs dorthin und setzte auf dem Weg auch einen Notruf an die in der Nähe befindlichen Handelsschiffe ab.

Offenbar, so Neugebauer, erreichte das unter der Flagge von Sierra Leone fahrende Handelsschiff „Lady Sham“ am Sonntagabend die Unglücksstelle und nahm die Schiffbrüchigen auf. Am Montag lag die „Lady Sham“ im Hafen von Misrata in Libyen. Offen sei, auf wessen Anweisung die „Lady Sham“ die Menschen nach Libyen zurückgebracht habe. Illegal, findet Neugebauer. Er spricht von einem Pushback in ein unsicheres Land.

Filippo Grandi, UN

„Wir dürfen die Augen nicht verschließen, wenn so viele Menschen an der Schwelle Europas sterben“

Menschenrechtler sowie die Vereinten Nationen berichten über weit verbreitete Folter und Menschenhandel. Den UN zufolge harren rund 700.000 Migranten ohne Papiere in Libyen aus. 30.000 befänden sich in den verschiedenen Lagern an der Küste, teilte die international anerkannte Regierung in Tripolis im vergangenen Jahr mit. Nach taz-Informationen werden Gefangene aus Sub­sahara-Afrika nur selten namentlich registriert. Wer nicht in einem der sechs offiziellen und bis zu zwanzig privaten Lagern eingesperrt ist, arbeitet auf dem Bau, in Autowaschanlagen oder Werkstätten entlang der libyschen Küste.

„Wir verurteilen sie zum Tode durch Ertrinken“

Eine SMS eines Kontaktmannes verrät meist nur Stunden vor der geplanten Abfahrt den Treffpunkt an einen bestimmten Strandabschnitt. Zu Gesicht ­bekommen die meist aus Westafrika kommenden Menschen die Schmuggler erst, wenn sie am Strand in die Boote getrieben werden. Allein am Transport dorthin verdienen Schmuggler geschätzt 400 Euro pro Person.

Doch nicht nur sind die Menschen den massiven Menschenrechtsverletzungen durch Menschenhändler und andere Kriminelle ausgesetzt. Auch offene Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen in dem Bürgerkriegsland gefährden die gestrandeten Migranten. Seit Mitte vergangener Woche sind bei Kämpfen zwischen verfeindeten Milizen in der Hauptstadt Tripolis mindestens 16 Menschen getötet worden, darunter auch Zivilisten. Die Kämpfe waren trotz eines von den Vereinten Nationen vermitteltem Waffenstillstands ausgebrochenen. Sie waren die blutigsten seit mehr als vier Monaten.

In Italien mehrte sich angesichts der Toten die Kritik am Kurs des rechten Innenministers Matteo Salvini. „Wir verurteilen sie zum Tode durch Ertrinken“, schrieb die angesehene Zeitung La Repubblica zu den jüngsten Unglücken. Salvini schob die Schuld an den Toten derweil den Hilfsorganisationen zu: „Solange Europas Häfen offen bleiben, solange jemand den Schleppern hilft, machen die Schlepper leider weiter Geschäfte und töten weiter“, behauptete er.

„Ohne sichere und legale Wege für Menschen, die Sicherheit in Europa suchen (…), bleibt das Mittelmeer ein Friedhof“, twitterte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Seit Beginn des Jahres sind laut IOM im Mittelmeer bereits rund 200 Menschen umgekommen. „Wir dürfen die Augen nicht verschließen, wenn so viele Menschen an der Schwelle Europas sterben“, erklärte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi.

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